Wir leben in eine Zeit, in der sich vieles ändert. Und wenn wir ganz viel Glück haben, werden künftige Generationen sagen: „Da haben sie es kapiert. Da haben sie verstanden, dass man die Welt nicht zerstören darf, die einem das Leben ermöglicht.“ Noch sind wir nicht da. Auch nicht, was unser Verständnis von guter Ernährung betrifft. Dass unser falsches Verhältnis zu den Tieren ein Teil unseres falschen Denkens über die Welt ist, zeigte am Samstag, 3. September, der Animal Liberation March.
Rund 200 Teilnehmer/-innen kamen teils weit angereist, um am Animal Liberation March in Leipzig teilzunehmen. Den letzten gab es 2020. 2021 musste er aufgrund der Corona-Einschränkungen ausfallen. Aber diesmal gab es sogar sonniges Wetter für die Demonstration, die vom Augustusplatz zum Leipziger Zoo und wieder zurückführte.
Zum Zoo aus verschiedenen Gründen, nicht nur, weil dort Tiere eingesperrt sind. Und zwar unter Bedingungen, die nur vage an ihre natürlichen Lebensbedingungen erinnern. Oft werden Zoos ja auch schon als „Archen der Neuzeit“ bezeichnet, weil hier Tiere am Leben erhalten werden, deren Bestand in der freien Wildbahn aufs Höchste bedroht ist.
Sie sind also eigentlich Mahnmale für den rücksichtslosen Umgang der Menschen mit der Artenvielfalt weltweit, dem Zerstören der letzten Rückzugsräume und eine Wirtschaft, die für den Profit auch noch das letzte wertvolle Reservoir an Biodiversität zerstört. So wie die brasilianischen Regenwälder systematisch zerstört werden, um das Futter für die europäische Vielhaltung anzubauen.
Das Umweltbundesamt hat einmal ausgerechnet, wie groß der Anteil der deutschen Landwirtschaft an den klimaschädlichen Emissionen der Bundesrepublik ist:
„Im Jahr 2021 war die deutsche Landwirtschaft entsprechend einer ersten Schätzung somit insgesamt für 54,8 Millionen Tonnen (Mio. t) Kohlendioxid (CO₂)-Äquivalente verantwortlich (siehe Abb. ‚Treibhausgas-Emissionen der Landwirtschaft nach Kategorien‘). Das entspricht 7 % der gesamten Treibhausgas-Emissionen des Jahres.
Diese Werte erhöhen sich auf 61,1 Millionen Tonnen (Mio. t) Kohlendioxid (CO₂)-Äquivalente bzw. 8 % Anteil an den Gesamtemissionen, wenn die Emissionsquellen der mobilen und stationären Verbrennung mit berücksichtigt werden. Somit hat die Landwirtschaft einen substantiellen Anteil an den Treibhausgas-Emissionen in Deutschland, vergleichbar mit dem Beitrag der gesamten Industrieprozesse.“
Weltzerstörung mit Massentierhaltung
Die Zahlen sind trotzdem viel zu niedrig. Denn die Emissionen, die wir mit unserer weltweiten Nahrungslogistik verursachen, liegen um das Doppelte bis Dreifache höher. Und den Löwenanteil hat dabei die „Tierproduktion“, also die „Produktion“ von Tieren in rücksichtslosen Mast- und Schlachtstrecken, in denen es nicht ansatzweise um Tierwohl und einen rücksichtsvollen Umgang mit den Tieren geht, sondern um die schnellstmögliche Herstellung maximaler Fleischmengen zu einem möglichst geringen Preis.
Wie das genau aussieht, erzählte am Samstag der ehemalige Metzger und inzwischen bekannte Tierrechtsaktivisten Peter Hübner, der in seiner Zeit als ausgebildeter Metzger selbst miterlebte, wie die billigen Fleischberge auf unseren Tellern produziert werden.
Produziert diesmal ohne Anführungszeichen, denn auch all die scheinbaren Verbesserungen in der Tierhaltung, die die Politik sich in den letzten Jahren abgequält hat, haben am Tierleid, dem rabiaten Umgang mit den Tieren und der Grausamkeit ihrer Zucht und Haltung in der Massentierhaltung nichts geändert.
Indem Hübner auch auf die Menschen einging, die – in der Regel aus Osteuropa – als billige Arbeitskräfte in der Schlachtindustrie eingesetzt werden, wird auch sichtbar, dass das Verwertungssystem der Tiere auch vor den Menschen nicht haltmacht.
Nur dass die Skandale, die dann ab und zu in den Medien thematisiert werden, alle ziemlich schnell verebben, weil die Lobby der Agrarindustrie und der Schlachtbetriebe enormen Einfluss auf die Politik hat und die Tierrechte, wie sie im Grundgesetz verankert sind, nicht zählen, wenn es um den Profit all derer geht, die an diesem System partizipieren.
Immer mehr verzichten auf tierische Produkte
Wobei die Bewegung der veganen Ernährung langsam wächst in Deutschland. „Laut Statista leben 2022 nach eigener Aussage rund 1,58 Millionen Menschen vegan und damit bereits 170.000 Menschen mehr als noch 2021“, teilte Animal Liberation Leipzig als Organisator der Leipziger Demonstration mit.
