Am Freitag, 7. September, veröffentlichte die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ihr neues Bundesländerranking. Sie nennt es "wissenschaftlich". Aber die Wissenschaft der Rankings gehört wohl doch eher unter die Rubrik Zahlenhokuspokus. Auch wenn die Zahlen echt sind. Nur spiegeln sie nicht das wider, was sich Sachsens Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) noch am Freitag herauslas: "Die Studie bestätigt: Wir sind in Sachsen auf dem richtigen Kurs."

“Sachsens Betriebe sind innovativer als der Bundesdurchschnitt, und der Freistaat darf sich zu Recht als ?Land der klugen Köpfe? bezeichnen. Bei den Patentanmeldungen pro Einwohner haben wir bereits vier alte Bundesländer überholt”, sagte er am Freitag.

Das sächsische Wirtschaftsministerium ist sich auch sicher: “Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist ein überparteiliches Bündnis aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und vertritt die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft. Sie setzt sich für eine moderne wettbewerbliche Ausrichtung der Wirtschafts- und Sozialordnung ein.” Nein, tut die Initiative nicht. Mit sozialer Marktwirtschaft haben weder Initiative noch Ranking etwas zu tun. Die Initiative vertritt eine rein wettbewerbsorientierte, eher neo-liberale Auffassung von Marktwirtschaft. Soziale Aspekte werden im Ranking sogar mit Punktabzug bestraft.

Was dazu führt, dass Bundesländer, in denen das Lebensniveau steigt, sogar mit schlechteren Plätzen bestraft werden. Es hat natürlich eine Logik: Je wettbewerbsfähiger ein Land ist, um so eher hat es auch die Kraft, soziale Puffer zu schaffen. Aber in der von der Chicagoer Schule entwickelten neoliberalen Wirtschaftstheorie gibt es bislang keinen Raum für die positive Wichtung sozialer Faktoren in einem Wirtschaftsmodell.

Was dann auch das Bundesländerranking, das die INSM jedes Jahr veröffentlicht, in sich schief macht. “Sachsen hat sich vom zwölften auf den zehnten Rang vorgearbeitet und liegt erstmals vor einem westdeutschen Bundesland, nämlich Bremen”, jubelt das sächsische Wirtschaftsministerium. “Im bundesdeutschen Dynamikvergleich hat Sachsen Berlin und Thüringen hinter sich gelassen und sich von Platz vier auf Platz zwei verbessert. Laut INSM-Bundesländerranking hat die Arbeitsplatzversorgung von 2008 bis 2011 um mehr als vier Prozentpunkte überproportional zugelegt und liegt derzeit bei 77,2 Prozent, also deutlich über dem Bundesdurchschnitt.”

Staatsminister Sven Morlok: “Die Feststellung der INSM, dass Sachsen mit seinem starken Arbeitsmarkt punktet, ist besonders wichtig. Das Bundesländerranking zeigt auch: Sachsen ist nicht mehr die verlängerte Werkbank des Westens.”
Gerade das zeigt das Ranking eben nicht. Oder anders formuliert: Eigentlich zeigt es, dass Sachsen immer noch die verlängerte Werkbank und seit 2006 nun auch noch zusätzlich der Hauptlieferant von Billigarbeitskräften ist. Nur versteckt sich das miese Lohnniveau in mehreren Zahlen des Rankings, die scheinbar eine positive Entwicklung suggerieren.

So natürlich im Posten Arbeitskosten, die in Sachsen 2011 bei 29.667 Euro lagen, über 500 Euro unterm deutschen Durchschnitt. Und da lagen sie nicht, weil Rohstoffe oder Energie in Sachsen billiger sind, sondern weil Arbeitskraft in Sachsen billiger gehandelt wird. In dieser Kategorie führt übrigens Mecklenburg-Vorpommern mit 28.348 Euro. Es ist schwer vorstellbar, dass sich ein Bundesland wünschen könnte, hier in Führungsposition zu gehen. Sachsen liegt mit seiner Billig-Arbeitskraft in Deutschland auf Rang 4. Das wertet die INSM als sehr wettbewerbsfähig, bestraft das Bundesland aber gleich im selben Punkt. Denn Arbeitskosten bestimmen Einkommen, Steueraufkommen und Kaufkraft.

Und was heißt das bei Sachsens Niedriglöhnen? – Verfügbares Einkommen 17.162 Euro pro Einwohner, Rang 12, über 3.000 Euro unterm Durchschnitt. Steueraufkommen: 1.070 Euro pro Einwohner, Rang 13, das ist nicht mal die Hälfte der durchschnittlichen Steuerkraft von 2.345 Euro. Kaufkraft: 16.768 Euro, über 300 Euro unterm Durchschnitt, Rang 14. Soviel zur wachsenden Kaufkraft, die Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung kürzlich bei einem Glockengebimmel im Paunsdorf Center beschwor. Wer nicht genug verdient, fällt als Konsument aus. Da kann man noch so viele Einkaufscenter bauen, es verschärft nur den Wettbewerb und bessert die Zustände nicht.

