Ein Jahr lang lebte Alexander Schiebel in Leipzig. In seinem Blog erzählt ein Foto noch vom letzten Tag im April 2019, als seine Familie aufbrach zu einer großen Recherchereise um die Welt. In Leipzig hat der Südtiroler kaum Spuren hinterlassen. Viele Leipziger kennen ihn trotzdem durch sein Buch und den gleichnamigen Dokumentarfilm „Das Wunder von Mals“. Dafür soll er jetzt vor Gericht.
„Die Klage gegen Alexander Schiebel hatten Landwirtschafs-Landesrat Arnold Schuler und der Bauernbund eingereicht“, meldete am 1. Januar die in Bozen erscheinende „Tageszeitung“. „Über den Antrag auf Einleitung eines Hauptverfahrens gegen den Autor des Buches ,Das Wunder von Mals‘ wird am 19. März am Landesgericht in Bozen entschieden.“
„Der gebürtige Wiener soll laut Staatsanwaltschaft angeklagt werden, weil er das Ansehen der Südtiroler Landwirte verletzt hat“.
Das „Ansehen der Südtiroler Landwirte“?
In „Das Wunder von Mals. Wie ein Dorf der Agrarindustrie die Stirn bietet“ erzählt Schiebel, wie die Südtiroler Gemeinde Mals per Volksabstimmung entschied, die erste „Pestizid-freie Gemeinde Europas“ zu werden. Das Volksbegehren war eine Reaktion auf den massenhaften Einsatz von Pestiziden in den Südtiroler Apfelbaum-Plantagen. Und die Malser hatten die Nase voll, in einer Umgebung zu leben, in der die in Reih und Glied gepflanzten Apfelbaumplantagen Jahr für Jahr mit Unmengen von Pestiziden besprüht wurden.
Der Film machte europaweit Furore und sorgte gehörig dafür, dass die großen Pestizid-Hersteller ihr mit jeder Menge Werbegeld aufgemotztes Strahlemann-Image verloren.
Das Wunder von Mals Offizieller Trailer
Und seitdem wird auch in Leipzig ernsthaft darüber diskutiert, wie man Pflanzen- und Ackergifte aus der Stadt bekommt. Denn – so erzählen es ja auch Buch und Film – dass die Bauern sich gezwungen sehen, massenhaft Pestizide einzusetzen, hat mit dem System der heutigen Landwirtschaft zu tun, dem enormen Preisdruck auf Agrarprodukte, der Übermacht riesiger Agrar- und Lebensmittelkonzerne und einem völlig falsch gewichteten Subventionssystem, das auch die europäischen Bauern in eine weltweite Konkurrenz der Billigpreise zwingt, die am Ende den einzelnen Bauern nur eine Wahl lassen – sich fügen und mit umweltschädlichen Technologien weiterzumachen, solange der Hof nicht gepfändet wird.
Oder sie steigen komplett aus und bauen eine ökologische Landwirtschaft auf. Was aber in Regionen wie Südtirol fast unmöglich ist. Denn solange auf den Nachbarplantagen gespritzt wird, ist auf den eigene Feldern keine ökologische Landwirtschaft möglich.
So gesehen reagiert der Südtiroler Bauernverband mit zwei Jahren Verzögerung auf die eigentliche Herausforderung: die Volksabstimmung in Mals.
Denn wenn das in Südtirol Schule macht, dann verlieren die großen Pestizidhersteller hier ihren Markt. Und dass das dann in weiteren Teilen Europas Schule macht, sorgt natürlich in den Absatzabteilungen der Chemiekonzerne heute schon für Besorgnis. Denn wenn Bauern auf deren Produkte verzichten, verlieren sie ihre Marktmacht. In den USA sind nach wie vor Prozesse gegen den Bayer-Konzern anhängig, der ja bekanntlich den Glyphosat-Hersteller Monsanto geschluckt hatte.
Und selbst in Leipzig tauchten im letzten Jahr diese seltsamen Plakate auf, die wieder die übliche Argumentation der Chemieriesen verkündeten: Ohne Pflanzenschutz gäbe es „zu wenig Ernte“. Mit Pflanzenschutz sind hier Produkte wie Glyphosat gemeint. Dass es freilich ohne den Einsatz von Pestiziden „zu wenig Ernte“ gäbe, darf bezweifelt werden.
Es wird weniger Ertrag je Hektar geben. Aber die Bauern sind dann nicht mehr von gigantischen Saatgut- und Pestizidkonzernen abhängig. Eine Abhängigkeit, die uns alle mit tiefster Besorgnis erfüllen sollte, wie Vandana Shiva und Lionel Astruc in ihrem Buch „Eine andere Welt ist möglich“ sehr deutlich beschrieben.
Leben ohne Ackergift – Das unbeugsame Dorf im Vinschgau.GERMAN DOKU
Denn es geht nicht nur um kurzzeitig künstlich in die Höhe getriebene Hektarerträge, die dann nach Jahren des Raubbaus am Boden und riesigen, artenarmen Monokulturen zu Ernte- und Bodenverlusten führen. Es geht um einen schonenden Umgang mit den Böden. Indem Bauern mit der Natur wirtschaften und nicht gegen sie, Raum für Nützlinge und Insekten lassen und Boden wie Grundwasser schützen, sorgen sie langfristig für Erträge. Auch noch in Generationen.
Und Schiebel kämpfte nicht nur gegen den Pestizideinsatz in Südtirol, sondern auch gegen den Ausbau des Regionalflughafens Bozen. Das kommt einem als Leipziger dann auch wieder bekannt vor. Es ist dieselbe alte Wirtschaftsart, die sich mit Macht und politischer Unterstützung immer mehr Raum erobert und jede wirklich nachhaltige Entwicklung zu verhindern versucht.
Es geht um Monopole und Marktanteile. Übrigens auch beim Kampf der Kohlekonzerne um den Betrieb ihrer Meiler. Und immer wieder stehen dann große Verbände auf der Seite der Konzerne, sieht es so aus, als würden hier 1.600 Südtiroler Bauern um ihr Ansehen kämpfen, obwohl es eigentlich um Marktmacht und Politik geht.
Und darum, dass auch die großen Konzerne mittlerweile begriffen haben, dass auch die Europäer nicht mehr wirklich alles akzeptieren, was die Konzerne ihnen als „alternativlos“ zu verkaufen versuchen.
Und zu Äpfeln aus Südtirol gibt es tatsächlich Alternativen.
Neue Bauern braucht das Land: Plädoyer für eine Landwirtschaft, die unsere Welt bewahrt und nicht zerstört
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