Wenn man in den letzten Tagen im Internet Leipziger Seiten aufgerufen hat, kam man um die Bilder der toten Vögel am Technischen Rathaus nicht herum. Fast erschreckender als der Anblick selbst waren die extrem hohen Zahlen der täglichen Funde. Allein an einem einzigen Wochenende wurden 38 tote Meisen am Technischen Rathaus gefunden, verunglückt, weil sie gegen die Glasbrücken geflogen sind, die für sie nicht als Hindernis zu erkennen waren.
Seit Jahren schon kämpft Karsten Peterlein mit weiteren Naturfreunden aus dem NABU gegen solche unsichtbaren Todesfallen in Leipzig. Er hat vor fast 11 Jahren die Wildvogelhilfe Leipzig gegründet, in deren Pflegestation etliche dieser Anflugopfer wieder aufgepäppelt werden – sofern sie das Glück hatten, zu überleben.
Neben den Opfern der vielen Glasfronten sind es aber auch Jungvögel, die nicht mehr versorgt werden von den Eltern oder vermeintlich von diesen verlassen wurden. Viele Menschen halten ein am Boden sitzendes Jungtier automatisch für hilfebedürftig und wissen nicht, dass dieses weiter von den Eltern versorgt wird.
Aber auch Lebensraumschwund, zunehmender Verkehr und Bauarbeiten werden immer mehr zur Gefahr für Vögel. Dachsanierungen beispielsweise, wo Nester freigelegt oder Fassadenlöcher sehr oft einfach zugespachtelt werden, ohne die Jungtiere vorher zu retten. Die dann qualvoll in dieser Falle sterben, begleitet von aufgeregten Vogeleltern, die noch tagelang vergeblich versuchen, ihren Nachwuchs irgendwie zu befreien.
Über die Arbeit der Wildvogelhilfe und seine Erfahrungen mit der Situation in Leipzig haben wir Karsten Peterlein ein paar Fragen gestellt.
Hallo, Herr Peterlein! Was passiert genau beim Vogelschlag, haben die Vögel da eigentlich eine Überlebenschance?
Die meisten Vögel sterben leider. Überlebende erleiden ein sogenanntes Anflugtrauma. Dabei kann eine Gehirnerschütterung auftreten. Auch innere Verletzungen und Frakturen sind möglich. Seit unserer Gründung der Wildvogelhilfe im Jahr 2013 wurden uns 4.500 Vögel nach Vogelschlag an Glas gemeldet.
Rund 70 % der gemeldeten Vögel sterben durch die Kollision. Von den restlichen 30% erholen sich etwa die Hälfte nach ein paar Stunden wieder. Die übrigen 15% brauchen längere Zeit zur Rehabilitation und werden zu uns oder anderen Pflegstationen gebracht. Seit 2013 haben wir 582 Vogelschlagopfer stationär aufgenommen.
Wie reagiert denn ein Bauherr, wenn Sie fordern, dass da entweder die Gläser markiert werden oder anders gebaut wird? Gibt es da überhaupt Menschen, die zuhören?
Ja, die Menschen hören zu. Niemand möchte absichtlich Vögel töten. Es braucht aber noch sehr viel Aufklärung, denn vielen ist das Problem nicht bewusst. Die meisten Meldungen kommen von Privatleuten, also Menschen, die am Stadtrand z.B im Eigenheim mit Wintergarten wohnen und selbst geschockt sind, wenn an dessen Scheiben ein Vogel verunglückt. Oder von Passanten, die zufällig irgendwo in der Stadt tote Vögel entdecken.
Wir schauen daraufhin genauer, ob die Ursache Vogelschlag war. Wenn es eindeutige Abdrücke an den Scheiben gibt, dokumentieren wir das und schauen regelmäßig an betroffenen Gebäuden. Es gibt aber auch ein paar Hotspots, auch städtische Gebäude mit großen Fenstern oder die Haltestellenhäuschen, die neu gebaut wurden, wo es zu mehreren Scheibenanflügen innerhalb weniger Tage kam.
Und da sind wir schon oft auf Widerstand gestoßen. Manchmal heißt es: „Warum kommt ihr erst jetzt“ oder „Jetzt ist es fertig, jetzt ist es zu spät, die Ausschreibung ist gelaufen“.
Dabei sind wir in einigen Fällen, sofern uns das bekannt wurde, wirklich vorher auf die Bauherren zugegangen. Beispielsweise bei den Haltestellenhäuschen. Wir hatten die Information, dass die getauscht werden sollen, in der Zeitung gelesen und deshalb frühzeitig per Mail die LVB angeschrieben, dass die Scheiben in dem Zuge bitte gleich vogelschlagsicher gestaltet werden sollten. Da kamen wir aber offensichtlich schon zu spät, die Antwort lautete, die Ausschreibung lief, RBL Media hat den Zuschlag und dann ist das so.
