Eine Informationsveranstaltung in der Universität Leipzig stößt auf großes Interesse. Doch bei aller vorhandenen Hilfsbereitschaft ist weiterhin Geduld gefragt. Unterdessen gibt die Landesdirektion am Abend bekannt, dass 60 Geflüchtete aus dem Zeltlager in Chemnitz in die Sporthalle der HTWK umziehen.
Ein bisschen fühlte es sich an wie Anfang Januar, als etwa 700 überwiegend studierende Menschen in einen Hörsaal am Augustusplatz strömten, um sich über Legida zu informieren. Gewillt, dem rassistischen und asylfeindlichen Aufmarsch Worte und Taten entgegenzusetzen. Ganz so viele Zuhörer waren es nun – in der vorlesungsfreien Zeit – zwar nicht. Doch immerhin knapp 500 Leipziger wollten wissen, wie sie Geflüchteten in dieser Stadt akut, aber auch dauerhaft helfen können. Im Audimax der Universität gab es einige Antworten.
Zuvor übte der Sprecher des StuRareferates für Antirassismus, Marcus Adler, Kritik an der Landesdirektion Sachsen und fragte rhetorisch: “Ist es wirklich so schwierig, geflüchtete Menschen unterzubringen?” Adler plädierte für eine dezentrale Unterbringung und solidarisierte sich mit den syrischen Geflüchteten im Dresdner Zeltlager, die aktuell gegen die Bedingungen vor Ort protestieren.
Eine kleine Delegation des StuRa habe sich am Montag in der Ernst-Grube-Halle ein Bild von der Situation verschafft. Insbesondere die sanitäre Situation müsse verbessert werden. Adler betonte: “Wir wollen keine Hilfe leisten, sondern unterstützen. Es geht nicht darum, was wir selbst tun wollen, sondern darum, was die Geflüchteten wirklich brauchen.”
Deutliche Kritik an die sächsische Regierung & Hilfe der Bürger
Kritik am Freistaat äußerte auch Sonja Brogiato, Sprecherin des Flüchtlingsrates Leipzig, die zwar nicht das “Ausmaß der Weisheit der Landesregierung” diskutieren wollte, ihre Meinung darüber aber klar zu verstehen gab: “Flüchtlinge zu versorgen, ist eigentlich eine staatliche Aufgabe. Hier ist sie beim Ehrenamt gelandet.” Schwerpunktmäßig widmete sich Brogiato dann den Bedingungen in der Ernst-Grube-Halle, der bisherigen Hilfe sowie der nun notwendigen Unterstützung.
Allein zwischen Freitag- und Sonntagabend habe der Flüchtlingsrat 500 E-Mails mit vielfältigen Unterstützungsangeboten in den Bereichen Kultur, Sport und Soziales erhalten. Telefonisch sei der Flüchtlingsrat nur noch schwer erreichbar gewesen. Auch das vor anderthalb Jahren eingeführte Patenschaftsprogramm war hilfreich, da hierüber dringend benötigtes medizinisches Personal abgerufen werden konnte. Weniger schön: Rund um die Ernst-Grube-Halle wurden einige bekannte Rechtsradikale gesichtet. Die Polizei sei jedoch mit ausreichender Präsenz vor Ort gewesen.
Brogiato wünschte sich für die Geflüchteten und die Atmosphäre, in der sie leben werden, vor allem dreierlei: Arabisch, Persisch und Türkisch sprechende Menschen, die im laufenden Betrieb helfen könnten, da die meisten Dolmetscher des Flüchtlingsrates derzeit in der Ernst-Grube-Halle gebraucht würden; Personen, die zum Transport der Spenden Pkws zur Verfügung stellen können; und einen sachlichen Dialog mit Andersdenkenden. “Helfen Sie mit, zur Akzeptanz von Geflüchteten in dieser Stadt beizutragen”, appellierte Brogiato ans Publikum.