„Doch der Animal Liberation March strebt nicht nur ein Umdenken in der Ernährung an, sondern positioniert sich gegen alle Formen von Unterdrückung und Ausbeutung und somit neben dem Ende der landwirtschaftlichen Tierhaltung, auch gegen Institutionen, die Tiere als Wirtschaftsware sehen und sie als solche behandeln, wie etwa Tierversuchslabore, den Leipziger Zoo oder die Pferderennbahn Scheibenholz.“
Auch die Kundgebung am Zoo, wo Finn von den Tierbefreiern Leipzig sprach, machte deutlich, dass unser Umgang mit den Tieren letztlich auch vom Umgang mit Unseresgleichen erzählt. Denn der Zoo steckt nun seit geraumer Zeit in einer ernsthaften Kolonialismus-Diskussion und muss immer wieder Stellung nehmen zu den „Völkerschauen“, die hier vor über 100 Jahren stattfanden.
Sowohl im Kolonialismus und seinem heutigen Nachfolger, dem Neokolonialismus, den viele gar nicht wahrnehmen als solchen, als auch im Rassismus steckt eine Abwertung – eine doppelte Abwertung: Menschen werden wie Tiere betrachtet und behandelt. Und entsprechend ausgebeutet.
Es ist das Überlegenheitsdenken, das uns gefühllos macht
Auf die neokoloniale Ausbeutung kam auf dem Augustusplatz auch der YouTuber Patrick Schönfeld aus Dresden, bekannt als Der Artgenosse, zu sprechen. Denn indem wir das Leid der Tiere, die wir zu Nahrung verarbeiten, völlig ignorieren, wird auch unsere Blindheit für die gesamte belebte Natur sichtbar.
Und damit eine Denkweise, die eben nicht nur Menschen in Hierarchien ordnet (mit schlimmen Folgen für all die Menschen unten in der Pyramide), sondern die anderen Lebewesen auch noch darunter einsortiert und dementsprechend rücksichtslos tötet, quält, verdrängt und entwertet.
Und das, obwohl wir inzwischen wissen, wie sehr wir auf eine lebendige und gesunde Mitwelt angewiesen sind. Und gleichzeitig wissen wir – die Medienberichte sind ja nicht aus der Welt – unter welchen brutalen Bedingungen das billige Fleisch und die Milch hergestellt werden, die in Deutschland in einer solchen Menge „produziert“ werden, dass Deutschland beides in alle Welt exportiert – und damit gleichzeitig die Märkte in ärmeren Ländern kaputtmacht.
Glückliche Kühe auf grünen Wiesen
Dabei muss der Mensch gar kein Fleisch essen, schon gar nicht in diesen riesigen Mengen. Nicht ohne Grund entschließen sich immer mehr Menschen, zum Veganer zu werden – d. h. auf sämtliche tierischen Nahrungsmittel zu verzichten.
Es gibt längst ein reiches Angebot an Nahrungsmitteln, die eine alternative Ernährung möglich machen. Zwei Foodtrucks auf dem Augustusplatz zeigten am Samstag den aktuellen Stand der veganen Küche.
„Die vegane Bewegung wächst jedes Jahr – nicht zuletzt aufgrund des steigenden Bewusstseins für die Haltungsbedingungen der Tiere, sowie für die schlechten Arbeitsbedingungen von Menschen in der Tierindustrie“, stellt Anima Liberation Leipzig fest.
„Letzteres rückte 2020 in den Fokus der Öffentlichkeit, als schlechte Arbeits- und Wohnbedingungen bei der Firma Tönnies – Europas größtem Schlachtbetrieb – zu einem Corona-Ausbruch und zum Lockdown eines ganzen Kreises führten.“
Auch daran hat sich ja bis heute so gut wie nichts geändert. Und da die Politik eine Heidenangst davor hat, den großen Fleischkonzernen die Rote Karte zu zeigen, hilft wahrscheinlich auch vielen, die noch glauben, auf Fleisch nicht verzichten zu können, das, was Peter Hübner in seinem Redebeitrag alles angerissen hat.
Denn für gewöhnlich lässt die Fleischindustrie die Konsumenten nicht hinter die Kulissen schauen, ködert sie mit „glücklichen Kühen auf grünen Wiesen“ und erzeugt damit ein Bild in den Köpfen der Grillmeister und Steakliebhaber, das mit der Wirklichkeit in den Zucht-, Mast- und Schlachtbetrieben nichts zu tun hat.
Nur eines wird deutlicher: Unser Verhältnis zur lebenden Kreatur erzählt in aller Klarheit auch von unserem Verhältnis zum Planeten Erde. Und zu uns selbst. Denn die Gleichgültigkeit der Tatsache gegenüber, wie das Essen auf unserem Teller entsteht, erzählt auch von unserer eigenen Gefühllosigkeit uns selbst gegenüber.
Impressionen der Demonstration
Die kompletten Redebeiträge
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