Europa war eine gute Idee. Auch 1951 schon, als die Montanunion gegründet wurde. Alles begann als ein Wirtschaftsprojekt. Und das war auch gut so, findet auch Sebastian Viecenz, kommissarischer Leiter von ver.di Nordsachsen. Aber heute ist es an der Zeit, dass Europa sozialer wird. Denn weil Wirtschaftsinteressen in der EU dominieren, bietet die Gemeinschaft eine riesige Angriffsfläche für Nationalisten. Und deshalb soll auch in Leipzig am Sonntag, 19. Mai, demonstriert werden: „Ein Europa für alle – Deine Stimme gegen Nationalismus!“

Denn mittlerweile blasen die Nationalisten in ganz Europa zum Sturm auf das Europaparlament. Und sie haben die Bühne fast für sich allein. Die bürgerlichen Parteien zeigen kaum Gegenwehr, denn ihnen reicht das wirtschaftliche Europa. Selbst die Kanzlerin taucht ab und gibt nur unwillig ein „Ja“ von sich, wenn der französische Präsident mal Vorschläge macht.

Man sieht es ja: Europa ist an einer Weggabelung angekommen. Und es ist in Gefahr, wenn die alten bürgerlichen Eliten nicht mehr gestalten wollen oder können, weil sie das Heft des Handelns aus der Hand gegeben haben.

Ist deshalb eine Wahl fürs Europaparlament überhaupt noch wichtig?

Ja, sagen hunderte Initiativen in ganz Europa, die am Sonntag, 19. Mai, nicht nur für eine rege Teilnahme aller Demokraten an der Europawahl am 26. Mai werben, sondern auch für ein anders Europa, das nicht mehr die Wirtschaft allein ins Zentrum stellt, sondern zu einem sozialen Europa wird – mit starken Arbeitnehmerrechten, wie Sebastian Viecenz betont: „Unser Europa ist ein sozial gerechtes. Es sichert die Rechte der Beschäftigten, baut auf Mitbestimmung im Betrieb und garantiert jeden Menschen Bildung und eine soziale Absicherung. Wir setzen auf ein Europa, welches den Einfluss des Kapitals regelt und dafür sorgt, dass alle Menschen an wirtschaftlichen Erfolgen partizipieren. Und unser Europa ist ein solidarisches.“

Was passiert am 19. Mai?

Von Bukarest bis Utrecht, von Malmö bis Wien: Eine Woche vor der Europawahl werden zehntausende Menschen gegen Nationalismus, Rassismus und Abschottungspolitik und für ein demokratisches, friedliches, nachhaltiges und solidarisches Europa auf die Straße gehen: bei zeitgleichen Großdemonstrationen am 19. Mai in sieben deutschen und über 40 weiteren europäischen Städten.

In Leipzig mobilisiert ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis aus Organisationen und Initiativen für die Demonstration „Ein Europa für alle – Deine Stimme gegen Nationalismus!“, die um 12 Uhr am Wilhelm-Leuschner-Platz beginnt. Das Grußwort wird Oberbürgermeister Burkhard Jung sprechen.

Die Europawahl am 26. Mai ist eine Richtungsentscheidung über die Zukunft der Europäischen Union, betonen die Veranstalter. Denn Nationalisten und Rechtsextreme hoffen darauf, mit weit mehr Abgeordneten als bisher ins Europaparlament einzuziehen. Gemeinsam rufen die Trägerorganisationen des Bündnisses daher dazu auf, bei der Demonstration am 19. Mai ein starkes Zeichen für ein Europa der Vielfalt und Solidarität zu setzen und am 26. Mai ihre Stimme gegen Nationalismus und für ein solidarisches Europa zu nutzen.

Am Mittwoch, 15. Mai, nutzten sie die Gelegenheit, ihre Wünsche für ein anderes Europa noch einmal vor der Presse zu formulieren.

Unter ihnen auch Irena Rudolph-Kokot von „Leipzig nimmt Platz“, dem Bündnis, das schon seit Jahren Erfahrung gesammelt hat mit Protest gegen Nationalismus und Rechtsextremismus. „In ganz Europa sind in den letzten Jahren Nationalisten auf dem Vormarsch. Sie verbreiten Ideologien der Menschenfeindlichkeit. Sie stellen eine Bedrohung für Freiheits- und Menschenrechte dar und damit auch eine für ein demokratisches und friedliches Europa“, sagt sie. „Als Aktionsnetzwerk stellen wir uns meistens in Leipzig und der Region Rechten jeglicher Couleur entgegen. Deswegen ist es für uns selbstverständlich, am kommenden Sonntag für Demokratie, Vielfalt und Menschenrechte auf die Straße zu gehen.“

Was nur der erste Schritt ist. Es reicht nicht, die Nationalisten daran zu hindern, die EU zu kapern und damit wieder in die Zeiten nationaler Engstirnigkeit zurückzufahren. Denn heute ist es schon ein Problem, dass die EU von nationalen Egoismen dominiert wird. Die Bundesrepublik ist da überhaupt keine Ausnahme, auch die Bundesregierung verhindert immer wieder wirklich solidarische Veränderungen, die die Europäer erleben lassen, dass die EU ihr gemeinsames Projekt ist.

Wie ein anders Europa aussehen könnte, haben die Initiatoren in vier Punkte gefasst:

Ein anderes Europa

– verteidigt Humanität und Menschenrechte. Statt seine Grenzen zur Festung auszubauen und Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen, garantiert es sichere Fluchtwege, das Recht auf Asyl und faire Asylverfahren für Schutzsuchende.

