LZ/Auszug aus Ausgabe 54Es tobte vorab durch die gesamtdeutsche Presse und nach Beendigung noch einmal. Die als größtes Festival der Neonaziszenerie angekündigte „Schild und Schwert“-NPD-Veranstaltung im ostsächsischen Ostritz bei Görlitz direkt an der deutsch-polnischen Grenze. Ebenso wurde im Vorfeld klar, dass sich direkt vor Ort in Ostritz die Bürger eher von dieser Idee abwandten und Gegenaktionen planten. Auch aus Leipzig kam Unterstützung unter anderem vom zivilgesellschaftlichen Bündnis „Leipzig nimmt Platz“. Am 21. April fuhren mehrere Busse gen Ostsachsen und Irena Rudolph-Kokot war dabei. Nach ihrer Rückkehr gab es von der LZ fünf Fragen zu ihren Eindrücken.
Der Führergeburtstag in Ostritz ist durch, rund 1.000-1.500 Neonazis sind dem Aufruf von Veranstalter Thorsten Heise (NPD) zum „Schwert und Schild“-Festival vom 20. bis 22. April gefolgt. Ein Erfolg für die Rechtsextremen oder doch eher ein weiteres Zeichen des Niedergangs der NPD angesichts des Verlaufs?
Das Festival hatte Potential, noch viel mehr Teilnehmer*innen anzulocken. Der Vermieter des Geländes, Hans-Peter Fischer, hatte geworben, dass er bis zu 10.000 Menschen auf dem Areal unterbringen könnte. Ein Nazievent in Wrocław wurde zugunsten von Ostritz abgesagt und es fuhren auch polnische Neonazis zu „Schild und Schwert“.
Auch die Tatoo-Convention und das Kampfsportevent waren dazu geeignet, vor allem auch weitere Randszenen anzuziehen. So könnte man das Fazit ziehen, dass die erreichte Teilnehmer*innenzahl eher als schwach einzuschätzen ist.
Allerdings würde ich vorsichtig sein, von einem Niedergang der NPD zu sprechen. Diese Partei setzt nach dem gescheiterten Verbotsverfahren wieder stärker auf Aktion und Vernetzung. Das sollte man beobachten.
Verfassungsfeindliche Symbole, eine Security von der „arischen Bruderschaft“, verbotene Zeichen (wie die der Waffen-SS), betrunkene Teilnehmer der Veranstaltung, obwohl es ein Alkoholverbot gab. Welche Auflagen des Landratsamtes Görlitz wurden Ihrer Meinung nach überhaupt auf dem Gelände eingehalten?
Interessant ist, dass die Polizei offensichtlich eine Vielzahl an Hitlergrüßen nicht sah, „Sieg Heil“-Rufe nicht hörte und erst auf Drängen der Öffentlichkeit die Shirts der Security beschlagnahmt wurden. Wenn Alkoholverbot auf dem Gelände heißt, dass sich die Nazis im Ort mit Alkohol versorgen und betrinken, dann hätte man die Auflage auch sein lassen können.
Dann wären die vielen glatzköpfigen Männer in eindeutiger Szenekleidung nicht angetrunken in Gruppen durch den gesamten Ort marodiert, sondern hätten sich auf dem Gelände zugelötet.
Das wäre zumindest für alle Menschen, die im Ort wohnen oder die beiden Protestveranstaltungen besucht haben, in Punkto Sicherheit besser gewesen. Polizist*innen, die angesprochen wurden, warum denn die Nazis mit Bier-, Wein, – und Schnapsflaschen durch die Gegend laufen und wie das denn mit dem Alkoholverbot sei, antworteten, dass sie nicht zuständig wären.
Funfact: An der Versammlung von „Rechts rockt nicht“ konnte ich beobachten, wie die Polizei eine Alkoholkontrolle bei einem Gegendemonstranten durchführte.
Hätte die als politische Kundgebung angemeldete Veranstaltung angesichts dieser massiven Verstöße, wie bei vielen anderen Demonstrationen, nicht abgebrochen werden müssen?
