Unverhohlene Aggressionen, fremdenfeindliche Ressentiments in der Gesellschaft und hilfloses Taktieren der etablierten Politik: Vor wenigen Tagen erreichte den Autor dieses Artikels die selbstverfasste Nachricht eines Freundes, der sich ein Jahr vor der sรคchsischen Landtagswahl um die politische Situation sorgt.
Angriffe auf Migranten und Pressevertreter, wรผste Drohungen, eine oft erschreckend passive Polizei, die gleichgรผltig oder รผberfordert scheint: Nicht erst die erschรผtternden Vorfรคlle von Dresden und jรผngst Chemnitz haben symptomatisch eine Stimmung in der Gesellschaft aufgezeigt, die zunehmend von Nationalismus, Fremdenhass und Aggression geprรคgt ist.
Schienen derlei Einstellungen lange Zeit zumindest marginalisiert, brechen sie sich mit der gestiegenen Zuwanderung in den letzten Jahren wieder verstรคrkt Bahn, offenbaren eine Denkweise, die viele schon รผberwunden glaubten. Populisten haben leichtes Spiel, fischen ungeniert am rechten Rand nach Wรคhlerstimmen und verstรคrken die Angst der Menschen vorโฆ ja, wovor eigentlich?
Sachlichkeit und Fakten finden in der aufgewรผhlten Atmosphรคre oft keinen Platz mehr, und Vertreter der etablierten Parteien reagieren vielfach ratlos oder ignorant gegenรผber einem rechten Zeitgeist, der sich wie Mehltau in Teilen der Bevรถlkerung festgesetzt hat.
Vor gut einer Woche erreichte den Verfasser dieser Zeilen die Mail eines guten Freundes, der sich ein Jahr vor der Landtagswahl einige Gedanken gemacht und sie niedergeschrieben hat.
Nach Rรผcksprache mit dem Autor Danny Adelhรถfer, der sich auch mit seiner Namensnennung einverstanden erklรคrt hat, geben wir dessen Schrift ungekรผrzt und vollumfรคnglich wieder, in der Hoffnung, mรถglichst viele Menschen zu erreichen und vielleicht eine Debatte anzustoรen.
Das Teilen und Weiterleiten der Nachricht ist ausdrรผcklich erwรผnscht.
Die Nachricht von Danny Adelhรถfer komplett und im Wortlaut
Hallo zusammen,
in genau einem Jahr ist in Sachsen Landtagswahl, und die aktuellen Umfragen sehen so aus: http://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/index.htm
Schon bei der Bundestagswahl letztes Jahr war die AfD sogar die stรคrkste Partei in Sachsen.
Ich weiร nicht, wie es euch geht, aber mir machen diese Zahlen Angst.
Es ist nicht unrealistisch, dass wir nรคchstes Jahr in Sachsen eine Regierung mit der AfD haben werden. Die momentane Koalition aus CDU und SPD hat schon lange keine Mehrheit mehr. Auch fรผr SPD/Grรผne oder SPD/Grรผne/Linke oder CDU/FDP oder CDU/Grรผne reicht es lรคngst nicht.
Die einzigen Mรถglichkeiten wรคren damit
- eine Regierung aus CDU und Linken (eine extrem unrealistische Kombination, hat es noch nie gegeben, auรerdem reicht es dafรผr in der 2. Umfrage auch nicht, in der 1. nur ganz knapp),
- aus CDU/SPD/Grรผnen/FDP (eine Vierer-Koalition gab es auch noch nie und ist sicherlich nicht gerade stabil)
- aus CDU und AfD.
Auch wenn die CDU letztere Variante momentan noch offiziell ablehnt, halte ich es fรผr die realistischste Variante. Hier in Sachsen steht die CDU ganz weit rechts und hat mit der AfD eine viel grรถรere Schnittmenge als mit der Linken. Einzelne CDU-Vertreter haben sich auch schon so geรคuรert.
Und diese AfD ist eine Partei, die Behinderte, Homosexuelle und Roma zรคhlen lassen will, die immer wieder den Holocaust relativiert, deren Besuchergruppen ihn in KZ-Gedenkstรคtten(!) auch gleich leugnen, die sich damit brรผstet, bei den rechtsradikalen Ausschreitungen in Chemnitz dabei gewesen zu sein, die aufgrund eines einzelnen Totschlags alle Geflรผchteten unter Generalverdacht stellt, die Menschen in Seenot ertrinken lassen will, die gemeinsame Sache mit rechtsradikalen Organisationen wie der Identitรคren Bewegung macht und so weiter und so fort. Niemand, der so etwas wie ein Herz hat, kann wollen, dass solche Menschen in Regierungsverantwortung kommen.
Und natรผrlich ist es nicht nur die AfD.
Die ganze Grundstimmung in Sachsen macht mir richtig Angst. Wie immer wieder neue Skandale รผber Polizei und Justiz bekannt werden, die eine starke Nรคhe zu Rechten offenbaren, wie ein Mob in Chemnitz durchdreht und Jagd auf alle anders Aussehenden macht, wie die Politik nichts macht, um diesem Mob Einhalt zu gebieten und stattdessen die Polizei in absoluter Unterzahl dahin geschickt wird und somit nur zuschauen kann, wie die Neonazis gegen alles hetzen, was ihnen nicht in den Kram passt, und bei Hitlergrรผรen nicht einschreitet.
