Viele Vereine und Initiativen engagieren sich für Flüchtlinge, ob es nun um mehr Rechte, bessere Unterkünfte oder gegen fremdenfeindliche Hetze geht. Auch eine Wohngemeinschaft aus Leipzig setzt sich durch eine einfache Tat für sie ein: Tamira*, Horst* und Jonas* meldeten ihr freies Zimmer beim Projekt „Flüchtlinge Willkommen“ an. Das Projekt kombiniert den WG- mit dem Crowd Funding-Gedanken und bietet somit eine einfache Möglichkeit, Geflüchteten ein relativ normales Wohnverhältnis zu geben. Alexander Böhm hat mit den drei Bewohnern über ihre Motivation, ihre Ängste und empfundene Missstände gesprochen.
Was war euer Schlüsselerlebnis beim Projekt mitzuwirken?
Jonas* (J): Im Grunde war es das Theaterstück „Free Syrian Angst“, bei dem wir gemeinsam waren. Es greift das Schicksal von mehreren Flüchtlingen auf, die auch selbst im Theaterstück mitspielen. Das hat uns sehr bewegt und uns die Frage an den Kopf geworfen, was können wir konkret tun, um einen Beitrag zu leisten.
Tamira* (T): Von dem Projekt hörte ich vorher von einem Freund aus Berlin. Bei dem Theaterstück waren auch Leute von Pro Asyl, weshalb wir direkt erfahren konnten, wie die Lage für Refugees in Leipzig steht und was man konkret tun kann, um aktuelle Missstände anzugehen.
Horst* (H): Danach haben wir überlegt, ob wir unser kaum genutztes Wohnzimmer vielleicht einem Refugee zur Verfügung stellen möchten und haben diese Frage recht schnell mit Ja beantwortet.
Im Vorfeld zur Interviewanfrage habt ihr Befürchtungen geäußert über mögliche Konsequenzen durch „eventuelle Nazis“ bzw. „besorgte Bürger“? Gibt es bei euch da auch Befürchtungen in Richtung Legida?
H: Ja die gibt es eindeutig! Ich habe bei Legida Menschen gesehen, die mit nationalistischen Parolen um sich geworfen haben und an mir vorbei marschiert sind. Sogar ich – als jemand bei dem nicht direkt durch das Aussehen auffällt, dass er nicht in das Bild von den Legidas passt, wie diese sich ihr gelobtes Abendland wünschten – habe Angst, wenn welche von denen an mir vorbei laufen und ich kann mir nicht vorstellen, wie das für jemanden nicht mitteleuropäisch Aussehenden ist. Wir sind deshalb so vorsichtig, weil wir einfach niemandem zumuten wollen, dass vor unserer Tür Nazis auf uns und unsere neue MitbewohnerIn warten.
J: Grundsätzlich ist dies schon immer eine Angst für mich, wenn ich mich politisch engagiere bspw. auf einer Demonstration, dass dann mein Gesicht oder mein Name in diesem Kontext im Internet landet. Es würde das Leben für mich, meine Mitbewohner und die einziehende Person extrem erschweren, wenn der Name oder die Adresse öffentlich wäre. Man würde sich nicht mehr sicher fühlen. Das macht die Idee eines sicheren Schutzraums zunichte, die eine Wohnung ja darstellen soll, wenn jederzeit irgendwelche Nazi-Gruppen, die das vielleicht gelesen haben, sich vor unserer Haustür versammeln könnten. Verschiedene Aktionen von Nazis an anderen Asylbewerberheimen haben gezeigt, dass unsere Angst nicht unbegründet ist. Da bin ich im Vorfeld lieber vorsichtiger, als dass man es später bereut, weil man Informationen nicht mehr aus dem Netz bekommt.
T: Die Angst schwebt zwar im Raum, aber konkret in unserem Haus gibt es damit kein Problem. Ich habe keine Angst, dass das einer im Haus schlecht findet und uns deswegen anders behandelt. Im direkten Umfeld fühle ich mich ziemlich sicher. Es ist mehr so etwas, was mir eventuell irgendwie passieren könnte – so etwas Fernes und Unkonkretes.