Ich denke schon, dass durch intensive Vorkontrollen mit tatsächlicher Ahndung aller Verstöße den Festivalteilnehmer*innen kein derartig provokanter Auftritt gelungen wäre. Spätestens zum Zeitpunkt des Wissens über die Symbolik der eingesetzten Security wäre es nötig gewesen, über einen Abbruch nachzudenken.
Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind sehr weit und das ist grundsätzlich gut. Allerdings würde ich mir angesichts der deutschen Geschichte und eines Nazi-Events an der deutsch-polnischen Grenze mehr Fingerspitzengefühl wünschen. Ich bin mir nicht sicher, ob alle Möglichkeiten ausgelotet wurden.
Eine Verschärfung von Versammlungs- oder Polizeigesetz lehne ich ab. Diese gilt es eher zu modernisieren. Das heißt u. a. endlich eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen einzuführen.
Apropos Abbruch: Wie haben Sie das Verhalten der Polizeibeamten vor Ort empfunden, lief alles korrekt und welche Schlüsse könnte man aus dem Verlauf ziehen?
Grundsätzlich muss man zwischen Einsatzstrategie und dem Verhalten einzelner Beamt*innen unterscheiden. Ich habe durchaus viele freundliche Polizist*innen erlebt, die zum Teil Probleme mit der Ortskunde hatten und dies auch so zugaben. Die eingesetzte Berliner Polizei war sehr zuvorkommend. Allerdings haben sie ihre Grenze durch die vorgegebene Einsatzstrategie gehabt.
Uns wurde bei Anreise kommuniziert, dass „die Lager getrennt werden sollen“ und deshalb wurde uns ein Ankunftsort zugewiesen und ein Aufzug durch den Ort nicht genehmigt, lediglich durch die grüne Landschaft zur Lederwiese. Zur gleichen Zeit liefen die Nazis schon munter durch den Ort. Im weiteren Verlauf des Tages erlebte ich wenig davon, dass den Ewiggestrigen irgendwelche Wege verwehrt wurden, aber das geschah natürlich wieder bei vermeintlich Linken (in Wirklichkeit waren kurzzeitig einfach alle betroffen, die die Straße passieren wollten).
Auch war es befremdlich, dass die Polizei jeweils zum Abend hin die Kräfte stark reduzierte. Man kann von Glück reden, dass an den Tagen nichts wirklich Schlimmes passiert ist. Ich hoffe nicht, dass Ostritz noch mal von diesen rückwärtsgewandten Geistern heimgesucht wird. Wenn dies doch geschehen sollte, wünsche ich mir insgesamt einen anderen Umgang mit den offenen Demokratiefeinden und vielmehr auch behördlichen Support für die Menschen, die für unsere Demokratie eintreten, und diese Demokratie ist antifaschistisch.
Wie haben Sie die Reaktionen, das „Friedensfest“, also den Umgang der Ostritzer selbst vor Ort erlebt und wurde die Anwesenheit von „Rechts rockt nicht“ als störend empfunden?
Ich persönlich habe nur freundliche Menschen getroffen und auch eine Anwohnerin, die uns zum Abschied gewunken hat. Die Teilnehmer*innen beider Protestveranstaltungen besuchten sich gegenseitig, auf der Verbindungsstraße zwischen dem „Friedensfest“ und „Rechts rockt nicht“ herrschte reger Verkehr. Die anfängliche Trennung wurde von den Menschen selbst aufgehoben. Gestört haben nur die herumstreunenden Nazis.
Mein Dank gilt den Veranstalter*innen der Proteste und allen an der Durchführung Beteiligten. Auch bin ich froh, dass wir aus Leipzig mit knapp 200 Menschen am Samstag in Ostritz Präsenz zeigen konnten. Es gibt kein ruhiges Hinterland!
Leipziger Zeitung Nr. 54, seit Freitag, 27.04.2018 im Handel: Schärfere Polizeigesetze ersetzen keinen aufrechten Gang
Leipziger Zeitung Nr. 54: Schärfere Polizeigesetze ersetzen keinen aufrechten Gang
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