Die Initiative „Druck! Machen.“ veranstaltete am Samstag eine Konferenz mit etwa 100 Teilnehmern. Ziel ist ein Forderungskatalog an die sächsische Landesregierung, mit dem antidemokratische Tendenzen im Freistaat eingedämmt werden sollen. Am Rande der Konferenz demonstrierten knapp 20 Personen gegen vermeintliche Linksextremisten.

Seit die Europäische Union fast vollständig auf Abschottungskurs gegenüber Flüchtenden aus aller Welt gegangen ist, ist die Zahl der in Deutschland gestellten Asylanträge stark rückläufig. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) waren es in den ersten drei Monaten 2016 insgesamt 181.405 Anträge, fast 300.000 weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Mit Verschärfungen im Asylrecht und dem Wiederaufbau alter Grenzen gaben die Regierenden in Europa dem Druck der Rassisten auf den Straßen und in den Parlamenten nach.

Dass sich der wütende Mob mit diesen Zahlen nicht zufrieden gibt, belegen aktuelle Zahlen des BKA. Demnach gab es bis Ende April mindestens 368 Übergriffe auf Unterkünfte für Geflüchtete. Die Zahl aus dem Vorjahr – das BKA zählt für 2015 mindestens 924 Straftaten in diesem Kontext – könnte somit noch übertroffen werden. Insbesondere Sachsen ist dabei ein Schwerpunkt rassistischer Gewalt, wie die Verhaftung von Rechtsterroristen in Freital, die Blockade eines Busses mit Geflüchteten in Clausnitz oder der Angriff von mehr als 200 Neonazis auf Geschäfte in Connewitz zeigen.

Bei vielen Akteuren der Zivilgesellschaft hat sich in den vergangenen Monaten die Erkenntnis durchgesetzt, dass weder auf die Polizei noch auf die Landesregierung Verlass ist, wenn es darum geht, die rassistische Gewalt einzudämmen. Über den Angriff der Freitaler Terrorzelle auf ein linkes Wohnprojekt war die Polizei laut einem „Spiegel“-Bericht womöglich frühzeitig informiert. In Clausnitz richtete sich das Engagement der Beamten nicht gegen den drohenden Pöbel, sondern gegen die verängstigten Kinder im Bus. Und am Tag, an dem ein ganzer Straßenzug in Connewitz zerlegt wurde, brüsteten sich Neonazis mit einem Screenshot, der einmal mehr belegte, dass Polizisten geheime Informationen an extreme Rechte weiterreichen – in dem Fall ging es um Legida-Gegner, die auf der Reise nach Leipzig in eine Kontrolle geraten waren.

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) äußerte sich in der nach den Ereignissen in Clausnitz einberufenen Sondersitzung zwar erstmals deutlich zum rassistischen Potential im Freistaat – doch wurden diese ungewohnt klaren Worte zugleich vom Fraktionsvorsitzenden Frank Kupfer und anderen Politikern seiner Partei wieder relativiert. So schlimm sei es gar nicht. Und man möge auch an die „Linksextremisten“ denken.

Um der sächsischen Landesregierung richtig Druck zu machen, hat sich deshalb vor einigen Wochen eine Initiative gegründet: Passenderweise heißt sie „Druck! Machen.“ Zu den Erstunterstützern zählen vor allem Politiker von Grünen und Linken, aber auch der ehemalige Thomaspfarrer Christian Wolff und zwei Vertreter der Gewerkschaft Verdi. Viele der bei „Druck! Machen.“ tätigen Akteure sind bereits von den Legida-Gegenprotesten bekannt. So zählen „Leipzig nimmt Platz“ und „No Legida“ auch zu den erstunterstützenden Organisationen.

Am heutigen Samstag lud „Druck! Machen.“ zu einer Konferenz, an der sich etwa 100 Personen beteiligten. Zu Beginn machte Uni-Mitarbeiter Johannes Kiess, der zu rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung forscht, darauf aufmerksam, dass ebenjene weit verbreitet sind. Aus der „Mitte“-Studie von 2014 geht beispielsweise hervor, dass mehr als 15 Prozent der Deutschen eine völkische Parteiendiktatur bevorzugen, mehr als 27 Prozent die Bundesrepublik durch „die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ sehen und mehr als jeder Zweite ein Problem mit Sinti und Roma in der eigenen Nachbarschaft hätte.

Anschließend fanden vier Workshops statt, die sich verschiedenen Themenkomplexen wie Bildung, Kultur und Öffentlichkeitsarbeit widmeten. An letzterem nahm unter anderem der Grünen-Landesvorsitzende Jürgen Kasek teil. Ihm zufolge müsse es Initiativen in Zukunft unter anderem gelingen, die eigenen Inhalte und Positionen nicht nur ausführlich darzulegen, sondern auch in kompakter Form zuzuspitzen, um sie für Journalisten und sonstige Öffentlichkeit attraktiver zu gestalten. In einem anderen Workshop leitete ein Mitarbeiter der sächsischen Opferberatung eine Diskussion über den Begriff des „Rechtsterrorismus“. Verschiedene Beispiele für von Neonazis verübte Morde sollten dabei helfen, einer Definition des Begriffs näher zu kommen.

Am Ende des Prozesses soll ein Forderungskatalog stehen, der sich an die sächsische Landesregierung richtet. Im Juni ist zudem in Dresden eine Demonstration vor dem Landtag geplant.

Demonstriert wurde derweil auch schon heute. Legida hatte am Freitagnachmittag dazu aufgerufen, die Kundgebung einer „mutigen“ Privatperson unter dem Motto „Man kann Extremismus nicht mit Extremisten bekämpfen“ zu besuchen. Diese startete eine Stunde vor Beginn der „Druck! Machen.“-Konferenz in etwa 50 Metern Entfernung. Knapp 20 Personen forderten dabei ein Verbot von SPD, Grünen und Linken, weil diese den „Linksextremismus“ fördern würden. Auf den Ablauf der Konferenz hatte diese Gegendemonstration keinen Einfluss.

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