In ehrenamtlicher Arbeit gehen wir immer dann los, wenn erste Hinweise vorliegen und erfassen die Fälle. Bei erreichen der sogenannten Signifikanzschwelle, die jährlich bei fünf Vögeln auf 100 Meter Fassadenlänge liegt, können gegenüber dem Gebäudeeigentümer Auflagen für vogelsichere Scheiben erteilt werden.
Ein zweites prominentes Beispiel ist ein Neubau an der Max-Liebermann-Straße, der auch auf unserer Webseite beschrieben ist. Wir haben an der Bautafel gesehen, dass eine große Glaswand als Lärmschutz zwei Gebäude verbinden soll. Wir waren sofort alarmiert und sahen eine Vogelfalle in dieser Ausführung. Wir haben die Immobilienfirma frühzeitig angeschrieben, aber es gab keine Reaktion.
Und dann, wo das Glas montiert wurde, haben wir praktisch über ein Jahr lang nachgewiesen, dass da ständig Vögel dagegengeflogen sind. Nach einem Jahr hatten wir 35 tote Vögel (15 verschiedene Arten) registriert. Nach gründlicher Dokumentation der Fälle gab es ein Vor-Ort-Treffen mit der Naturschutzbehörde und der Immobilienfirma, um das Problem zu erörtern. Die Behörde hatte angeordnet, dass die Scheiben vogelsicher zu gestalten sind.
Wir haben einige Muster gezeigt, wie so große Glasflächen für Vögel sichtbar gemacht werden können. Es gibt sehr schöne dezente Muster mit Punkten oder Streifen, die den Lichteinfall nicht beeinträchtigen. Aber unser Rat war nicht gefragt.
Dann wurde der Bauherr von einem fragwürdigen Unternehmen auch noch falsch beraten. Transparente Aufkleber mit UV-Beschichtung sollen angeblich den Vogelschlag verhindern. Natürlich sind diese für Vögel unsichtbaren Aufkleber wirkungslos, was wir mit weiteren Vogelopfern belegen konnten. Daraufhin gab es die erneute Anordnung, die Scheiben wirksam zu gestalten. Dieses große unnötige Vogelsterben hätte vermieden werden können.
An den neu gebauten verglasten Fahrstühlen an Paunsdorfer Plattenbauten war es auch ein längerer Kampf. Unsere ersten Bemühungen, das Glas, wo nachweislich Vögel dagegengeflogen waren, vogelsicher zu gestalten, stießen auf Ablehnung. Es gab auch einen Vororttermin mit der Naturschutzbehörde, um das Wohnungsunternehmen auf den gesetzlichen Artenschutz hinzuweisen.
Die Bäume spiegeln sich im Glas und die Vögel sehen eben im Glas keinen Unterschied zum echten Baum. Vögel erkennen das Glas als Hindernis nicht. Es gibt bestimmte Tageszeiten, wo die Spiegelung so intensiv ist, je nach Lichteinfall, da würden wir Menschen auch dagegenlaufen.
Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Unsere Beobachtungen zeigen, dass Rabenkrähen am Tag und Füchse in der Nacht die verunglückten Vögel vor den Glasscheiben wegtragen. Somit bleiben einige Anflugopfer ungezählt.
Es gibt auch immer wieder Anflugopfer mit Autos, beispielsweise Eisvögel und Spechte, die über die Brücken fliegen. Wir haben ja etliche Flüsse in Leipzig und wenn die Vögel über die Brücke statt darunter durchfliegen, kommt es zum Zusammenprall mit Fahrzeugen.
Wie finanzieren Sie die Wildvogelhilfe denn?
Wir finanzieren unsere Arbeit seit unserer Gründung vor 10 Jahren ausschließlich aus Spenden. In den ersten fünf Jahren war es schwierig, die Kosten zu stemmen. Danach gab es ein Auf und Ab. Inzwischen läuft es etwas besser und in den letzten Jahren ist es mit viel Öffentlichkeitsarbeit gelungen, unsere Jährlichen Kosten von ca. 18.000 Euro einzuwerben.
Viele Menschen folgen uns auf unseren Social-Media Kanälen auf Facebook und Instagram. Dort berichten wir mit bis zu 120 Posts jedes Jahr über unsere ehrenamtliche Arbeit. Neben öffentlichen Vorträgen bieten die Berichte im Internet zum Teil ausführliche Einblicke in unsere Arbeit.
Übrigens: Am Dienstag, dem 19.03.2024 gibt es ab 18 Uhr einen Vortrag zum Thema „Gefahren für Vögel in unserer Stadt“. Darin geht es auch um Vogelschlag an Glas. Gastgeber ist der Ornithologische Verein zu Leipzig e.V. Los geht es 18 Uhr im Naturkundemuseum, Lortzingstraße3
Wie viele Leute arbeiten bei der Wildvogelhilfe Tierrettung?
