Was darf man, was kann man als Pressevertreter im Europaparlament tun? Es gibt Bereiche, in denen man nicht fotografieren und filmen darf. Da hält man sich besser dran, auch an das generelle Verbot, mit laufender Kamera Politikerinnen und Politiker zu „überfallen“. Für Filmaufnahmen braucht man eine generelle Genehmigung, die dann mit dem Kamerasymbol auf dem Medien-Badge angezeigt wird. Es gibt eine Pressetribüne im Hemicycle, so heißt der Plenarsaal, und weiträumige Medienbereiche und Mediensäle.

Auf der Pressetribüne gibt es eine Plattform für Kameraleute, man kann mit der Kamera auch direkt den Ton vom Saalmikrofon abnehmen. Der Nachteil ist: Damit kann nur die Originalsprache aufgenommen werden und die Qualität ist nicht optimal. Über Kopfhörer an den Sitzplätzen hat man Zugang zu den simultan gedolmetschten Reden in allen EU-Sprachen.

11. März: Aussprache zur europäischen Sicherheitsarchitektur

Der Titel in der Tagesordnung des Europaparlaments ist selbstverständlich länger, man darf das hier aber kürzer fassen. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hielt eine Ansprache, die mit Applaus, aber auch mit Kritik bedacht wurde.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer Rede im EU-Parlament. Foto: Thomas Köhler
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer Rede im EU-Parlament. Foto: Thomas Köhler

Der Tenor der Rede erschließt sich aus dem folgenden Zitat: „Die europäische Sicherheitsordnung gerät ins Wanken, und viele unserer Illusionen werden zunichtegemacht. Nach dem Ende des Kalten Krieges glaubten einige, dass Russland in die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Architektur Europas integriert werden könnte. Andere hofften, dass wir uns auf unbestimmte Zeit auf Amerikas vollen Schutz verlassen könnten.

Und so ließen wir unsere Wachsamkeit sinken. Wir senkten unsere Verteidigungsausgaben von routinemäßig durchschnittlich mehr als 3,5 % auf weniger als die Hälfte davon. Wir dachten, wir kämen in den Genuss einer Friedensdividende. Aber in Wirklichkeit hatten wir nur ein Sicherheitsdefizit. Die Zeit der Illusionen ist nun vorbei. Europa ist aufgerufen, seine Verteidigung stärker selbst in die Hand zu nehmen.

Nicht in einer fernen Zukunft, sondern schon heute. Nicht in kleinen Schritten, sondern mit dem Mut, den die Situation erfordert. Wir brauchen einen Schub für die europäische Verteidigung. Und wir brauchen sie jetzt.“

Auch der Präsident des Europäischen Rates, António Costa, äußerte sich zustimmend, wie auch viele EU-Parlamentarier in der folgenden Diskussion. Es gab auch Kritik, unter anderem vom deutschen Abgeordneten Martin Schirdewan (Die Linke).

Martin Schirdewan (Die Linke) bei seiner Rede im Europaparlament. Foto: Thomas Köhler
Martin Schirdewan (Die Linke) bei seiner Rede im Europaparlament. Foto: Thomas Köhler

Ein Auszug aus seinem Redebeitrag: „Umso mehr rächt sich jetzt, Frau von der Leyen, dass sie die Diplomatie in den letzten Jahren leider so schädlich ignoriert haben und einzig und allein auf eine militärische Lösung des Krieges in der Ukraine gesetzt haben. Keine einzige diplomatische Initiative wurde durch die Kommission unterstützt, weder die Bemühungen der Türkei, Brasiliens, Chinas, Israels, der afrikanischen Staaten, nicht mal die des Papstes.

Es handelt sich um ein massives politisches Versagen europäischer Politik und auch jetzt in Ihrer Rede, aber auch in Ihrer Rede, Herr Costa, kein einziges Wort dazu, dass die Kommission oder der Rat sich der Diplomatie zuwenden wollen, die doch vor allem und zuallererst der Ukraine dienen würden.“

Im Anschluss an diese Diskussion war ein Gespräch mit Riho Terras zu eben diesen Fragen vereinbart. Leider erreicht mich am Morgen die Nachricht, dass Herr Terras nicht angereist war, eventuell werden wir das Gespräch per Zoom nachholen.