Ich musste erst vor kurzem selber beobachten, wie eine schwarze Person von einem Weiรen am Bahnhof in Radeberg aufs รbelste und grundlos rassistisch bepรถbelt wurde. Es gibt unzรคhlige Berichte darรผber, dass sich Nicht-Weiรe und z. B. auch Journalist/innen (Stichwort โLรผgenpresseโ) in gewissen Gegenden in Sachsen einfach nicht mehr sicher fรผhlen. Wir kรถnnen das, denke ich, als Nicht-Betroffene nur sehr bedingt nachvollziehen, aber wir haben die Pflicht, diese Berichte ernst zu nehmen.
Und man kann รผberall um uns herum sehen, wozu der Rechtsruck fรผhrt. Es scheint tatsรคchlich wieder infrage zu stehen, ob man Menschen in Seenot retten sollte oder nicht. Die EU behindert Organisationen, die im Mittelmeer nach Schiffbrรผchigen suchen und diese retten. Entsprechend sind die Zahlen der Toten dort massiv gestiegen. In Italien weigert sich der Innenminister vehement, dort รผberhaupt noch Geflรผchtete an Land zu lassen, lieber werden volle Schiffe mit kranken Menschen tagelang ziellos auf dem Wasser schippern gelassen. In Polen und Ungarn wird die Pressefreiheit und Gewaltenteilung nach und nach abgeschafft. In รsterreich wird die 60-Stunden-Woche eingefรผhrt und Menschen mit Behinderung wird die Mindestsicherung reduziert. รberall dort sind Rechtsauรen-Parteien an der Macht.
Ich will nicht, dass das hier auch passiert. Und ich habe das Gefรผhl, dass wir alle endlich aktiv etwas dafรผr tun mรผssen um das zu verhindern. Es ist nur noch ein Jahr bis zur Landtagswahl. Und ich bin etwas ratlos, was man machen kann. Es wird nicht reichen, dann in einem Jahr sein Kreuz an der richtigen Stelle zu machen. Wenn die angeblich so groรe โschweigende Mehrheitโ weiter schweigt, dominieren die Lauten den Diskurs und werden sich auch durchsetzen.
Ich fรผrchte, auch Petitionen und dergleichen werden nichts bringen. Die unterschreibt man schnell und dann ist das Gewissen wieder rein, aber รคndern tun sie nichts.
Was ich fรผr sinnvoller halte: im โReal Lifeโ Prรคsenz zu zeigen. Auf Demonstrationen gehen, an Organisationen spenden, die sich gegen Rechts und fรผr Menschlichkeit engagieren, klar und deutlich widersprechen, wenn irgendwo rassistische Vorurteile geรคuรert werden, auch und gerade in der Familie u. รค. Wenn ihr potenzielle AfD-Wรคhler/innen in eurem Umfeld habt, die ihr erreichen kรถnnt, nutzt das. Gerade Letzteres fรคllt mir auch verdammt schwer, aber man muss sich irgendwie dazu durchringen. Rassistische Positionen dรผrfen sich nicht festsetzen. Leichter ist es immer, wenn man nicht alleine ist.
Genau darum hoffe ich auf euch. Vielleicht hat euch die Mail ja die Dringlichkeit etwas bewusster gemacht. Ich wรผrde euch auf jeden Fall bitten, euch mal Gedanken darรผber zu machen, was ihr beitragen kรถnnt oder wollt. Wenn ihr Ideen habt, was man machen kann, meldet euch gerne bei mir.
Und um typischen Einwรคnden gleich mal vorwegzugreifen: Nein, es ist nicht nur Sachsen, solche Probleme gibt es รผberall in Deutschland. Aber hier sind sie sicherlich am stรคrksten. Nirgendwo sonst steht die AfD in Umfragen so gut da, und sรคmtliche Skandale der letzten Tage und Wochen haben sich hier abgespielt. Auch in Sachen rechte Straftaten steht Sachsen, bezogen auf die Bevรถlkerungszahl, ganz oben.
Es ist auรerdem immer schwer, auf so etwas hinzuweisen, ohne a) โzu frรผhโ damit zu sein und damit als Verbreiter von Panikmache dazustehen, oder b) erst aktiv zu werden, wenn es schon zu spรคt ist. Die Geschichte lehrt uns, wozu das fรผhren kann. Von โzu frรผhโโ kann definitiv keine Rede mehr sein, da bin ich mir 100 % sicher. Und das sehen auch Holocaust-รberlebende wie Esther Bejarano so (โDer Satz โWehret den Anfรคngenโ ist lรคngst รผberholt! Wir sind mittendrin!โ).
Und da die meisten von euch sich ja sicherlich als eher โunpolitischโ bezeichnen wรผrden: Gegen Nazis und damit faschistische, rassistische Ideologie zu sein, hat nichts mit โlinksโ oder gar โlinksextremโ sein zu tun. Das muss einfach fรผr alle selbstverstรคndlich sein und die ganze Bundesrepublik Deutschland hat sich auf dem Konsens gegrรผndet, so etwas wie 1933-45 nie wieder zuzulassen. Und nichts, wirklich nichts, spricht dagegen, dass sich die Geschichte wiederholen kann. Natรผrlich nicht 1:1 wie damals. Aber auch ein, zwei Stufen weniger scharf darf das niemals wieder passieren.