Und wie ist es mit dem ach so leistungsstarken Arbeitsmarkt? – Sachsen hat zwar die offiziellen Arbeitslosenzahlen kräftig abgebaut, lag 2011 bei einer Arbeitslosenquote von 10,6 Prozent. Das wäre wirklich ein stolzer Wert, wenn dahinter wirklich auch nur das Einkommensniveau von Bremen stünde, wo sich doch Wirtschaftsminister Morlok so freut, dass Sachsen in diesem Ranking Bremen überholt haben soll. Das Bremer Einkommensniveau lag 2011 bei 22.526 Euro, 2.000 Euro überm Bundesdurchschnitt – was dem Stadtstaat Rang 2 beim Einkommensniveau einbrachte. Hat zwar eine Menge mit der Rolle als Metropole zu tun – Bremen gibt einem großen Teil von Ostfriesland & Co. gut Lohn und Brot.

Aber der Punkt zeigt auch, was das Ranking alles nivelliert. Ein echtes Ranking der Metropolregionen wäre wahrscheinlich sinnvoller.

Das Lohnniveau steckt übrigens auch im Faktor Produktivität. Je höhere Preise man am Ort für seine Produkte nehmen kann, um so höher ist logischerweise auch die Produktivität pro Einwohner. Da ist es sogar egal, was man verkauft: Autos, Policen oder Frachtmengen wie in Hamburg, das übrigens in all diesen Kategorien deutschlandweit die Nase vorn hat.

Und die Arbeitslosigkeit? Hat man sie nicht wirklich mit Fleiß abgebaut und diese Leute, die die Statistik füllen, mit Macht und Wucht und Strafandrohung auch noch ins letzte Arbeitsplätzchen gedrückt? – Hat man auch. Die Jobcenter in Sachsen sind so repressiv wie sonst nirgendwo in der Republik.

Aber im Abschmelzen der Arbeitslosigkeit steckt schon seit Langem ein Faktor, den Sven Morlok beharrlich ausblendet: die demografische Entwicklung in Ostdeutschland und der heftige Einbruch der Geburtenzahlen in den frühen 1990er Jahren, die jetzt schon zu einem gravierenden Nachwuchsproblem für die sächsischen Unternehmen geworden sind. Es gehen mittlerweile mehr Leute in Rente als sich junge Berufsanfänger finden lassen. Mit 10,6 Prozent amtlicher Arbeitslosigkeit liegt Sachsen jetzt zwar erst auf Rang 11. Aber an einem entscheidenden Punkt kippt das Ganze schon: bei der Ausbildungsplatzdichte. Die lag in Sachsen 2011 schon bei 103,8 Prozent. Auf 100 Auszubildende kamen fast 104 Ausbildungsplätze.

In Mecklenburg-Vorpommern, das in dieser Kategorie ebenfalls “führt”, ist man da schon gefühlt ein paar Jährchen weiter. Da lag die Ausbildungsplatzdichte schon bei 110 Prozent. Der Bundesdurchschnitt lag übrigens auch schon knapp über 103 Prozent, was natürlich heißt: Überall in der Republik wird der Nachwuchs knapp.

Und da leistet sich der Freistaat Sachsen weiterhin diese miserable Schulabgängerquote von 9,8 Prozent der Schüler ohne Abschluss – das ist Rang 14. Und da kann man dann ebenfalls nach Bremen schauen, wo man es auf 4,9 Prozent bringt, womit Bremen hier Spitzenreiter ist. Auch so ein Zeichen dafür, dass man in diesem Ranking die Rolle der Metropolen überhaupt nicht zu wichten weiß.

Wie sehr die Maßstäbe der INSM und der mit ihr in diesem Ranking kooperierenden “Wirtschaftswoche” durcheinander gehen, zeigen dann die Einschätzungen der zugehörigen Pressemitteilung selbst.

“Dynamiksieger in dem von der IW Consult erstellten Ranking ist Brandenburg”, heißt es da. “Kein anderes Bundesland hat sich in den Jahren 2008 bis 2011 besser entwickelt. Es folgen Sachsen und Berlin. Die geringste Dynamik wies krisenbedingt das Exportland Baden-Württemberg auf. Der Südwesten war schwerer von der Konjunkturkrise 2008-2009 getroffen, als andere Bundesländer.”

Und: “Auch Brandenburg verdankt seinen Dynamiksieg vor allem Arbeitsmarkterfolgen. In keinem anderen Land hat sich die Arbeitsplatzversorgung so stark verbessert: Der Anteil der Erwerbstätigen stieg um 4,7 Prozentpunkte. Mit einem Niveau von 75,4 Prozent aller Erwerbsfähigen bewegt sich Brandenburg im gesamtdeutschen Mittelfeld.”

Womit auch das Beispiel Brandenburg bestätigt, wie sehr da in Ostdeutschland ein Arbeitskräfteproblem heranreift. Rein durch die demografischen Verwerfungen der letzten 20 Jahre begründet. In Sachsen verteilt man deswegen Eierschecke an den Landesgrenzen. Vielleicht verteilt man in Brandenburg Schnapspralinen und in Mecklenburg eingelegte Heringe. Es ist egal. Überall hat man so getan, als ob sich die wirtschaftlichen Weichenstellungen von 1990 einfach irgendwo in der Bevölkerungsentwicklung abpuffern würden. Werden sie aber nicht.

Wenn man sich das INSM-Ranking nicht schönliest, wäre es einfach an der Zeit, jetzt wirklich was zu tun. Konzertiert, über Ländergrenzen hinweg. Wird aber nicht passieren.

Es wird wohl bei der Eierschecke bleiben.

Die ganzen Zahlen zu diesem Ranking kann man hier nachlesen:
www.bundeslaenderranking.de

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