Es mag manchem unglaublich erscheinen, aber Wälder wachsen schon seit Millionen Jahren von allein. Vor 400 Millionen Jahren eroberten Schachtelhalme und Bärlappgewächse die Kontinente. Seither entwickelt sich Boden samt einer kompletten Lebensgemeinschaft unter den ursprünglichen Wäldern. Den Wäldern verdanken wir ein relativ ausgeglichenes Klima – und wir merken es nicht erst dieser Tage, welche austrocknenden Tendenzen beispielsweise der agroindustrielle Ackerbau oder die Betonwüsten der Städte fördern.
Den Wäldern verdanken wir auch die Biodiversität dieser Erde, denn natürliche Wälder sind nicht homogen oder monoton, sondern reich an verschiedensten Bereichen und Grenzlinien. Dies verdanken wir u. a. der Tatsache, dass die Natur der Vegetation die Fauna hinzugegeben hat. Große Weidetiere schaffen artenreiche Lücken im Wald und ergänzen als auch erweitern andere Strukturen im Wald, welche durch Umwelteinflüsse wie Wind, Schnee, Regen, Feuer usw. entstehen. Doch auch kleinste Tiere, wie Insekten, können bei entsprechenden Umweltbedingungen für flächige Auflichtung und somit für neue Lebensräume in Wäldern sorgen.
Somit sind natürliche Wälder ebenso dicht wie auch an anderer Stelle und Zeit reich an Lücken oder gar auf größeren Flächen mancherorts und mancher Zeit auf Einzelbäume reduziert und können savannenartig sein. Zwischen den Bäumen weideten und wanderten große Weidetiere umher, die ebenso wie die Naturgewalten dafür sorgten, dass die Wälder sich nicht vollständig auf ganzer Fläche schließen konnten.
Aus der Wechselwirkung der großen Weidetiere mit Kräutern, Gräsern, Büschen und Bäumen entstand die für Europa typische Struktur des Waldes, welche aber stets dynamisch blieb und nie stillstand: mal dichter, mal lichter, je nachdem, wie die Umweltbedingungen es zuließen. Die gesamte Landschaft war stets in Bewegung und ergänzte das von den ebenso dynamisch fließenden und stehenden Gewässern geschaffene Landschaftsmosaik.
Was sich stets änderte und auch weiter ändern wird, ist – natürlich – die Zusammensetzung und die Ausbreitung der Wälder. Sie mussten (und müssen dies heute noch) sich ja bspw. an das sich stets ändernde Klima anpassen. Es besteht kein Zweifel, dass Wälder sich auch ohne Menschen weiterhin anpassen und entwickeln werden, so man sie nur ließe! Viele Einflüsse spielen dabei eine Rolle und prägen die Lebensgemeinschaften „Wald“ in ihrem Aussehen und ihrer Ausbreitung: die Bodenbeschaffenheit, die darin lebenden Tiere, vor allem aber auch: der Mensch.
Seit der Nacheiszeit hat der Mensch maßgeblich an der Gestaltung der Landschaft gewirkt und auch Einfluss auf den Aufbau der Wälder genommen.
Zeitgleich mit der Eroberung der einstigen Tundra-Landschaft durch die natürliche Baumsavanne zogen die Menschen ein. Sie folgten den Spuren der großen Weidetiere und bereicherten das Landschaftsmosaik um menschliche Siedlungen. Über Jahrtausende fügten sich die Menschen mit ihren Nutzungen in die natürlichen Dynamiken ein. In unserer modernen Zeit, in der wir meinen, wir wüssten alles, wissen wir eigentlich sehr vieles überhaupt nicht. Wann fängt eine Lebensgemeinschaft an, Wald zu sein?
Allein diese Frage hat unter Wissenschaftlern schon zu erbitterten Streiten geführt. Und wie viele Arten von Wald mag es geben? Ist der Wald, wie Sie ihn vielleicht kennen und schätzen, natürlicher Wald? Was wäre – ohne menschliches Eingreifen – die natürliche Erscheinungsform des Waldes in Mitteleuropa? Und was konkret ist überhaupt „natürlich“? Derzeit gibt es in Mitteleuropa fast nur „Försterwälder“ und nur in Nationalparks dürfen diese sich sehr langsam zu einem natürlichen Vorkommen entwickeln (unter „natürlich“ verstehen die Autoren Waldgemeinschaften, in denen natürlich ablaufende Prozesse zugelassen werden).
Der älteste uns bekannte Wald (vor 390 Millionen Jahren) bestand aus drei bis sieben Meter hohen Schachtelhalmen, Bärlapp-Bäumen und Urfarnen. Der kleinste Baum der Welt, die Kraut-Weide, bildet einen „Wald“ von nur ca. 10 Zentimeter Höhe. Einer der ältesten lebenden Bäume ist Old Tjikko, 9550 Jahre alt, aber nur 15 Meter hoch.
Wald muss also nicht immer aus hohen Bäumen bestehen, ein uralter Baum muss gar nicht besonders hoch oder dick sein. Wald ist auch heute nie überall gleich, der Leipziger Auwald sieht in der Nonne ganz anders aus als bei den Papitzer Lachen. Manchmal bestehen schon auf wenigen Metern große Unterschiede.
Zudem ändern sich Waldlebensgemeinschaften ständig, da sie dynamische Lebensgemeinschaften sind, in der zahlreiche Lebenskreisläufe unzählbarer Organismen miteinander verknüpft sind. Diese Waldlebensgemeinschaften stellen sich immerfort auf sich ändernde Umwelteinflüsse ein.
Auenwälder reagieren in besonderer Weise auf die Dynamik der Wasserführung, und Hochwasser bilden für sie keine Störung, sondern sind gestaltender Faktor, dem die Aue ihre Vielfalt und Schönheit verdankt. Hochwasser werden auch dazu benötigt, dass die Aue ihre Aufgabe als Bildner guten Grundwassers erfüllen kann.
Waldlebensgemeinschaften überstehen die stärksten Stürme problemlos. Die durch Orkane geschaffenen Lücken sind die Keimzellen der neuen Generationen der Waldlebensgemeinschaften. Manch seltenes Lebewesen ist sogar dringend auf Lücken, Windbrüche und alte sowie absterbende Bäume angewiesen: dazu zählen viele sogenannte Urwaldarten, wie der Eremit, der Mulmbock und der Violette Schnellkäfer. In diesen Jahren, da wir einer Wärmezeit entgegengehen, gibt es auch im Auwald Trockenschäden, Bäume stürzen um und an ihrer Stelle keimen nun Bäume, die sich auf die neuen hydrologischen und klimatischen Bedingungen einstellen.
Prof. Dr. Bernd Gerken, Ratingen und Graz, und Dipl. Des. Johannes Hansmann, Leipzig, sind beide wissenschaftliche Mitarbeiter des NuKLA e. V.
Teil 2 – Ein Plädoyer für die Eigendynamik des Leipziger Auenwaldes
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