Zum Schluss noch ein Zitat des deutschen Theologen Martin Niemรถller: โAls die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.โ
Und vom Dresdner Schriftsteller Erich Kรคstner: โDie Ereignisse von 1933 bis 1945 hรคtten spรคtestens 1928 bekรคmpft werden mรผssen. Spรคter war es zu spรคt. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muร den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hรคlt keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr. Das ist der Schluร, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen mรผssen โฆ Drohende Diktaturen lassen sich nur bekรคmpfen, ehe sie die Macht รผbernommen haben.โ
Viele Grรผรe,
Danny
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Es gibt 15 Kommentare
Ich wรผrde es nicht allein aufgeben nennen, sondern eher โIn-Sicherheit-bringenโ. Vielleicht ist es vielen Leuten, die die AfD wรคhlen und unterstรผtzen, nicht bewuรt, aber wenn man genauer hinsieht, realisiert man schnell, dass damit auch eine Bewegung gewรคhlt und unterstรผtzt wird, welche den deutschen Staat stรผrzen und mit Gewalt gegen unliebsame Menschen vorgehen mรถchte und eine Diktatur errichten will. Das wird mal mehr, mal weniger explizit auch so geรคuรert. Wenn es irgendwo knallt, dann am ehesten wahrscheinlich in Ostdeutschland, und ich gebe es ganz offen zu: ich bevorzuge ein Leben in Frieden. Hier im Osten fรผhle ich mich โ wegen meiner Landsleute! โ schon lange nicht mehr sicher. Ich hab eben keinen Bock auf Gewalt, egal gegen wen. Aber das Aggressionslevel steigt permanent und ich hab immer das Gefรผhl, die Leute steigern sich in gewissen sozialen Netzwerken in ihren Echokammern da auch immer mehr herein. Fรผr jemanden ohne Facebook und Co. fรผhlt sich all das mehr als eigenartig an. Und ich weiร nicht, ob wir ab September 2019 hier noch in Frieden leben kรถnnen.
Wir haben uns entschieden, einen groรen Teil des Beitrages von hier mal gedruckt in die LEIPZIGER ZEITUNG zu รผbernehmen. Denn โAufgeben gilt nichtโ ๐
Einverstanden. Auch wenn ich denke, dass sich die Abwanderungsbewegung der jungen Menschen weg aus dem Osten sowie der sich nun noch verbreiternde wirtschaftliche Abstand der neuen Bundeslรคnder zum Westen sich nicht mehr aufhalten lassen werden. Aber die Bรผrger scheinen dies ja zu wรผnschen. Ich denke, viele Regionen in den alten Bundeslรคndern werden dagegen von der Entwicklung profitieren. Es gibt also weitaus attraktivere mรถgliche Lebensschwerpunkte als den Osten, Regionen, welche wahrscheinlich auch langfristig stabil bleiben werden. Man muss ja noch was verdienen im Leben, um spรคter ansatzweise sowas wie Rente zu haben. Hier im Osten ist das ja komplett aussichtslos. Gerade lief es so gut, da hab ich ja gedacht, nun wirdโs was, aber das hat sich ja nun geรคndert und wird sich anscheinend noch weiter zum schlechten รคndern.
Alles klar. Nun, ich bin da (Facebook) ja beruflich ๐ Zurรผck zu unserem hier: Ich wรผrde die Verdrehungen etc. ja verbessern und dann als Artikel einstellen. Deal?
Lieber Michael Freitag, ich bin bewusst nicht bei Facebook. Es soll schlimm sein. Es sind diese Dynamiken und das fehlende Sich-im-Angesicht gegenรผber stehen. In meinem Kommentar ist aber ein Tippfehler drin und ein Satz ist verdreht. Das muss noch korrigiert werden. รbrigens kann man vieles auch nachlesen. Die Bevรถlkerungsstatistiken findet man schnell im Internet. Ebenso bspw. zahlreiche Artikel schon aus dem Vorjahr zum Thema Wirtschaft, bspw. im Handelsblatt. Wichtig: mir geht es nicht um Wirtschaft um jeden Preis. Es muss auch nicht immer jeder Millionรคr werden. Aber ich denke auch an meine Arbeit. Ich muss auch von etwas leben und das verdiene ich durch arbeiten, und ich war eigentlich sehr froh, dass es wirtschaftlich fรผr die neuen Bundeslรคnder etwas besser lief. Und nun dies. Da kann man Zukunftssorgen bekommen! Dazu noch diese permanente Stimmung zwischen Wut und Hass und Meckern. Das ist zersetzend und destruktiv. Und es zerstรถrt in meinen Augen das, was die Menschen eben Heimat nennen und eigentlich vorgeben, schรผtzen wollen.
