Wie wichtig Grün in der Stadt ist, das merken die meisten Leipziger erst, wenn es richtig heiß ist und sich Häuser, Straßen und Höfe aufheizen. Bei Straßen, Parks und Plätzen hat die Stadt die Möglichkeit zu gestalten. Aber wie ist das auf privaten Flächen? Da geht es nur, wenn auch Investoren mitspielen und eine scheinbar wilde Idee wie die Nachbarschaftsgärten akzeptieren. Die in Lindenau an der Josephstraße sind vor elf Jahren entstanden.
Damals als eine dieser so wichtigen Stadtentwicklungsideen, die dem bis dahin tristen Leipziger Westen wieder Leben einhauchten. Von einem explosiven Bevölkerungszuwachs war noch gar nicht die Rede. Im Gegenteil: Leitbild der Stadtentwicklung war die “Schrumpfende Stadt”. Tausende Wohnungen wurden mit Fördergeldern abgerissen. Die Stadtteile waren von großen Brachen durchzogen. Und die Stadt war sogar auf der Suche nach Leuten, die sich zur (Zwischen-)Nutzung der Brachen was einfallen ließen. Dazu gehörten die Nachbarschaftsgärtner in Lindenau, die mit der Gartenpflege an der Josephstraße nicht nur ein Stück lebendiges Grün in einen Ortsteil brachten, in dem damals schlichtweg tote Hose war. Sie schufen auch einen Ort für gemeinschaftliche Aktionen, Feste und Feiern. Mittendrin das Radhaus brachte auch noch handwerkliche Kompetenz in den Ortsteil, von dem dutzende Haussanierer und Wohngemeinschaften ringsum profitierten, als sie die ersten Hausprojekte mit Leben erfüllten und die Basis dafür schufen, dass überhaupt wieder urbanes Leben in die Gegend kam.
Als dann 2013 die neu gestaltete Josephstraße eröffnet wurde, war es eigentlich geschafft: dieser Ortsteil würde seinen Weg gehen, neue Bewohner, Gewerbetreibende und Investoren waren da. Viele Baulücken in der Straße hatten sich längst gefüllt.
Aber die Frage stand schon im Raum: Was wird aus den Nachbarschaftsgärten? Müssen die jetzt, wo es am schönsten ist, weichen? Denn sie haben ja ihre Grundstücke nur zur Zwischennutzung bekommen. Die ersten Grundstückseigentümer signalisierten, dass sie ihr Grundstück verkaufen wollten, weil sich interessierte Bauherren gemeldet hatten.
Die Diskussion hat sich in den vergangenen zwei Jahren immer weiter zugespitzt. Die Nacharschaftsgärtner appellierten an die Stadt, die Stadt versprach zwar keine Hilfe, aber sie wollte zumindest mit dem Investor reden. Doch die Baupläne werden immer konkreter. Und aus Sicht der Nachbarschaftsgärtner auch bedrohlicher.
“Seitdem das Hauptgrundstück der Nachbarschaftsgärten seinen Besitzer gewechselt hat, haben die Nachbarschaftsgärten vieles in Bewegung gesetzt, um ihr drohendes Ende aufzuhalten. Sie haben damit viele Unterstützerinnen und Unterstützer städtischen Grüns erreicht, was die seit vier Wochen laufende und schon sehr erfolgreiche Petition ‘Mut zur Lücke’ zeigt”, erklären sie jetzt in einer gemeinsamen Mitteilung. Über 4.000 Unterschriften gibt es bereits für die Onlinepetition zum Erhalt der Nachbarschaftsgärten. Das sei ein eindeutiges Signal an die Politik, sich weiterhin für die Sicherung dieser grünen Oase im Leipziger Westen einzusetzen, betonen die Gärtner und fragen: Wie kann ein Kompromiss mit dem neuen Besitzer aussehen?
“Unter den 4.300 Unterschriften haben sich allein schon über 1.800 Menschen aus Lindenau und Plagwitz für den Erhalt der Nachbarschaftsgärten ausgesprochen (was ungefähr der Menge entspricht, die für ein Bürgerbegehren benötigt wird). Auch gibt es wieder intensive Gespräche mit Stadt und Politik, wie ein Konzept zum Erhalt der Nachbarschaftsgärten aussehen kann”, teilen sie nun zum Stand der Petition mit. “So hat zum Beispiel der Stadtbezirksbeirat West seine Julisitzung kurzer Hand in die Nachbarschaftsgärten verlegt und bei der letzten Stadtratssitzung demonstrierten die Nachbarschaftsgärtner gemeinsam mit Leopoldparkaktiven für den Erhalt städtischer Gemeinschaftsgärten in Leipzig.”
Dass es einen Kompromiss im Ringen um ein Konzept zur Verstetigung der Nachbarschaftsgärten geben kann, zeichne sich nun ab. Die Gärten müssen sich wahrscheinlich verkleinern, aber der bisherige Bauvorantrag ist unter anderem für Sandra Scholz aus den Nachbarschaftsgärten nicht akzeptabel.
„Der geplante Neubau von 30 hochpreisigen Eigentumswohnungen durch Blockrandbebauung und Solitärbau in der Mitte der Grünfläche würde das grüne Herz der Gärten zerstören”, sagt sie. “Als Kompromiss können wir uns notgedrungen mit der Blockrandschließung arrangieren, aber dafür sollte der gesamte Grünstreifen bis zum Buchkindergarten erhalten bleiben und kein Solitärbau gebaut werden.“
Wenn es gelinge, diesen Kompromissvorschlag umzusetzen, dann sei dies ein Zeichen für eine bürgernahe, nachhaltige und grüne Stadt Leipzig, die durch eine undogmatische und kreative Zusammenarbeit den Ausverkauf eines gefragten Stadtviertels verhindert. Die Hoffnung der Nachbarschaftsgärtner: “So gibt es auch weiterhin einen grünen Garten, der zum Radschlagen einlädt. Und Leipzig zeigt Mut zur Lücke.”
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Und an alle, die sagen: “Zwischennutzung bedeutet halt, dass es irgendwann vorbei ist”, und “die sollen sich doch eine Kleingartenparzelle suchen”: Die Nachbarschaftsgärten haben eine ganz andere soziale und integrierende, in den gesamten Kiez ausstrahlende Wirkung und einen viel offeneren Charakter als ein KGV. Und wer einmal an einem warmen Sommertag mit den Kindern da war, weiß, welche tatsächlich grüne, ruhige Oase durch die “Aufwertung”, d. h. Bebauung mit Townhouses mit Tiefgaragen und straßenseitig grün angestrichenen 3-m-Betonmauern verloren gehen würde (ja, ich bin sarkastisch gegenüber den üblichen Innenstadtneubauten). Klar ist, dass die Grundstücke Millionen wert sind und die Besitzer darauf nicht verzichten werden. Aber vielleicht tut sich ein Mittelweg auf, wenn die Akteure kompromissbereit sind. Zu hoffen wäre es.