Kurzfristig konnte ich noch für den 12. März ein Gespräch mit Martin Schirdewan zum Thema „Die veränderten Beziehungen zu den USA, wie kann/muss Europa reagieren?“, vereinbaren. Am Schluss stellte ich dann doch noch eine Frage zum Ukraine-Krieg.

Gespräch mit Martin Schirdewan

Ich bin jetzt bei Martin Schirdewan, Europaabgeordneter für die Partei Die Linke und Co-Vorsitzender der Fraktion GUE/NGL im Europaparlament. Sie sind seit 2017 im Europaparlament, also als Nachrücker, 2024 gewählt, und sind im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, in der Delegation für die Beziehung zu den Vereinigten Staaten und als Stellvertreter im Ausschuss für internationalen Handel. Zuerst eine allgemeine Frage, Herr Schirdewan: Was bedeutet für Sie das Mandat im Europaparlament?

Das bedeutet für mich auf einer persönlichen Ebene unglaublich viel Arbeit, aber Arbeit in dem Sinne, dass es sich lohnt, sich für Dinge einzusetzen, die zum Beispiel dazu führen, dass wir unsere Industrie schützen von einem unfairen Handelskrieg, was gerade ganz aktuell ein Thema ist. D

as bedeutet aber auch, dass wir hier als Linksfraktion im Europäischen Parlament in den unruhigen internationalen Zeiten immer wieder ganz klar gesagt haben, wir brauchen Diplomatie, um endlich diesen Krieg in der Ukraine zu beenden.

Jetzt haben Sie schon gesagt: Es sind unruhige Zeiten. Sie sind ja im Ausschuss für Wirtschaft und Währung und zum Zweiten in der Delegation für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Was kann, was soll Europa jetzt tun in diesen veränderten Beziehungen mit den Vereinigten Staaten unter der Trump-Regierung?

Ich glaube, man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass die Vereinigten Staaten sich gerade massiv verändern und nicht wenige und auch ich denken, dass es ein Weg ist, den die USA unter der Regierung Trump einschlagen in Richtung eines mindestens in Teilen autoritären politischen Systems, wo vor allem wirtschaftlich mächtige Menschen, also Oligarchen, die Entscheidungen fällen.

Darauf deutet sehr viel hin und auch die politischen Aktionen, die Trump gerade umsetzt, zum Beispiel die Welt mit einem Handelskrieg zu überziehen oder aber auch sein, wie ich finde, sehr riskantes Spiel, was die internationale Ordnung betrifft, deutet darauf hin, dass wir als EU endlich einen Weg finden müssen, uns unabhängiger zu machen.

Und das ist die Kernschlussfolgerung, uns unabhängiger zu machen von den Vereinigten Staaten, weil wir sonst in einer Situation sind, wo wir immer wieder den Kürzeren ziehen werden.

Martin Schirdewan. Foto: Thomas Köhler
Martin Schirdewan. Foto: Thomas Köhler

Wir sind in vielen Beziehungen abhängig. Ich nehme nur das Thema Digitalisierung. Unser gesamtes System, bis in die Regierung hinein, läuft auf Microsoft. Die Kommunikation läuft größtenteils über Kanäle, die zu Meta gehören. Und auch Parteien, Regierungsorganisationen und Verwaltungen kommunizieren noch auf X, welches Elon Musk gehört. Was wäre denn eine Schlussfolgerung, was man tun müsste?

Wenn man zur Grundannahme macht, und das ist leider die Realität, das klingt absurd, aber ist leider die Realität, dass 80 Prozent des digitalen Binnenmarktes in der EU sich in den Händen großer US-amerikanischer Internetfirmen (Big Tech wie wir so schön sagen) befinden, dann braucht es natürlich ein radikales Umsteuern, denn jede strategische Unabhängigkeit lässt sich nicht realisieren, solange dieser Bereich weiterhin von wenigen einflussreichen Männern, es sind in der Regel nur Männer, die in den USA sitzen, kontrolliert wird.

Elon Musk haben Sie genannt. Da gibt es eine unglaublich schwierige und gefährliche Verschränkung von politischer, wirtschaftlicher und in Teilen auch offensichtlich militärischer Macht. Es geht darum, dass wir massive Investitionen in die digitale Infrastruktur in Europa vornehmen, dass diese Investitionen vor allem europäischen Firmen zugutekommen, dass wir aber gleichzeitig Forschung und Entwicklung vorantreiben, um uns unabhängig zu machen, was zum Beispiel Chip-Produktion betrifft.