Ist okay, Mathiasโฆ ich bin ja auch nur sauer รผber all das, und wenn man sauer ist, kann das auch schnell besserwisserisch oder sonstwie klingen. Es ist eben traurig, wie so viel gerade kaputt geht. In Leipzig gibt es so viele nette Menschen, und es bewegt sich viel Gutes. Selbst im Umland passiert auch manch Positives. Meine Heimatstadt (nicht Leipzig) wird auch immer schรถner. Und Gรคste (aus dem Westen) staunen immer, wie schรถn es hier ist, aber fragen auch oft nach, wie es denn hier mit den Rechten seiโฆ alles wird รผberlagert davon und dann machen die Wรคhler und Demonstranten das auch noch mit und bestรคrken die Entwicklung. Ich kenne kleine Stรคdte im Osten, lebendig noch in den 90er Jahren, dass sind jetzt fast schon Geisterstรคdte. Die Lรคden geschlossen und nur noch alte Leute. Wenn das noch schlimmer wird in den Neuen Bundeslรคndernโฆ nehmen die Leute das wirklich in Kauf? Nur um ihren Unmut an der Wahlurne zu รคuรern? Traurig!
Lieber J, dann habe ich die Perspektive deiner Kommentare tatsรคchlich miรverstanden, tut mir leid. Denn die Beobachtungen darin stimmen, leider!
Trotzdem will ich โdenenโ nicht meine Heimat รผberlassen. Sie sind nicht die Mehrheit, bei weitem nicht. Sie schreien am lautesten.
Mit der Zustimmung von J. wรผrde ich mich freuen, wenn wir den langen Kommentar als Leserbeitrag nochmals prominenter auf der L-IZ.de verรถffentlichen kรถnnten. Also als eigenen Artikel/Kommentar.
A) weil er eine gute Debattengrundlage fรผr gleich mehrere Themen bietet. Und b) weil ich den Ton herzerfrischend finde, nach drei Tagen (zuviel) an durch die Themenlage erzwungenem Facebookkonsum ^^
Ja? Es fragt der M.F.
J., wรผrdest du jetzt vor mir stehen, ich wรผrd dich knuddeln wollen.^^
Ernsthaft, sehr schรถn geschrieben. Und da ich nรคchstes Jahr vom Westen in den Osten ziehe (jaja, ich mach gern alles andersrum als andere^^), wรผrd ich persรถnlich mich freuen, wenn du da bleibst. Wirklich. รberlass โdenenโ nicht einfach deine Heimat.
Lieber Mathias, das ist es was ich meine. Sie haben nichts, aber auch gar nichts verstanden von dem, was ich schrieb und wie es gemeint ist. Ich bin selber ostdeutsch. Aber dies ist nicht mehr meine Heimat, denn ich werde hier nicht mal mehr verstanden. Viele werden hier schon lange nicht mehr verstanden und auch nicht mehr gehรถrt. Und dann hรถren sie auf zu reden und nur noch die lauten und einfachen Stimmen bleiben. Viele andere gehen dann einfach in die innere oder รคuรere Emigration. Gut ist das fรผr nichts und fรผr niemanden. Man kann eben nur fortgehen, zum Glรผck ist die Welt groร.
Was hat J. treffend auf den Punkt gebracht? Alle Ossis sind Rassisten? Schade, das hier so ein pauschaler und besserwisserischer Ton herrscht.
Und was soll bitte eine Partei extra nur fรผr Ossis bringen? Das wรคre nur neue Ausgrenzung.
Danke J.. Sehr gut beschrieben und es gibt eigentlich nichts hinzuzufรผgen.
Auch ich bin vor nun bald 20 Jahren aus Leipzig โin den Westenโ gegangen, werde in nicht allzu ferner Zukunft Halbzeit haben, d.h. die Hรคlfte meines Lebens in L. und den Rest โim Westenโ verbracht zu haben. Dies hatte damals hauptsรคchlich 2 Grรผnde: a) ich wollte mich mit meinem guten Abschluร (Berufsausbildung) nicht unter Tarif bezahlen lassen und noch viel wichtiger b) mir war Leipzig zu eng geworden, ich wollte raus und andere Horizonte/Menschen/Umgebungen kennenlernen. Trotzdem ist der Stand damals wie heute der, dass ich mir weiterhin vorstellen kann โirgendwannโ wieder zurรผckzukommen. Auch bei mir kamen viele Gesprรคche in den ganzen Jahren an den Punkt und zu der Frage meiner Herkunft, welche irgendwie nie jemand richtig vermutet/geraten hat.
Was ich allerdings nie gemacht habe und auch nie machen werde, ist meine Herkunft zu leugnen oder zu kaschieren. Warum auch??? Meine Antwort war seit jeher: Ich komme aus . . . . . Leipzig. Nix weiter. Keine Ahnung warum โSachsenโ dabei nie eine Rolle spielte. Am Anfang war es mir vielleicht zu schawmmig als Begrifflichkeit, spรคter wurde es auch nicht besser und nach diversen Vorfรคllen wรคhrend der Zeit gab es auch keinen Grund. Vielmehr war โLeipzigโ fรผr mich Statement genug.
Auch habe ich kein Problem damit offen mit meiner Herkunft als โOstdeutscherโ umzugehen, allein schon aus Grรผnden der Erziehung, Prรคgung, Ausbildung usw.. Meint jemand sich darรผber evtl. lustig machen zu mรผssen, oder lรคsst irgendeinen sinnfreien (ernstgemeinten) Spruch ab, so bin ich da nie auf den Mund gefallen gewesen.
