„Wir sind viele, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ schallte es erstmals deutlich hörbar am 18. Januar 2019 durch Leipzigs Straßen. Die aktuelle Klimapolitik in Sachsen und der Bundesrepublik ist nicht zukunftsfähig und genau deshalb demonstrieren Schüler/-innen und Studierende unter dem Titel #fridaysforfuture seit mittlerweile mehr als einem Monat gegen die Langsamkeit der Politik. Am nächsten Freitag, 8. Februar, wird von voraussichtlich 14 bis 16 Uhr eine Mahnwache am Richard-Wagner-Platz stattfinden. Stets begleitet vom Hinweis, wie schrecklich doch diese „Schulschwänzerei“ sei.
Und die Schlagzahl erhöht sich. Denn die nächste große Demonstration, zu der nach den rund 700 Teilnehmern vom 18. Januar in Leipzig nun 1.000 Teilnehmende angemeldet sind, soll dann am darauffolgenden Freitag, 15. Februar stattfinden, kündigt #fridaysforfuture Leipzig an. Die Demonstration startet 12:30 Uhr am Willy-Brandt-Platz und dann über den Goerdelerring und Dittrichring, mit Zwischenkundgebung auf dem Martin-Luther-Ring bis zum Augustusplatz.
An Leipziger Schulen soll es im Vorfeld der ersten großen Demonstration sogar zu Hinweisen gekommen sein, dass auch eine Entschuldigung der Eltern nicht ausreichend sei, um der Schule fernzubleiben. Nur eine Krankschreibung sei akzeptabel. Die Schulpflicht gebiete eine Anwesenheit, es drohen Verweise durch die Schulleitung.
Und der Vorstand des StadtSchülerRates Leipzig ließ ein Papier bis hinein in die Lehrerzimmer kreisen, in welchem dringend gewarnt wurde. So hieß es unter anderem, „Fridays for Future habe keinen „bildungspolitischen Bezug“, weswegen „wir den Streik am 18.01. nicht unterstützen werden, und den Veranstaltern einen Wechsel auf die Protestform der Demonstration empfehlen. Die teilnehmenden Schüler müssen sich dem bewussten Regelübertritt mit allen Konsequenzen bewusst sein.“
Ein Vorwurf, welchen die teilnehmenden Schüler zunehmend mit dem Hinweis konterten, es sei irgendwie sinnfrei zu lernen, wenn da keine Zukunft mehr sei, in der man das Gelernte auch anwenden könne. Und am Sonntag, 3. Februar, setzten sie noch einen drauf und schrieben einen Offenen Brief an die Schulleiter/innen und Lehrer/-innen.
Er offenbart, dass da einige bei „Fridays for Future“ gut aufgepasst haben, wenn es um den Sinn von Schule, ja sogar die bildungspolitischen Vorgaben in Sachsen selbst geht, was Schule leisten soll. Neben der Frage, was denn effektiver und aufsehenerregender sei, als eben genau diese Form des „Streiks“ zu wählen, zitieren sie in Richtung Stadtschülerrat und Lehrer: „Die schulische Bildung soll zur Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler in der Gemeinschaft beitragen. (…)“. Zudem sei in der sächsischen Schulbesuchsordnung festgelegt, ‚dass Schüler*innen sich aus verschiedenen Gründen vom Unterricht auf Antrag ihrer Eltern beurlauben lassen dürfen.‘“
Logisch. Die Zeiten, wo der Staat sich mal eben so über die Vormundschaft von Eltern stellen konnte, sind lange vorbei.
Dass es übrigens auch anders geht, als vom Vorstand des Stadtschülerrates vermutet, haben erste Schulen gezeigt, wie die jungen Schreiber des Briefes mit der Bitte um weitere Kooperation mit ihnen erwähnen. So hätten an manchen Schulen sogenannte Musterfreistellungen kursiert, welche es den Eltern offenbar erleichtert haben, ihre Kinder rechtssicher von Unterricht freistellen zu lassen.
Es bleibt also zwar dabei: keine Revolution ohne gültigen Fahrschein. Die Argumentation des Vorstandes des Stadtschülerrates jedoch bleibt denkbar schwach. Am 15. Februar dürfte sie dann gleich ganz entfallen. Dann sei Zeugnisausgabe und die meisten Schüler haben wohl bereits 11 Uhr Schulschluss.