– steht für Demokratie, Vielfalt und Meinungsfreiheit. Statt vor allem auf mächtige Wirtschaftslobbys hört es auf die Stimmen seiner Bürger*innen. Es verteidigt den Rechtsstaat, wird demokratischer und gibt dem Europaparlament mehr Einfluss. Es fördert Toleranz und gewährleistet die Vielfalt an Lebensentwürfen, Geschlechtergerechtigkeit, die Freiheit von Kunst, Kultur und Presse sowie eine lebendige Zivilgesellschaft.

– garantiert soziale Gerechtigkeit. ​Statt Privatisierung, Deregulierung und neoliberale Handelsabkommen voranzutreiben, wird es ein Gegengewicht zum massiven Einfluss der Konzerne. Es baut auf Solidarität und sichert Arbeitnehmer*innenrechte. Allen Menschen wird das Recht auf Bildung, Wohnen, medizinische Versorgung und soziale Absicherung sowie ein Leben frei von Armut garantiert. Europa muss hier seiner Verantwortung gerecht werden – bei uns und weltweit.

– treibt einen grundlegenden ökologischen Wandel und die Lösung der Klimakrise voran. ​Statt auf fossile und nukleare Energien setzt es auf erneuerbare Energien. Es ermöglicht eine bäuerliche, klimagerechte Landwirtschaft. Gleichzeitig sorgt es dafür, dass der Wandel sozial abgefedert und gute Arbeit geschaffen wird.

Und da ist man bei den Schülerinnen und Schülern, die nicht nur in Leipzig für eine andere Klimapolitik streiken und der Bundespolitik den Spiegel vorhalten, weil hinter all den vollmundigen Versprechen für eine echte Klimapolitik nichts als heiße Luft ist.

Natürlich machen auch die jungen Leute von „Fridays for Future“ am Sonntag mit.

Für sie sprach Ita Weinrich, als sie erklärte: „Die Europawahl ist wichtig, da die Europäische Klimapolitik wegweisend für die kommenden Jahre und unser aller Zukunft sein wird. Durch die Klimakrise ist die Lebensgrundlage aller Menschen weltweit in Gefahr. Auch in Europa werden wir die Folgen dieser existenzbedrohenden Krise spüren, für die Europa mit seiner bisherigen Politik und Wirtschaftsweise mitverantwortlich ist. Daher demonstrieren BUND Leipzig, BUNDjugend Leipzig, Naturfreundejugend Leipzig, Greenpeace Leipzig und Fridays For Future Leipzig gemeinsam auf der 1EuropaFürAlle Demo im Klimablock.“

Womit sie das eigentliche Dilemma der marktkonformen Politik benennt, wie sie in Brüssel genauso praktiziert wird wie in Berlin: Man redet viel, geht aber kein einziges der drängenden Probleme unserer Zeit mehr an, legt keine Lösungen vor und setzt die eigenen Versprechungen nicht mehr um. Man macht Politik für die großen Konzerne, predigt das Wachstums-Mantra, überlässt die Folgen der Ignoranz aber den künftigen Generationen.

In allen vier Themenfeldern liegt Europas Politik im Argen, stehen die wirtschaftsnahen Politiker tatenlos im Wind, während die Nationalisten den Wählern die finsteren Rezepte der Vergangenheit als Lösung für alle Probleme aufschwatzen. Ohne eine einzige wirkliche Lösung.

Wer macht alles mit im Bündnis?

Zum regionalen Demo-Bündnis in Leipzig gehören GEW Sachsen, Leipzig nimmt Platz, ver.di, BUND, DiEM25, Erich-Zeigner Haus e.V., Europa-Haus Leipzig e. V., Fridays For Future Leipzig, Global Space Odyssey, LAG Queeres Netzwerk Sachsen, LSVD Landesverband Sachsen, Mehr Demokratie, Mission Lifeline, Moritzbastei e.V., Parents 4 Future Leipzig, Der Paritätische Sachsen, RosaLinde Leipzig e.V., Seebrücke Leipzig, Student_innenRat der Universität Leipzig, Weltoffenes Gohlis.

Angemeldet haben sich auch SPD, Grüne und Linke.

Was passiert wann?

Die Auftaktkundgebung gibt es auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz um 12 Uhr. Die Auftaktkundgebung beginnt mit einem Grußwort des Oberbürgermeisters Burkhard Jung. Bei Auftakt und Abschluss reden: Ines Kuche (ver.di), Annemarie Großer (Campact), Ana-Cara Methmann, TBA (Unteilbar, Leipzig nimmt Platz, #Wannwennnichtjetzt), Jannis Pfendtner (Naturfreundejugend), Tom Haus (LSVD/LAG Queeres Sachsen), Jenny Scholze (Mission-Lifeline), TBA (Save the Internet) und Dirk Freitag (Leipzig kippt nicht). Auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz werden auch Info-Stände der Organisatoren aufgebaut. 20 Initiativen haben sich schon für so einen Stand angemeldet.

Als Bands eingeladen sind die Klaus Renft Combo, Großstadtgeflüster und Riders Connection.

Und um 13 Uhr gibt es dann die große Demonstration rund um den Innenstadtring, zu der die Organisatoren rund 10.000 Teilnehmer erwarten.

Gegen 15 Uhr gibt es dann die Abschlusskundgebung auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz.

Das bunte Bühnenprogramm und die verschiedenen Infostände werden von einer Essensmeile ergänzt. Hier werden auf schmackhafte Art und Weise verschiedene Kulturen aus Europa und darüber hinaus erlebbar. Insgesamt sechs Food-Stände sorgen dafür, dass ihr am Sonntag nicht hungern müsst. Vom Schweizer Raclette über die Handbrotzeit (bekannt von verschiedenen Festivals) bis zum Truck mit veganen Burgern oder einem Falafel-Stand ist alles dabei.

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