Genau wie die Sprecherin des Flüchtlingsrates, die auch von schockierten und weinenden Menschen in der Ernst-Grube-Halle berichtete, gab Bernd von Bieler Einblick in die Arbeit der ersten Tage. Das Mitglied im Landesvorstand der Johanniter, die Freitagnachmittag kurzfristig mit dem Betrieb der Erstaufnahmeeinrichtung beauftragt wurden, wies auf einen besonders jungen Bewohner der Massenunterkunft hin: “Unter den Flüchtlingen befindet sich ein Baby. Es wurde offenbar auf der Flucht geboren.”
Von Bieler bat die Zuhörer, von denen einige wohl am Liebsten sofort zur Tat geschritten wären, noch um etwas Geduld: “Ich hoffe, dass wir in etwa einer Woche genau sagen können, wann und wofür wir Helfer benötigen werden.” Derzeit befänden sich 209 Geflüchtete in der Ernst-Grube-Halle. Insgesamt soll sie bis zu 420 Personen Platz bieten. Die ursprüngliche Kapazität von knapp 500 Menschen wurde somit reduziert. Dennoch: zu wenig Platz für so viele Personen. Hinzu kommen ganz praktische Probleme: Der Regen zwinge die Geflüchteten momentan förmlich dazu, in der Halle zu bleiben. Am Wochenende hatten sie zumindest die Möglichkeit, den Tag im Freien zu verbringen und der Enge und Bedrückung zu entfliehen. Auch funktioniere das W-Lan nicht richtig und gebe es zu wenige Steckdosen für die Mobiltelefone. Beides sei für die Geflüchteten jedoch wichtig, um Kontakt mit Angehörigen oder Bekannten aufzunehmen.
Das Problem mit dem W-Lan könnte immerhin bald behoben sein. Zumindest erklärte Unirektorin Beate Schücking, der dafür zuständigen Kanzlerin eine entsprechende Bitte per E-Mail geschickt zu haben. Auch ging sie auf Äußerungen von Dorothee Alfermann, der Prodekanin der Sportwissenschaftlichen Fakultät, ein, die sich im Anschluss an ein Pressegespräch in der Ernst-Grube-Halle kritisch zur Aufnahme der Geflüchteten geäußert hatte. Nach einem Gespräch mit Schücking hat sie ihre Haltung angeblich geändert. “Alle Asylsuchenden sind willkommen”, ließ Alfermann ausrichten.
Abschließend betrat eine Vertreterin der Organisation “Refugees Law Clinic”, die Geflüchtete berät, die Bühne und deutete an, was Ehrenamtliche bei der Aufnahme und Betreuung von Asylbewerbern derzeit leisten: “Wir haben großen Bedarf an psychologischer Betreuung. Nicht nur für die Geflüchteten, sondern auch für uns selbst.” Ein Erziehungswissenschaftler informierte schließlich über Pläne für einen Kurs, mit dem Kinder von Geflüchteten auf die Schule vorbereitet werden sollen.
Im Anschluss an die etwa einstündige Diskussionsveranstaltung teilten sich die Zuhörer in kleinere Gruppen auf und besprachen darin verschiedene Möglichkeiten der akuten und dauerhaften Hilfe sowohl für Bewohner der Ernst-Grube-Halle als auch für Geflüchtete in Leipzig generell.
Stura-Antirassismusreferent Adler hatte zum Abschluss seiner Rede noch eine mit dem Thema Flucht und Asyl verwandte Bitte an die Anwesenden gestellt: “Geht gegen Legida auf die Straße. Diese Leute dürfen nicht das Gefühl haben, sie hätten Oberwasser.” Wie so oft an diesem Abend gab es daraufhin lautstarken Applaus.
Tatsächlich dürfen die unzähligen Spenden, Angebote und Gespräche der vergangenen Tage sowie weitere geplante Solidaritäts- und Unterstützungsaktionen deutlich gemacht haben: Leipzig hilft seinen Gästen. Vielleicht nicht trotz, sondern gerade wegen der Hetze gegen sie.
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