Nicht nur im Leipziger Raum haben Naturschutzverbände so ihre Bauchschmerzen mit der eigentlich vom Gesetz geforderten Beteiligung an öffentlichen Bauvorhaben. Auch in anderen sächsischen Regionen hat sich ein sehr eigenwilliges Behördengebaren im Umgang mit der geforderten Verbändebeteiligung eingeschlichen. Den NABU Sachsen entsetzt jetzt ein ganz besonderer „Freizeitspaß“ ausgerechnet an Sachsens höchstem Berg, dem Fichtelberg.
„Freizeitspaß pur, auf der längsten Fly-Line der Welt. Erleben Sie auf der 1.500 m langen Abfahrt Nervenkitzel und Fahrspaß pur. Wie ein Vogel schweben Sie fast geräuschlos nah an den Bäumen vorbei und in spektakulären Kreiseln bis ins Tal.“ Diese Zeilen sind zu lesen auf den Internetseiten des Kurortes Oberwiesenthal. Und die beiden Ski-Springer Jens Weißflog und Richard Freitag halten im Foto gleich noch die Daumen hoch dafür.
Was nicht zu lesen ist: Die Trasse liegt im Landschaftsschutzgebiet „Fichtelberg“ und dieses ist das einzige Brutgebiet der Ringdrossel (Turdus torquatus) in Sachsen. Der Bestand wird auf fünf bis sieben Brutpaare geschätzt.
Erforderliche Verbandsbeteiligung ausgeblieben
Der NABU Sachsen hat nur zufällig von dem bereits realisierten Vorhaben erfahren, die erforderliche Verbandsbeteiligung war einfach ausgeblieben.
„Für uns war das Grund genug, eine auf solche Verfahren spezialisierte Anwaltskanzlei zu beauftragen, Licht in die Sache zu bringen“, erklärt Bernd Heinitz, Landesvorsitzender des NABU Sachsen. Als erstes wurden die Unterlagen vom Landratsamt Erzgebirge abgefordert. Diese kamen auch prompt mit einem zugehörigen Kostenbescheid in Höhe von 358,85 Euro – „gegenüber einem Verband, der keine kommerziellen, sondern gemeinnützige Zwecke verfolgt, der zudem nicht am Verfahren beteiligt worden und so quasi gezwungen war, die Unterlagen im Nachgang über einen Umweltinformationsanspruch einzuholen“, betont Heinitz.
Der Bescheid wurde vom NABU postwendend angefochten. Zudem sei dieses Agieren des Landratsamtes Erzgebirgskreis unter anderem Gegenstand eines möglichen Verfahrens bei der Europäischen Union, das derartige Kostenentscheidungen auf den Prüfstand stellen will.
Eine erste Sichtung der gesendeten Unterlagen brachte dann für den NABU aus anwaltlicher Sicht gravierende Verfahrensmängel ans Tageslicht. So ist die Baugenehmigung gemessen an den gesetzlichen Vorgaben für eine Außenbereichsbebauung rechtswidrig. Denn diese erfüllt die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung nicht, die besagt, dass Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft durch geeignete Maßnahmen auszugleichen oder zu ersetzen sind. Gleiches gilt für die naturschutzrechtliche Befreiung, die pauschal erteilt wurde etwa ein halbes Jahr nach Erteilung des Baugenehmigungsbescheids und ca. vier Monate nach Baubeginn ohne Beteiligung der anerkannten Naturschutzvereinigungen.
Erfassung der Artenschutzlage erst nach Baubeginn
Auch beim Artenschutz für die in Sachsen vom Aussterben bedrohte und deshalb besonders geschützte Ringdrossel wurde versagt. So lautet es in der artenschutzrechtlichen Beurteilung: „Jedoch konnten am 28.06.2018 trotz intensiven Suchens im Untersuchungsgebiet und dessen Umgebung keine Individuen der Ringdrossel beobachtet werden. Zu diesem Zeitpunkt wurden bereits Bauarbeiten für die geplante Fly-Line im Untersuchungsgebiet durchgeführt (Herstellung der Mastfundamente). Außerdem war bereits eine Schneise im Latschenkiefernbestand unterhalb der Bergstation vorhanden. Aufgrund dessen, dass der Boden in der gerodeten Schneise komplett umgebrochen und die gerodeten Gehölze bereits beräumt waren, war es nicht möglich Nester, zerstörte Gelege o. ä. zu finden.“
Das kennt man irgendwie schon: Man schafft einfach mal Tatsachen, sorgt dafür, dass die geschützten Tierarten gar nicht mehr gefunden werden können. Und begründet dann damit die Baugenehmigung.
Die schiere Summe der Rechtsverstöße hat den NABU bewogen, Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Landratsamtes Erzgebirgskreis einzulegen. In einem ersten Schritt wurde beantragt, die naturschutzrechtliche Genehmigung für das Vorhaben aufzuheben. Eine Entscheidung steht derzeit noch aus.
Betreiber der „Fly Line“ ist die Liftgesellschaft Oberwiesenthal.
Jans Weißflog am 19. Oktober 2018: „Wir haben sie in Oberwiesenthal: die längste Flyline der Welt mit satten 9 Minuten Fahrt/Flugpass/Hängepartie! Ganz ehrlich? Wer hier nicht mitfährt, ist selber schuld. Kompliment an die Liftgesellschaft Oberwiesenthal / 4er Sesselbahn! Minimale Bauzeit – maximaler Spaß! Ein tolles Projekt für die Region!“
Aber „minimale Bauzeiten“ gibt es in Sachsen eigentlich nur, wenn man Umweltschutzauflagen einfach mal komplett ignoriert.
Bis heute ist die Dresdner Waldschlößchenbrücke ein Bau ohne gültige Rechtsgrundlage
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