Dies nur, weil J. es in seinen Kommentaren hier kurz angerissen hatte und alles anderes ist von ihm bereits treffend auf den Punkt gebracht worden.
Natรผrlich gibt es diese Probleme und jene Probleme, aber, liebe Ostdeutsche, was tut Ihr denn selber dagegen?
Ich fรคnde es gut, wenn hier jemand eine ostdeutsche Partei grรผnden wรผrde, wenn Euch doch die โetablierten Parteienโ so zum Halse raus hรคngen. Eine Partei, die dafรผr kรคmpft, dass sich hier im Osten fรผr Soziales mehr eingesetzt wird. Die dafรผr kรคmpft, dass Kindergรคrten, Schulen und Jugendklubs mehr Geld und mehr Personal bekommen. Die dafรผr kรคmpft, dass Altenflegepersonal ein angemessenes Gehalt bekommt, die sich aber auch dafรผr einsetzt, dass man Menschen (auch aus dem Ausland, wenn sie hierher kommen wollen) fรถrdert, die eine Ausbildung wollen. Gleiches gilt fรผr die Menschen aus dem Gesundheitswesen. Das sind doch gute, sinnvolle Dinge, fรผr die man sich einsetzen kann?
Ihr ostdeutschen Bรผrger kรถnntet auch fรผr mehr Integration kรคmpfen. Ihr kรถnntet Anerkennung fordern fรผr Eure Lebensleistungen. Ihr kรถnntet Euch zusammenreiรen und gemeinsam dafรผr kรคmpfen, dass die Renten in Ost und West endlich gleich sein werden (nach meinem letzten Stand sind sie es nicht, oder?). Vor allem kรถnntet Ihr, anstatt immerzu Angst zu haben vor irgendeiner mysteriรถsen Islamisierung, losgehen und Euch einfach so mal mit Geflรผchteten unterhalten. Es gibt soviele Projekte und Vereine, wo genau Ihr was tun kรถnntet. Einfach mal mit denen reden. Aber in den Vereinen hรถre ich immer nur, es gรคbe zu wenig Leute, die sich ehrenamtlich engagieren. Wahrscheinlich ist es leichter, auf dem Sofa sitzen zu bleiben und zu meckern.
Wenn Ihr ostdeutschen Bรผrger wirklich mehr Polizisten wollt (und soweit ich weiร, wurden in der Tat viele Stellen eingespart in den vergangenen Jahren), dann geht los und grรผndet Eure eigene Partei und setzt Euch ein fรผr mehr Stellen bei der Polizei. Sicher gibt es Menschen, die das blรถd finden werden, aber dieses Recht steht Euch doch zu, solches zu fordern.
Aber lasst die Rassisten und Radikalen aus Eurer Partei. Denn der Hass und die Wut bringen Euch nicht weiter, sondern schaffen nur neue Probleme fรผr Euch.
Ja, Ihr macht Euch selber gerade ganz viel kaputt. In meinen Augen zerstรถrt Ihr dadurch, dass Ihr eine Partei von Rassisten und Antidemokraten wรคhlt, Eure eigene Heimat.
Ich habe eben nachgesehen. Sachsen ist jetzt schon eines der Bundeslรคnder mit den meisten alten Leuten. Denkt Ihr ernsthaft, die wenigen jungen Leute bleiben jetzt noch hier? Ich kenne jetzt schon viele, die genau wegen Euch und Eures Hasses hier vor Jahren bereits weggezogen sind. Leipzig ist ja immer letztlich nur eine Ausnahme, eine Insel in einer lebensfeindlichen Umgebung. Meint Ihr ernsthaft, wir kommen zurรผck irgendwann? Sachsen wird in der Konsequenz noch weitaus mehr รผberaltern. Und es wird niemanden geben, der Euch alte Leute pflegen wird. Eure Dรถrfer und kleinen Stรคdte werden jetzt erst recht aussterben.
Es wird eine Spirale sein, die Ihr gerade antreibt, die Eure Heimat bedeutungslos und wirtschaftsschwach machen wird. Ich bin kein Freund einer grenzenlos wachsenden Wirtschaft auf den Rรผcken von Mensch und Natur, aber was Euch erwartet, wird das Gegenteil sein und das ist auch nicht gut. Was denkt Ihr denn, die Bรคcker, Fleischer, kleinen Hรคndler, kleine Firmen werden dann eben auch zu machen, einerseits wegen Nachwuchsmangel, andererseits weil ja auch die Kunden sterben irgendwann. Und die groรen Firmen? Die erรถffnen vermutlich eher da Standorte, wo es Arbeitskrรคfte gibt.
Laut dem Freistaat Sachsen lag das Durchschnittsalter 2016 bei 46,7 Jahren, Tendenz steigend. Leute, nach der Nummer die Ihr Euch nรคchstes Jahr bei der Wahl leisten werdet, wird es wahrscheinlich ein Durchschnittsalter von 60 Jahren werden demnรคchst.
Und warum? Aus reiner Angst und Kopflosigkeit und weil Ihr nicht nachdenkt und einer rechtsradikalen, in groรen Zรผgen auch noch westdeutschen Partei (Hรถcke ist aus Westfalen, Gauland ist zwar Chemnitzer aber in Hessen aufgewachsen, von Storch ist eine Adelige aus Schleswig-Holstein, Alice Weidel kommt aus Gรผtersloh) hinterher hoppelt und weil Ihr offenbar nicht in der Lage seid, selber vom Sofa hoch zu kommen und sich konstruktiv fรผr Eure Heimat einzusetzen.