Redebeitrag einer Sprecherin von „Fridays for Future“ Leipzig auf der Klimademo am 2. Februar 2019. Video: L-IZ.de
Der Offene Brief
“Sehr geehrte Schulleiter*innen, Sehr geehrte Lehrer*innen,
wie Sie ja bereits alle vernommen haben, gibt es eine Bewegung von jungen Menschen namens FridaysForFuture, die sich für eine konsequente und effektive Klimapolitik einsetzt. Diese ist auf Initiative von Greta Thunberg, einer schwedischen Schülerin, entstanden, die zu Beginn dieses Schuljahres in den Schulstreik getreten ist, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Mit dem Motto „Warum soll ich heute lernen, wenn meine Zukunft in Gefahr ist?“ fing es im Kleinen an, erregte medial immer mehr Aufmerksamkeit und führte sogar dazu, dass Greta Thunberg auf der Klimakonferenz in Katowice sprechen durfte und zum Weltwirtschaftsgipfel nach Davos eingeladen wurde. Mittlerweile machen es ihr weltweit zehntausende Schüler*innen, Studierende und Auszubildende nach und protestieren öffentlichkeitswirksam gegen den Klimawandel anstatt in die Schule zu gehen.
Auch in Leipzig hat sich eine FridaysForFuture-Ortsgruppe gegründet, die bereits einige Aktionen geplant und durchgeführt hat, unter anderem eine große Demonstration am 18.01.2019, zu der 700 Teilnehmende kamen.
Im Vorfeld dieser Demonstration hat der StadtSchülerRat Leipzig eine Stellungnahme herausgegeben, in der er sich zu unseren Zielen unterstützend äußerte, sich jedoch klar gegen die Protestform des Schulstreiks positionierte.
Daher ist es uns nochmal wichtig unsere Sicht auf den Schulstreik zu erklären und vor allem unser politisches Anliegen: Wir halten den Schulstreik für das wirksamste politische Mittel junger Menschen, um Aufmerksamkeit für unsere Themen zu generieren. Ebenso sind wir uns sicher, dass Greta Thunberg niemals so viel hätte erreichen können, wenn sie einfach in ihrer Freizeit auf die Straße gegangen wäre.
Gleichzeitig wissen wir um die rechtliche Lage: Uns ist bewusst, dass es kein Streikrecht für Schüler*innen gibt. Ebenso sind wir uns im Klaren darüber, dass bewusstes Fernbleiben vom Unterricht in Konflikt mit der Schulpflicht steht.
Nichtsdestotrotz haben alle, auch Schüler*innen, das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit und dürfen ihr Demonstrationsrecht nutzen. Und das muss nicht mal im Verborgenen oder unter dem Gesichtspunkt des „Schwänzens“ passieren, denn in der Schulbesuchsordnung wird festgelegt, dass Schüler*innen sich aus verschiedenen Gründen vom Unterricht auf Antrag ihrer Eltern beurlauben lassen dürfen.
Was uns zu der Frage führt: Welchem Zweck dient Schule? Auch dies ist in §1 (3) des SächsSchulG festgelegt: „Die schulische Bildung soll zur Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler in der Gemeinschaft beitragen. (…)“
Daran anknüpfend stellen wir uns die Frage, was trägt zu jener Entfaltung mehr bei als aktive politische Teilhabe? Sollte es nicht unsere aller Streben sein, Schüler*innen dazu zu bewegen sich mit den politischen Themen unserer Zeit auseinanderzusetzen, sich dazu zu positionieren und ihre Meinung kundzutun?
Zusammenfassend gesagt: Uns ist klar, dass der Schulstreik aktuell keine rechtlich anerkannte Protestform ist und es nicht die dauerhafte Lösung sein kann dem Unterricht fernzubleiben, doch wir sehen uns gezwungen zu diesem politischen Mittel zu greifen.
Wir sehen uns deshalb gezwungen, weil unsere eigene Zukunft durch den Klimawandel bedroht wird. Die aktuelle Politik tut zu wenig für den Umweltschutz und zu wenig gegen den Klimawandel. Sie schiebt das größte existenzielle Problem unserer Zeit von sich weg, davon ausgehend, dass wir die Konsequenzen hinnehmen. Doch das wollen wir nicht und das können wir nicht. Uns geht es um nichts weniger, als die Erhaltung dieses Planeten, die Erhaltung unserer aller Lebensgrundlage.
Deshalb werden wir allen Widrigkeiten zum Trotz weiter protestieren. Wir werden weiter das Thema Klimawandel in den Öffentlichen Diskurs bringen, damit endlich gehandelt wird.
Daher haben wir auch eine Bitte an Sie: Bitte lassen Sie uns nicht gegeneinander arbeiten. Schließlich geht es in der aktuellen Klimakrise nicht nur um unsere Zukunft, sondern ebenso um Ihre. Um die Ihrer Kinder, Ihrer Enkelkinder und allen nachfolgenden Generationen.
