Jeder Mensch hat zum Glück und Dank der grundgesetzlichen Versammlungsfreiheit die Möglichkeit, seine Anliegen aus dem Netz auf die Straße zu tragen. So auch Helmut Bauer, der den Anfang einer großen Bewegung machen wollte und am 11. Januar 2020 von Niederbayern heranfahrend in Leipzig zum Protest auf die Straße rief. Doch während sich im Netz hunderttausende Facebooknutzer unter „Der grüne Schrei“, vor allem aber unter „Fridays for Hubraum“ und „Hubraum for Future“ über CO2-Steuer, vorgebliche „Klimahysterie“ und die Segnungen erhöhter CO2-Werte gegenseitig bestätigen, blieb der Weitgereiste heute praktisch allein. Dafür kam Fridays for Future Leipzig zu Besuch.
Im Vorfeld hieß es als Lob an den bayrischen Versammlungsanmelder noch: „ja, die im Osten, die bekommen den A… hoch, die machen was“. Auch vor Ort war der Eslarner Helmut Bauer sicher, dass es gut sei, in Sachsen anzufangen, hier also den Kampf gegen die CO2-Steuer, das Klimapaket, gegen Altersarmut, für Verbrennungsmotoren und Ölheizungen zu starten (zum Thema doppeltes Kindergeld und dass 70 % der Rente weniger als 100 % Rente sind, später). Warum er nicht in seiner knapp 3.000 Einwohner zählenden Heimatgemeinde damit beginnen wollte, ist offen.
Irgendwie muss er erwartet haben, in Leipzig sei Dauerrevolution und die Sachsen hätten Potential zum Massenauflauf für mehr Hubraum und gegen Klimapolitik. Am 11. Januar, vor dem Start um 12 Uhr am Kleinen Willy Brandt Platz, stand bei ihm – offenbar aus dem mitgebrachten Mercedes Benz heraus mitgeteilt – auf Facebook jedenfalls zu lesen: „Leipzig steh auf! Jochen und ich sind auf dem weg zu euch! Unsere Demo läuft.“
Zumindest dieser letzte Ruf um Beteiligung kam ohne Schreibfehler (ja, “Weg” schreibt man groß, sonst ist man weg), wie noch beim ehemaligen SPD-Bundeskanzler, aus. Doch bis auf ein zwei „Daumen hoch“ blieb das Echo gering und die Demo eine Kundgebung, die von 12 bis 20 Uhr mit mitgebrachten Brötchen und holprig formulierten Schildern herumstand.
Auf diesen vor Ort dann praktisch auf Plakatgröße gebrachte Facebooksprüche war das inhaltlich alles, was man sonst so im blauen Netz bei Klimawandelleugnern, PS-Fetischisten und allgemein kritischen Freidenkern heutiger Tage findet. Ein wenig Häme über „Gretel“ – hier also Greta Thunberg, die nunmehr die Rente der Senioren angeblich auf das Heftigste zerstört und die scheinbar grenzverblödeten Kinder von Fridays for Future das befürworten. Dafür gibt’s eben eine Strafe, denn der Opa kann sich zukünftig nur noch einen Euro Geburtstagsgeld „abhungern“.
Ein Vorübergehender kommentierte umgehend Facebook-like mit: „Hehe, der ist gut“, stehenbleiben und mitdemonstrieren wollte er aber auch nicht. Stattdessen gings rüber in die Bahnhofspromenaden, mutmaßlich zum Samstagsshopping. Ob Greta Thunberg den deutschen Rentnern ihr Geld nehmen will, wurde nicht ausdiskutiert, aber es ist wohl wahrscheinlicher, dass die deutsche Bundesregierung mit dem falschen CO2-Steuermodell (ohne „Dividendenregelung“, also sozialer Umverteilung) und einer bis heute verzögerten, nun noch in technischen Details zu klärenden „Grundrente“, eher der Adressat für (korrekte) Kritik wäre.
Wenn ein Mensch erst einmal ganz fest glaubt, was nützen Argumente …
Schon hier war der Bildungsnotstand auf dieser, mit gutem Willen geschätzten 20 Teilnehmer/-innen stattfindenden Kundgebung, offenkundig. Eben jene Mischung, wie sie aus den geschlossenen Gruppen in den sozialen Netzwerken durch permanente Selbstbestätigungen ohne Widerspruch erzeugt wird. Einzig am „doppelten Kindergeld“ hatten sich natürlich ausländerfeindliche Kommentatoren aufgehalten – dies gelte ja dann auch für alle, die Kinder bekommen. Bauer hatte also vielleicht nur vergessen „für deutsche“ oder noch besser „für volksdeutsche“ oder gar „blutsdeutsche“ Kinder hinzuschreiben (oder er hatte hier eine einfache soziale Forderung gegen Kinderarmut gestellt?).