Ich schreibe hier westdeutsche Partei, weil Ihr, die Ostdeutschen, ja immer so oft auf Eurer ostdeutschen Identitรคt beharrt. Angefangen mit der Ostalgie, lustigen DDR-Produkten die man noch immer in Souvenirlรคden kaufen kann und weil Ihr vom Neid zerfressen seid gegenรผber den Westdeutschen (was komplett unbegrรผndet ist, denn ich weiร, dass im Westen die Straรen auch nicht mit Gold gepflastert sind). Und ich finde es witzig, dass ausgerechnet Ihr, die Ihr immer das Volk sein wollt und auf die Wessis schimpft, in einer solchen populistischen Partei, die so offensichtlich mit Euren Gefรผhlen, vor allem Euren รngsten spielt wie auf einem Klavier, dass Ihr die nun wรคhlt und damit nur Euch selbst wahrscheinlich schadet.
Wo sehe ich Euch und Euer Sachsen, Euer Ostdeutschland in vielleicht zehn Jahren? Der Altersdurchschnitt bei 60 Jahren. Wรผst gefallene Dรถrfer. Bis auf wenige groรe Stรคdte wird es einen weiteren Bevรถlkerungsrรผckgang geben. Dadurch wird auch die regionale Wirtschaft geschwรคcht werden. Internationale Groรkonzerne werden ihre Filialen hier schlieรen und irgendwo neu erรถffnen, wo es Menschen gibt unter 60 Jahren. Oder sie werden vollautomatisierte Fabrikanlagen mit Robotern bauen, nur ein Mensch wird dort ab und zu kommen um die Anlagen zu รผberwachen. Es wird viele Altersheime geben, die aber aufgrund des Personalmangels nicht besonders gut sein werden. Gut mรถglich, dass man versuchen wird, aus Polen Arbeitskrรคfte abzuwerben, aber das wird nicht reichen. Es gibt bereits jetzt Pflege-Roboter, der Euch dann ab und zu im Bett wenden wird, damit Ihr Euch nicht wund liegen werdet. Es wird, wie bereits jetzt in Mecklenburg-Vorpommern, ein paar Nazidรถrfer mehr geben, die dort ihre eigenen Parallelwelten aufbauen werden.
Nun ja, ein Positives hat diese erschreckende Zukunftsvision: viele bedrohte Tiere und Pflanzen werden wieder Platz haben in Ostdeutschland. Wenn nicht irgendwelche Agrar-Groรkonzerne die Chance ergreifen und das nun gรผnstige Ackerland in groรem Stil aufkaufen, um dort Mais- und Rapsmonokulturen auf groรen Feldschlรคgen anzubauen: zur Gewinnung von Energie. Vielleicht kaufen sie dann auch die Wรคlder, um dort Nadelholzplantagen aufzuforsten zur Energiegewinnung. Andere Firmen nutzen die Situation dann vielleicht auch aus, um Bodenschรคtze wie Kohle abzubauen, noch mehr als jetzt. รbrigens brauchen die dafรผr vielleicht nicht mal Arbeitskrรคfte, es gibt bereits jetzt Traktoren, die per GPS ferngesteuert werden. In den Wรคldern ersetzen Harvester Forstarbeiter. Sicher wird es auch im Tagebau Maschinen und Roboter geben. Und Leute wie ich, halbwegs junge Leute, die dagegen kรคmpfen wรผrden, dass das Land, ja, die Heimat (!) zerstรถrt wird durch sowas, wird es hier nicht mehr geben oder in nur noch so kleiner Menge, dass sie allein nicht gegen die Entwicklung ankommen werden.
Aber was sollen wir hier? Ich werde hier beschimpft von Euch als linksgrรผnversifft. Und mit Euch reden kann man auch nicht, auf Argumente wird mir entgegnet, das wรคren alles Lรผgen und auf Facebook, da (!) hรคtte jemand geschrieben! Und auf Youtube gibt es ein Video, welches beweistโฆ Leute, ich kann auch auf Facebook irgendwas schreiben oder Verschwรถrungstheorien auf Youtube verรถffentlichen. Und nein, es gibt keine Lรผgenpresse. Es gibt viele Zeitungen, Zeitschriften, Sender, Journalisten, die durchaus unterschiedliches berichten und beleuchten und auch gegeneinander argumentieren, Ihr mรผsst Euch nur mal die Mรผhe machen, Euch hinzusetzen und alles zu lesen und zu durchdenken.
Stattdessen marschiert Ihr mit Fuรball-Hooligans durch Chemnitz und Dresden und schreit Lรผgenpresse. Nicht Euer Ernst, oder?
Nein. Ich hab nicht mal mehr Angst vor Euch. Ich bin hier geboren in Ostdeutschland, aufgewachsen, habe fast mein ganzes Leben hier verbracht und eigentlich wรคre es schรถn, hier zu bleiben und hier zu arbeiten, mich hier weiter zu engagieren, aber es ekelt mich. All das widert mich an. Ich mรถchte nicht in einem Land leben voller Haร, Angst, Missgunst unter der Regierung mit einer Partei, welche Minderheiten wie Auslรคnder, Homosexuelle und allein erziehende Frauen allein schon im Wahlprogramm (ich hab es gelesen!) diskriminiert, welche aber ansonsten keine Lรถsungen fรผr die Probleme des 21. Jahrhunderts hat.