Statt Ihren Schüler*innen die Teilnahme an den politischen Aktionen zu erschweren, würden wir uns freuen, wenn Sie mit uns in Kontakt treten und wenn wir gemeinsam uns Alternativen überlegen können. Einige Schulen haben das bereits getan: Sie haben zum Beispiel durch Muster-Freistellungsanträge ermöglicht, dass die Schüler*innen sich gemeinsam freistellen lassen konnten und auch gemeinsam an der Demonstration teilnehmen konnten. Andere haben bewusst Werbung für die Demonstration gemacht oder sogar exkursionsähnliche Formate organisiert.
Für Freitag, den 15.02.2019, ist um 12.30 Uhr am Willy-Brandt-Platz die nächste große Demonstration geplant. Wir haben die Demonstration bewusst auf den letzten Schultag vor den Ferien gelegt, in der Annahme, dass es in diesem Fall ein Leichtes sein dürfte, dass die Schüler*innen nach ihrer Zeugnisausgabe die Schule verlassen können und hoffen auf Ihre Kooperation.
Für weitere Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung!
Mit freundlichen Grüßen
Lena Engemann, 11. Klasse, Johannes-Kepler-Gymnasium
Michael Neuhaus, Master Biologie
Tom Richter, Freiwilliges Ökologisches Jahr-Landessprecher Sachsen
Sophia Salzberger, 12. Klasse, Robert-Schumann-Gymnasium
Freya Schlabes, 10. Klasse, Robert-Schumann-Gymnasium
Ita Weinrich, 11. Klasse, Johannes-Kepler-Gymnasium
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Fridays For Future Leipzig
Globale Schüler*innen- und Studierendeninitiative fürs Klima Ortsgruppe Leipzig”
Fridaysforfuture bei Quer. Video Quer bei Youtube
Hintergrund
#fridaysforfuture ist eine unabhängige, weltweite Jugendbewegung, die aufgrund einer jungen, schwedischen Klimaaktivistin entstanden ist. Greta Thunberg hat zu Beginn dieses Schuljahres beschlossen die Schule zu bestreiken, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Seitdem tauscht sie jede Woche Freitag die Schulbank gegen ein Pappschild, auf dem „Skolstrejk för Klimate“ steht und positioniert sich vor dem schwedischen Parlament, damit ihre Regierung endlich politische Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreift. Mehr und mehr mediale Aufmerksamkeit führte dazu, dass Greta Thunberg auf der Klimakonferenz in Katowice sprach und zum Wirtschaftsgipfel nach Davos eingeladen wurde.
Mittlerweile protestieren jeden Freitag weltweit, von New York bis Stockholm, von Sydney bis Leipzig, tausende junge Menschen für ihre Zukunft. Ihr Ziel: den Klimawandel aufhalten und das jetzt. Nach dem Motto „Wir streiken, bis ihr handelt“ fordern sie von allen Regierungen eine konsequente Klimapolitik und mehr Umweltschutz.
#fridaysforfuture in Leipzig: „… weil ihr uns die Zukunft klaut“ + Video & Bildergalerie
https://www.l-iz.de/Topposts/2019/01/fridaysforfuture-in-Leipzig-%e2%80%9e%e2%80%a6-weil-ihr-uns-die-Zukunft-klaut%e2%80%9c-Video-Bildergalerie-254745
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Die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag, Petra Zais, hat da mal bei der Sächsischen Staatsregierung, im Rahmen der Fragestunde im Landtag am Donnerstag, 31.01.19 (TOP 12), die Staatsregierung zum Thema: ‘Fehistunden von Schüler*innen sächsischer Schulen, die sich in der Unterrichtszeit an den Demos „Fridays tor future“ beteiligt haben’ begefragt.
Und der Kultusminister Christian Piwarz (CDU) hat geantwortet:
“Die Schulen entscheiden selbst über die Ausweisung von Fehlstunden auf Halbjahresinformationen und Zeugnissen. Das Gleiche gilt für den erzieherischen Umgang mit Fehlzeiten. Die Schulaufsichtsbehörde hat aus Anlass der Demonstrationen „Fridays for future“ keine Vorgaben gemacht und führt auch keine Übersichten.”
Was er noch so meint, auch zur Bedeutung von Unterrichtsausfall:
“Bei einer Nichtteilnahme am Unterricht verpassen sie Unterrichtsstoff, der ihnen für das erfolgreiche Absolvieren der allgemeinen Prüfungen, aber vor allem für ihren weiteren Lebens- und Berufsweg fehlen kann.”
[..]
Insbesondere kann es keine Regelmäßigkeit derartiger Demonstrationen während der Unterrichtszeiten geben.”
Mal schauen, ab wann er eine ‘Regelmäßigkeit’ erkennt und was dann passiert..
Die lesenswerte, die Schüler unterstützende Erklärung von Petra Zais dazu (die Anfrage und das Antwortschreiben des Kultusministers sind dort verlinkt):
https://www.petra-zais.de/2019/02/01/pm-fehlzeiten-im-zeugnis-wegen-klimademos/