Bei der Tierrettung sind es im Jahr so zwischen 20 – 30 Menschen, die gelegentlich mithelfen. Wir haben eine WhatsApp Vogelrettungsgruppe. Darin organisieren wir die Einsätze kurz nachdem ein Hilferuf eingeht. In der Vogelpflege helfen leider nur 1-2 Menschen im Jahr. Hier fehlt es an Menschen mit ausreichend verfügbarer Zeit. Die Wildvogelhilfe sucht dringend Mitstreiter/-innen zum Füttern.
Jungvögel beispielsweise müssen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gefüttert werden. Die komplette Tageslichtzeit wird stündlich gefüttert. Bei Singvögeln häufig nur 14 Tage. Bei Singvögeln dauert die Nestlingszeit von Schlupf bis zum flüggen Jungvogel oft nur 14 Tage. Diese erstaunlich schnelle Entwicklung dürfen wir in der Handaufzucht nicht durch lange Fütterungspausen unterbrechen, damit sich die Tiere gesund entwickeln.
Gibt es denn keine Unterstützung von der Stadt?
Uns ist keine Förderung für Wildtierstationen bekannt.
Gibt es noch etwas, das Sie den Menschen sagen möchten?
Ich sehe durch die Stadtentwicklung der letzten 10 Jahre einen rasanten Rückgang unserer Vogelwelt. Das liegt zum Teil an der wachsenden Stadt, aber auch am fehlenden Willen, Freiflächen sinnvoll tierfreundlich zu gestalten. Platz für Vögel und andere Tiere zu schaffen, fängt mit der richtigen Pflanzenauswahl an. Heimische Gehölze in ausreichendem Umfang bieten Nahrung, Ruhe- und Brutplatz.
Wenn wir den Rückgang unserer Stadtvögel aufhalten wollen, müssen wir lernen, die Stadt für unsere tierischen Nachbarn mitzudenken. In jedem Stadtteil wird gebaut. Es entstehen neue Schulen, Bürogebäude oder Wohnhäuser.
Naturschützer/-innen sollen kompromissbereit sein, höre ich öfter. Die Lebensräume schrumpfen, dabei hat doch niemand etwas gegen Vögel. Die Rücksichtnahme muss bei der Bauplanung anfangen. In den letzten 10 Jahren hatten alle Neubauvorhaben in Leipzig den Verlust des vorherigen Artinventars zur Auswirkung. Das hat mit Kompromiss nichts zu tun. Dabei ist es möglich, funktionale Lebensräume zu berücksichtigen und in der Freiflächengestaltung mit einzuplanen.
Wir können es uns auch nicht mehr leisten, jede Brache zu bebauen. Die immer dichter bebaute Stadt wird zur ökologischen Falle für Mensch und Natur. Das merken wir an der zunehmenden Hitzebelastung im Sommer. Das merken wir außerdem, weil den Tieren durch Flächenverlust die grünen Wanderkorridore fehlen, die von neu gepflanzten Straßenbäumen nicht ersetzt werden können. Immer häufiger gibt es Kollisionen mit Tieren auf Straßen, weil Flächenrodungen die Tiere vertreibt und sie sich neue Flächen suchen müssen.
Die Zahl der Vogelschlagopfer an Glas nimmt weiter zu. Vögel suchen die verbliebenen Lebensräume auf, die im spiegelnden Glas größer scheinen als sie noch sind. Das Vogelsterben muss enden. Kommt gern zu unserem offenen Naturschutzabend, immer am dritten Mittwoch ab 17 Uhr im Naturkundemuseum. Wir beraten euch, wie ihr mithelfen und selbst aktiv werden könnt.
Weitere Informationen
Lebensräume für Vögel, Igel und Insekten kann jede und jeder auf kleinem Raum im Garten, Hinterhof, Schulhof oder Firmengelände schaffen: www.mein-biotop.de
Beispiele von Vogelschlag an Glas in Leipzig: www.nabu-leipzig.de/glasopfer
Um Vogelschlag zu verhindern gibt es hier Informationen: www.nabu.de/vogelschlag
Über die Arbeit der Wildvogelhilfe Leipzig: www.wildvogelhilfe-leipzig.de
Keine Kommentare bisher
Der Tod an den Glasfronten hat eine viel größere Dimension als das Roden am Leuschnerplatz, zumal die verhungern den Jungvögel noch dazu kommen. Bei der Prüfung artenschutzrechtlicher Verbote beim Neubau würde bei sachgerechter Genehmigungsplanung und Genehmigung sicherlich regelmäßig mit dem ästhteischen Anspruch abgehobener Architekten kollidieren.