Und wenn ich fortgehe zu den anderen, die schon alle gegangen sind, vielleicht werde ich dann auch auf die Frage, wo ich herkรคme, antworten: aus Braunschweig.
Also ich kann es nicht mal mehr Angst nennen. Mich widert diese Entwicklung an. Aber so neu ist das alles nicht. Nach der Wende, als ich noch in die Schule ging, tauchten doch die ersten jugendlichen Nazis auf. Leise raunte man โdort in dem Nachbarort gibt es so welcheโ und dass man von denen besser Abstand halten soll.
Natรผrlich war damals nicht alles in Ordnung, aber ich denke, es wird nie einen Zustand geben, wo irgendwo auf der Welt durchgรคngig alles in Ordnung sein kann. Dafรผr sind Menschen zu vielfรคltig, fรผr einen klemmt es immer, wo es aber fรผr andere passt. Es gab viele Betriebe, die zumachten, es gab viele Arbeitslose. Und ja, auch persรถnliche Verwandte von mir gingen in den Westen, aber sie machten dort ihr Glรผck. Und es geht ihnen sehr gut dort und sie werden ganz sicher niemals wieder in den Osten zurรผck kehren.
Viel lief durcheinander in den 90er Jahren, aber im Groรen und Ganzen lebten wir alle und kรคmpften uns durch. Viele, die ich kannte, lebten Jahre als Arbeitslose, manche kamen dann in eine ABM, aber im Groรen und Ganzen ist niemand verhungert. Es gab immer einen Weg und es ging stets doch voran, auch wenn es nicht leicht war. Aber auch gab es permanent die bestรคndige Bedrohung von rechts im Hintergrundrauschen.
Bekannte, die wegen ihres Erscheinungsbild besonders attraktive Ziele fรผr Nazis in den 90er waren, erzรคhlten mir von รberfรคllen durch Nazis in Leipzig. So schlimm, dass sie ein Notfall-Telefon eingerichtet hatten. Es hat die รffentlichkeit schlicht nicht interessiert, dass Menschen, einfach weil sie nicht einer Norm entsprechen, die irgendweche radikalen Rechten fรผr sich festgelegt haben, terrorisiert worden sind.
Weitere Verwandte von mir zogen in den Westen. Sie leben dort bis heute und dies nicht schlecht. Sie fรผhlen sich wohl dort und verschweigen vor anderen, dass sie eigentlich mal aus dem Osten kamen. Sie schรคmen sich sogar dafรผr.
Irgendwann zog ich nach Leipzig. Und ich hatte Arbeit hier. Auch bei mir war nicht immer alles in Ordnung. Ich war mal ein paar Jahre arbeitslos bzw. war mein Gehalt so niedrig, dass ich HartzIV dazu bekam. Eine kurze Zeit ging ich sogar mal zur Tafel, aber ich tat es nicht unbedingt nur aus Not, sondern weil es fรผr mich eine willkommene Hilfe war, รผber die ich sehr glรผcklich war. Ich war auch sehr froh, dass ich in einem Land lebe, in dem man, wenn man ohne Arbeit ist, eine Unterstรผtzung bekommt vom Staat, bis man wieder in Arbeit ist. Es war fรผr mich weder eine Bรผrde noch irgendein Makel. Andere waren auch arbeitlos, nun, es war eben nicht einfach. Wieder zogen einige aus meiner Familie und meinem Bekanntenkreis in den Westen, ich hielt dem Osten noch immer die Treue und in der Tat fand ich doch immer wieder Arbeit in dieser groรen Stadt Leipzig. Damals saรen die Nazis in der Odermannstraรe und ich kannte Menschen dort, die die Feiern dieser Rechten nachts als sehr unangenehm empfanden. Soweit ich es mitbekam, war man sehr froh, als die wegzogen.
