Am 4. August 2018 kamen knapp 2.000 Menschen zu einer Demonstration in Leipzig. Dabei wurden verschiedene Redebeiträge gehalten, welche das Problem der zunehmenden Abschottung, die Zustände in Nordafrika und Leipzig thematisierten. Besonders eindringlich gelang dies einem tunesischen Vertreter der Leipziger Initiative „Die Grenze ist das Problem“, welcher schilderte, wie sich die Lage am Mittelmeer nach vielen ruhigen Jahren bis in die 90er hinein vor allem für die jungen Menschen in Tunesien verändert hat.
Video: L-IZ.de | Weitere Videos der Ansprachen unter l-iz.de/tag/Seebruecke
Ein überaus interessanter Perspektivwechsel, mal von der „anderen“ Seite übers Mittelmeer auf das Verhalten der EU zu schauen. Denn das von ihm genutzte Wort “Bewegungsfreiheit” ist ein Begriff, welchen in Deutschland Geborene zum größten Teil wohl weniger im Alltagsgebrauch haben dürften. Denn sie haben sie ja.
500 Euro, Urlaub in Tunesien, Halbpension und dann ein Bummel am Strand – gerade den Reiseweltmeistern aus Deutschland ist ja kein Land zu fern und kein Berg zu hoch. Manchmal wundert man sich dennoch, dass gerade ältere Ostdeutsche, die durchaus mitbekommen haben sollten, dass es 1989 auch um “Reisefreiheit” als äußerer Ausdruck von Bewegungsfreiheit und Veränderung ging, so schnell vergessen konnten.
Raus, nur raus, hieß es sogar schon vor dem sehnsüchtig erwarteten “Westgeld”, Westdeutschland, Europa, die Welt sehen, mit großen Augen auf die Buntheit der Länder, Menschen und Geschäfte schauen.
Oder eben mal ans Meer, also ans richtige, mit Ebbe und Flut und weg vom Betriebsferienurlaub an der immer gleichen Ostsee oder am Balaton. Paris (oder eben Venedig) sehen! und London besuchen, mancher machte sich gar stracks Richtung USA auf. Allen voran seither immer die jungen Menschen, bis heute mit dem Rucksack, im Zug, im Flieger oder auf dem Schiff unterwegs, die Welt zu erkunden. Und dann nach Hause funken, wie schön es ist auf dieser freien Welt.
Apropos zu Hause. Die meisten kamen und kommen ja wieder, zurück zu Familie und Freunden und einem auch nicht immer unproblematischen Arbeitsleben in Deutschland und Europa. Lebensmittelpunkte verlagert man nicht einfach so, verlässt Bindungen und Nähe zugunsten eines ungewissen Lebens im Ausland.
So muss es wohl auch mal in Tunesien gewesen sein. Seither hat sich so einiges geändert. Eine Ansprache, die am 4. August auf dem kleinen Weinert-Platz auch wegen ihrer Eindringlichkeit in tosendem Applaus und Bravo-Rufen endete. Eine rationale und nachvollziehbare Schilderung über die historischen und neuen Fehler der Europäer im Umgang mit den nächsten Nachbarn am Mittelmeer.
Video von der Seebrücke-Demo in Leipzig (1): Mission Lifeline schildern Einsätze im Mittelmeer
2.000 Leipziger demonstrierten am Samstag dafür, Leipzig zum sicheren Hafen zu machen + Video
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Das ist so verrückt. Ich gehör ja auch zu den Menschen, die von dusseligen Rechten immer als “bahnhofsklatschende Gutmenschen” bezeichnet werden (obwohl ich noch nie nen Bahnhof geklatscht hab, das Gutmensch nehm ich aber mal als meine Eltern stolzmachendes Kompliment). Ich bin also seit ein paar Jahren mit diesem Thema beschäftigt, ich hab mit Flüchtlibgen gesprochen und kenne viele Helfer. Aber diese Sicht ist mir auch total neu. Und dabei so wichtig. Dass die einseitige Reisefreiheit ungerecht und anmaßend ist war mir schon klar, aber dass wir dadurch Menschen teilweise regelrecht dazu nötigen hierzubleiben statt zu pendeln oder sich auf normalem Wege einen Job zu suchen – daran hab ich ja noch gar nicht gedacht. Grandiose Rede. Diese Initiative werd ich mir mal genauer ansehen. Danke fürs Video, das hätt ich echt ungern verpasst.