Um uns unabhängig zu machen, was Artificial Intelligence, also künstliche Intelligenz, betrifft. Und wir brauchen darüber hinaus, davon bin ich immer mehr überzeugt, auch eigene und möglichst öffentlich kontrollierte soziale Medien, um genau diesen Zusammenhang von privater wirtschaftlicher Macht, veröffentlichter Meinung und damit politischer Macht zu brechen. Das sind die Aufgaben, vor denen wir stehen.

Die EU hat den Digital Services Act verabschiedet, der ja eigentlich die Plattformen bindet. Aber die US-Tech-Firmen, auch natürlich Trump selbt, verweigern sich ja eigentlich diesem Digital Services Act. Gibt es überhaupt Instrumente, diese Regeln durchzusetzen?

Es besteht das EU-Recht und ich finde, das Recht muss umgesetzt werden. Und dass Trump jetzt versucht, seine Buddys zu verteidigen, also neuerdings ja auch Zuckerberg und Bezos, aber vor allem Musk, das ist ja nicht überraschend. Also das hätte man vorher wissen können. Die Kommission hat ja auch Verfahren angestrengt, hat Untersuchungen vorgenommen, auf der Grundlage des Digital Services Act, also des Gesetzes über digitale Dienstleistungen, die diese großen Internetfirmen betreffen, die auch die sozialen Medien betreffen.

Das Kuriose ist, dass die Ergebnisse zurückgehalten werden, weil die Ergebnisse dazu führen, dass diese Firmen natürlich bestehendes europäisches Recht brechen. Das ist meine These. Und da müsste die Kommission darauf reagieren. Das heißt, sie müsste Sanktionen verhängen oder Strafen umsetzen, die ja in diesen Gesetzen auch mit angedeutet sind. Man kann zum Beispiel bei den gröbsten Verstößen bis zu 6 % des jährlichen Umsatzes durch den DSA auf so eine Firma sozusagen packen. Das tut ihnen richtig weh, wenn die 6 % des jährlichen Umsatzes zahlen müssen.

Die Kommission hält die Ergebnisse der Untersuchungen zurück, weil sie, wie ich finde, an dieser Stelle eine völlig falsche Appeasement-Politik gegenüber den USA und der neuen Regierung versucht, anstatt wirklich das geltende europäische Recht durchzusetzen. Denn die verstehen keine andere Sprache als die Sprache der Stärke. Und ich denke, dass die Stärke des Rechts eine gute Grundlage dafür ist.

Sie sind also der Meinung, wir müssen mehr investieren in digitale Dienste, Forschung, Entwicklung und am Ende brauchen wir endlich, was schon seit 20 Jahren überfällig ist, eine europäische Plattform?

Ja, finde ich.

Also auch für die Kommunikation der ganz normalen Bürgerinnen und Bürger.

Absolut.

In den letzten Tagen oder Stunden hat sich ja gerade etwas entwickelt, zum Ukraine-Krieg. In Saudi-Arabien haben sich die Ukraine und die USA auf einen 30tägigen Waffenstillstand geeinigt. Da haben sich natürlich zwei geeinigt, von denen nur einer beteiligt ist und einer gern seine politische Macht zeigen will. Wie schätzen Sie das ein, gestern sprachen Sie sich ja für Diplomatie aus? Wie wird Russland reagieren?

Das ist im Moment die große Frage. Also ich finde erst mal, dass mit der Ukraine eine Kriegspartei einer Waffenruhe, einem Waffenstillstand zustimmt, stimmt mich sehr hoffnungsfroh. Also das stimmt mich hoffnungsfroh, dass wir hoffentlich in eine Situation geraten, wo nach der Waffenruhe Friedensverhandlungen beginnen können. Das hängt wirklich davon ab, ob Russland dem zustimmt oder nicht.

Da habe ich durchaus Skepsis, aber vielleicht gelingt es ja in den Gesprächen, die jetzt auch anstehen, mit Russland, Russland und vor allem Putin, der ja diesen Krieg begonnen hat, dazu zu bewegen, in die Waffenruhe zumindest einzuwilligen, um dann wirklich über Frieden zu verhandeln und zu einem gerechten und anhaltenden Frieden zu gelangen.

Herr Schirdewan, ich bedanke mich für das Gespräch.

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