Als die โFlรผchtlingswelleโ kam, wurde dann, besonders im Internet, so getan, als wรผrden hier Billionen notleidender Menschen kommen. Und es wurde getan, als wรผrde dies das Ende der Zivilisation bedeuten. Nun, viel passierte in meinem persรถnlichen Umfeld nicht. In einer groรen Stadt wie Leipzig mit sovielen Touristen und Durchreisenden: woher soll man denn da wissen, wer geflรผchtet ist oder wer nur zu Besuch ist? Irgendwann standen und saรen da, wo es kostenloses WLAN gibt, Menschen, die durchaus Flรผchtlinge gewesen sein kรถnnten. Ich dachte nur, dass sie clever sind. Beim einkaufen sah man spรคter hin und wieder welche, oder auch im Park. Familien mit Kindern, die spielten. Ab und zu jรผngere Mรคnner in Gruppen, die sich in der Gegend umsahen. In meinem Sportverein kamen auch hin und wieder welche vorbei. Ich bin nicht sicher, aber in meiner Straรe kรถnnten auch welche leben, aber sie sind so unscheinbar und unauffรคllig. Ich habe wirklich nichts negatives von irgendwelchen Flรผchtlingen erlebt. Hin und wieder erzรคhlte eine Bekannte, irgendein Flรผchtling hรคtte sie angesprochen, aber es waren immer nur unbeholfene, schรผchterne Kontaktanbahnungen. Man liest in der Zeitung hin und wieder was, aber mir erscheint es als vรถllig logisch, dass es in einer groรen Stadt hin und wieder leider Verbrechen gibt, und ich finde es nachvollziehbar, dass es auch unter Geflรผchteten Menschen gibt, die eine Straftat begehen. Aber weil von den Geflรผchteten einige Straftaten begehen, kann man doch unmรถglich auf die anderen schlieรen, die absolut unauffรคllig und ruhig hier leben, so zurรผckgezogen, dass ich sie nur ganz selten aus dem Nachbarhaus zum Supermarkt huschen sehe. Ich habe einmal einen Flรผchtling kennen gelernt, der hat hier angefangen zu studieren und sprach bestens deutsch. Sicher gibt es auch andere, die hierher kommen und wo sie herkamen, Schlimmes erlebt haben. Die vielleicht auch schon Jahre ihres Lebens von Ort zu Ort getrieben werden und umherziehen und nirgens ankommen. Die Bรผrokratie ist nicht nur fรผr uns oft รผberwรคltigend und erdrรผckend, Flรผchtlinge, die oft auch noch Probleme haben mit der deutschen Sprache, haben noch mehr Bรผrokratie, Regelungen und Gesetze, die sie beachten mรผssen. Das dann ein junger Mensch von denen verzweifelt und dem Alkohol verfรคllt, oder Drogen nimmt, dann abstรผrzt ins Bodenlose und als gefallene, kriminelle Existenz durch die Welt zieht, also das wundert mich nicht. Ich will Kriminelle auch nicht in Schutz nehmen, aber fรผr mich sieht es so aus: sie sind die logische Folge einer problematischen Situation in unserer Welt, und es bringt nichts, aber auch gar nichts, die Folgen nur zu verschieben oder zu verdrรคngen von einem Land ins andere, und die Grรผnde standhaft zu ignorieren und von sich zu weisen, zu sagen, irgendwer anders soll sich kรผmmern.
Denn das sagen ja inzwischen fast alle. Ein wenig wie bei einer Kรผche in einer WG, wo sich niemand zustรคndig fรผhlt, mal aufzurรคumen. So kommt mir die gesamte westliche Welt vor.
Dabei kรถnnte man auch hier vor Ort doch vieles Konstruktives tun und Positives erwirken. Ich halte es schon fรผr eine sogenannte Win-Win-Situation, wenn sich wir alle, die Gesellschaft, zusammenreiรen, uns um Menschen kรผmmern, die vor Krieg flรผchten, uns auch um die kรผmmern, die hier verzweifeln und gleichzeitig bekommen wir dafรผr neue Nachbarn. Ich erinnere mich an eine Frau aus einem angeblich sicheren Herkunftsland, von dort geflรผchtet, sie wollte hier Altenpflegerin werden und hatte schon eine Ausbildung begonnen, musste aber wieder fort. Ein Irrsinn, ein paar Tage spรคter erzรคhlte mir eine deutsche Altenpfegerin, dass sie einfach keine Leute finden. Sicher wird es immer mal jemanden geben, der kriminell wird, aber Leute: das war schon immer so, egal zu welcher Zeit. Natรผrlich kann man sich aber auch fรผr alte Leute oder Jugendliche einsetzen, ich finde, Hauptsache ist doch, man tut was, anstatt nur zu meckern.
Ich denke, eine Situation ist ja auch immer das, was man draus macht.
Zur Zeit ist es so: ich als weiรer Mann werde in Leipziger Straรen von Menschen mit dunklerer Hautfarbe รคngstlich angesehen. Ein kleiner Junge in einer Haltestelle drรผckte sich in die Ecke als ich dort vorbei ging.
Das kann nicht sein. Ich mรถchte nicht in einem Land leben, wo Menschen vor mir Angst haben, weil ich eine weiรe Hautfarbe habe.
Vor allem wird diese Angst bei denen Folgen haben, doch auch fรผr uns, denn aktuell bauen wir die Grรคben von morgen, die uns Menschen hier in diesem Land und in ganz Europa in Zukunft noch weiter trennen werden. Und solche Grรคben werden irgendwann wahrscheinlich Schรผtzengrรคben sein.
Ja, das ist wirklich alles sehr beunruhigend. Es ist wahrscheinlich wiemit der Angst, nach einem Unfall Erste Hilfe leisten zu mรผssen. Aus Angst, etwas falsch zu machen, macht man lieber gar nichts. Dabei soll ja ALLES besser sein als nichtstun. Und diese ganzen Diskussionen um Begriffe (Nazis oder Neonazis, Hetzjagd oder Bedrohung) halten auch nur auf und geben den Menschenfeinden einen gefรคhrlichen Vorsprung. Wir brauchen dringend mehr Haltung und vor allem Selbstbewusstsein, auch zu unserer รberzeugung zu stehen.
Ich weiร zwar auch noch nicht genau was, aber ja. Tun mรผssen wir wohl was. Am besten Gestern.