Egal, welchen Teil der sächsischen Wirtschaftspolitik man anschaut, jeder sieht irgendwie aus, als wolle man das 20. Jahrhundert ins 22. hinüberretten. Selbst dann, wenn wirtschaftlich deutlich stärkere Bundesländer im Bundesrat neue Wege zu gehen versuchen, wirft Sachsen sein „Nein“ in den Ring. So auch am 10. Februar wieder, als es um ein Umsteuern in der Landwirtschaft ging.
Kein abwegiges Thema. Im Gegenteil. Die miserablen Grundwasserwerte in Deutschland machen mittlerweile europaweit von sich Reden. Die Felder sind überdüngt, Nitrat verunreinigt immer mehr Grundwassserkörper. Die intensive Landwirtschaft führt zu Bodenverlusten und ist der Hauptgrund dafür, dass Sachsen die Grenzwerte der EU-Wasserrahmenrichtlinie nicht halten kann. Dafür sind immer mehr Raine, Schutzgehölze und Grüninseln verschwunden und damit die Rückzugsräume für zahlreiche Tierarten – die Rote Liste der bedrohten heimischen Tierarten wird immer länger. Landschaftsschutzgebiete befinden sich in einem zerrissenen Zustand. Und selbst Bienen und Schmetterlinge verschwinden, weil die planierten Landschaften ihnen keine Nahrung mehr bieten.
Es liegt also eine Menge im Argen und der Freistaat täte gut daran, die ökologische Landwirtschaft und den Artenschutz endlich ganz oben auf die To-do-Liste zu setzen.
Aber am 10. Februar stimmte Sachsens Agrarminister Thomas Schmidt (CDU) lieber dagegen.
Vom Agieren des sächsischen Staatsministers für Umwelt und Landwirtschaft auf der Bundesratssitzung vom 10. Februar zeigt sich jetzt Susanne Kleiber, Geschäftsführerin des NABU Sachsen, enttäuscht. Selbst wenn der Minister die heimischen Agrarkonzerne schonen möchte, hätte er anders votieren können.
Die Bundesländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein, beide mit einer höheren Bruttowertschöpfung in der Land- und Forstwirtschaft/Fischerei als Sachsen, haben in den Rat einen Vorschlag eingebracht, die von der EU gewährten Fördermittel für die Landwirtschaft umzuschichten. Der Vorschlag lautete, dass mehr Fördergelder für Maßnahmen ausbezahlt werden, die der Gesellschaft dienen, etwa weil sie die biologische Vielfalt, die Grundwasserqualität, den Klimaschutz oder das Tierwohl fördern. Also die ganze Palette, die der NABU Sachsen immer wieder anmahnt. Und die von den Verbrauchern auch gewünscht wird, wie ja jüngst erst eine Umfrage zeigte. Den Verbrauchern ist durchaus bewusst, welche fatalen Schäden die industrialisierte Landwirtschaft in unserer Umwelt anrichtet.
Doch in Sachsen stoßen solche Forderungen weitgehend auf taube Ohren.
Am 10. Februar hatte das sächsische Agrarministerium sogar extra vermeldet, dass Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt im Bundesrat weitere Umschichtungen bei der Agrarförderung abgelehnt hat. „Der Versuch, statt bisher 4,5 Prozent ab dem Jahr 2018 15 Prozent der Direktzahlungen in die zweite Säule umzuschichten, wäre Wortbruch gegenüber den Landwirten“, hatte er im Bundesrats-Plenum erklärt. „Bereits die seit dem Jahr 2015 geltenden 4,5 Prozent kosten die deutschen Landwirte jedes Jahr 229 Millionen Euro. Schon dieser Kompromiss, auf den sich die deutschen Agrarminister im November 2013 in München verständigt haben, war für die Landwirte schmerzlich, brachte aber zumindest Planungssicherheit. Damit stehen wir bei den Landwirten aber auch im Wort.“
Was natürlich Hokuspokus war. Die Landwirte haben dieses Geld nicht „verloren“, es wurde nur nicht mehr mit der Gießkanne an alle Landwirte nach Fläche verteilt, wie das sonst üblich ist, sondern für umweltschützende Maßnahmen bereitgestellt.
Da stellt sich auch für den NABU die Frage: Gegenüber welchen Landwirten?
„Doch nicht gegenüber denen, die versuchen, den gestiegenen Herausforderungen an die Wettbewerbsfähigkeit, des Umwelt- und Klimaschutzes und an eine zukunftsorientierte Tierhaltung gerecht zu werden. Denn genau hier würde das Geld landen und die Mittel anhand klarer ökologischer und sozialer Kriterien verteilt werden“, so der NABU. Das Geld würden Bauern bekommen, die wirklich Maßnahmen für Artenschutz und Schutz wichtiger Lebensträume träfen.
Genau das aber will Agrarminister Schmidt nicht.
Das kann man beim NABU Sachsen schlicht nicht verstehen:
„Der Artenschwund in der Agrarlandschaft, die Nährstoffeinträge in Gewässer und Meere, die hohen Nitratwerte im Grundwasser, das Auslaugen der Böden, die zunehmende Industrialisierung der Tierhaltung, der Beitrag der Agrarwirtschaft zum Klimawandel und der teils dramatische Verlust an landwirtschaftlichen Betrieben machen deutlich: Die aktuelle Agrarpolitik setzt an vielen Stellen falsche Anreize“, betont Susanne Kleiber. „Wir brauchen jetzt eine Agrarpolitik, die landwirtschaftliche Betriebe, die Umwelt- und Tierschutzleistungen erbringen wollen, gezielter unterstützt.“
Dies habe der NABU Sachsen dem Minister auch in einem Schreiben mitgeteilt und um Unterstützung des Antrages der beiden Bundesländer gebeten. Doch statt flexibel auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren, sehe Sachsens Agrarminister die „Planwirtschaft“ in Gefahr.
„Dennoch werden wir uns als NABU Sachsen auf vielen Ebenen weiterhin für die Belange des Gemeinwohls, hier insbesondere des Naturschutzes, einsetzen“, sagt Kleiber. Voller Hoffnung, dass auch im sächsischen Landwirtschaftsministerium irgendwann der Groschen fällt. „Die Änderungen in der Agrarförderung hin zu ‚fit, fair und nachhaltig‘ müssen und werden kommen.“
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https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/01/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
Es gibt 2 Kommentare
https://info.brot-fuer-die-welt.de/blog/exportsubventionen-afrika-sind-nicht-abgeschafft
Kann gerne durch aktuelle Artikel ergänzt werden. FAZ, Zeit, TAZ – ganz nach Gusto.
Wo ist der Protest gegen diese Agrar-Politik von diejenigen, die angeblich Fluchtursachen bekämpfen wollen?! Diese Politik ist eine Fluchtursache.
Daneben gibt es noch einige andere. Spekulation mit Lebensmitteln zum Beispiel.
Doch diese Agrar-Politik ist armutsbegründend. Nicht in Sachsen, nicht in Deutschland….
Ein wunderschönes Foto. Ich überlege grad, wann ich das letzte mal Mohnblumen auf einem Feld gesehen hab. Das muss viele Jahre her sein, Kornblumen noch viel länger. Früher waren die Felder voll davon. Wie traurig.