Was hingegen in anderen Ländern als CO2-Abgabe mit Umverteilung nach Konsummengen (also mit Auszahlungen von Geld für klimagerechtes Verhalten als „Dividende“) funktioniert, hat Deutschland aktuell nicht in Planung. Hier müssen vielleicht sinkende Bahnpreise (ohne entsprechende Streckenangebote auf dem Land) vorerst genügen.
Diesen halbherzigen Weg zu kritisieren, eine höhere CO2-Abgabe mit Umverteilung und so eine sozialgerechte Klimapolitik zu fordern, wäre wohl schlau, fand jedoch auf dieser Seite des Willy-Brandt-Platzes nicht statt. In Klimapolitik generell ein Armutsprogramm zu sehen, ist das Gegenteil davon und zudem einer der plattesten, längst bekannten Vorwürfe gegen die Fridays for Future-Bewegung.
Was dann zu einem eher versöhnlichen Ende beitrug, waren die zunehmenden Besuche der Gegendemonstranten bei Helmut Bauers Kleinstveranstaltung und die Dialogversuche der Gegendemonstranten.
Zwar schlug Bauer selbst als Haupt- und Alleinredner seiner Kundgebung große Bögen vom wegbleibenden Solidarpaktgeld zur CO2-Abgabe (die nur dazu da sei, die Löcher zu stopfen), bis hin zum „schon immer stattfindenden Klimawandel“ (also Ausschluss des menschlichen Einflusses auf die derzeitigen Turboveränderungen) in direkten Gesprächen bis hin zu einem Klassiker der Facebook-Universität ( die fast zu 100 Prozent übereinstimmenden Klimawissenschaftler seien widerlegt). Dennoch versuchten es seine jungen Gegenüber erst mit Rufen zur Vernunft und anschließend mit Dialog.
Und am Ende standen dann doch noch fast 40 Menschen auf seiner Seite des Brandt-Platzes und diskutierten mit ihm und seinen wenigen Unterstützern.
Dr. Heike Wex (Scientists for Future Leipzig & Forscherin am Leibniz-Institut) erklärt das Problem mit dem menschgemachten Klimawandel
Video L-IZ.de / Youtube-Channel
Randbeobachtungen
Vielleicht hat Bauer aus den Gesprächen ja zumindest jenes für zukünftige Netzwerkdebatten auf den Weg nach Hause mitgenommen, was ihm die „Workers for Future“ auf Twitter hinterherschrieben: „1. Wenn ihr eine Rentenerhöhung fordert, muss es UM 70% heißen, ansonsten würdet ihr sie senken. 2. Altersarmut ist kacke – finden wir auch. Was genau hält euch davon ab Klimamaßnahmen+sichere Grundrente zu fordern? 3. Eurer AfD/FDP/CDU nach müsstet ihr riestern.“
Mehr ist wohl nicht zu erwarten, mit jedem Kilometer, den er anschließend seiner niederbayrischen Heimat entgegenfuhr, näherte er sich auch wieder seiner Facebookblase aus „Hubraum for Future“ und Co..
Dennoch wäre das schon mehr, als die sächsische Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann (CDU) von ihrer OB-Wahlkampfunterstützungs-Visite aus Leipzig mit nach Hause genommen hat. Mehr als ein Foto war nicht drin, als sie gegen Nachmittag bei den rund 80 „Fridays for Future“-Demonstranten vorbeikam. Man darf gespannt sein, was die als rechtsaußen geltende Befürworterin von (späteren) CDU-AfD-Koalitionen aus dem Bild später bei Facebook machen wird.
Immerhin war eine Antifa-Fahne zu sehen. Das müsste im Erzgebirgskreis Sachsen genügen, um an jeder Sachfrage dieses 11. Januar 2020 (eben auch der vierte Jahrestag des Überfalls von über 200 Neonazis auf den Stadtteil Connewitz) vorbeizuposten.
Video-Impressionen vom 11. Januar 2020
Video: L-IZ.de
Ein Spaziergang im Kohlerevier: Fridays for Future zu Besuch bei Ende Gelände + Bildergalerien & Videos
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