H: Ich selbst war davon nicht betroffen, aber Bekannte von mir. Deren Gesichter, Haus- und Telefonnummern waren bei einschlägig bekannten Hooligans und Nazis bekannt. Die haben Besuche, Droh-SMS und Morddrohungen bekommen. Wie gesagt: Ich möchte gar nicht erst mit Namen und Gesicht auf einer Nazi-Website auftauchen. Wenn das passiert, ist man potenziell gefährdet.
Habt ihr schon konkrete Anfragen zur Unterbringung von einem oder mehreren Flüchtlingen und wie muss ich mir das überhaupt mit dem Projekt vorstellen?
J: Den Kontakt habe ich meist geführt und dann haben wir in Absprache geantwortet. Wir haben uns auf der Seite angemeldet mit einer kurzen Beschreibung z.B. wer wir sind, wo wir wohnen und was das für ein Zimmer ist. Es hat auch eine Rolle gespielt, wie man sich das mit der Miete vorstellt und solche Geschichten. Anschließend haben wir noch ein paar konkretere Fragen zu der Wohnsituation bekommen. Vor ein paar Tagen haben wir dann die E-Mail bekommen, dass wir an den Leipziger Ansprechpartner weitergeleitet wurden und jetzt ein lokaler Kontakt entsteht. Wir treffen uns dann mit der oder dem AnsprechpartnerIn um die Details zu klären und lernen uns kennen und dann merkt man, ob es passt oder nicht. Aber genaueres wissen wir da noch nicht. Es läuft gerade an.
Wie schätzt ihr selbst das Projekt ein? Ist es nur eine reine Notbehelfsmaßnahme oder etwas von Dauer?
T: Ich finde, es ist ein gutes und sinnvolles Projekt. Es ist nicht nur ein Notnagel. In Deutschland steht viel Wohnraum frei, der genutzt werden könnte. Natürlich gibt es Schwierigkeiten. Beispielsweise können durch die Unterbringung von Einzelpersonen Familien zerrissen werden. Aber ich finde es prinzipiell sinnvoll. Wenn es zum Beispiel junge Menschen gibt, die allein sind, einen Raum und Kontakt suchen, empfinde ich es als eine sehr gute Lösung.
H: Es ist etwas, was auch langfristig funktionieren kann und sollte, aber ich würde es nicht als die Lösung sehen. Ich möchte grundsätzlich, dass jede Person völlig unabhängig von irgendwelchen Staatsbürgerschaften die Möglichkeit hat, dezentral in einer eignen Wohnung zu wohnen. Wenn man sich den Wohnraum ansieht, der so zur Verfügung steht, halte ich es durchaus für möglich. Ich hoffe schon, in der nächsten Zeit eine Veränderung sehen zu können. Gerade soll eine völlig heruntergekommene Flüchtlingsunterkunft in Leipzig mit 6 Millionen Euro renoviert werden. Könnte man dieses Geld nicht lieber in dezentrale Unterbringungskonzepte investieren?
J: Es ist ja im Grunde genommen eine Reaktion darauf, dass es Scheiße ist für Refugees. Eine lange Zeit der Flucht und der Angst liegt hinter ihnen. Dann erreichen sie ein Land in der Hoffnung, hier eine neue Existenz aufbauen zu können und werden dann erst einmal mit der deutschen Bürokratie konfrontiert. Anschließend kommen sie in ein völlig überfülltes und mangelhaft ausgestattetes Erstaufnahmelager mit zig unterschiedlichen Menschen. Ich kann gut verstehen, dass man es dann lieber auf eigene Faust angeht.
T: Es steht ja auch auf der Projektseite, dass auch Unterkünfte, Wohnungen oder Räume für Refugees gesucht werden, die illegalisiert sind. Das ist ein klares Zeichen: hier läuft was falsch! Wie kann sich zum Beispiel eine Behörde herrausnehmen, den Fluchtgrund einer Person als ungenügend zu betiteln? Die Menschen nehmen unvorstellbare Strapazen auf sich, um aus dem Land zu fliehen, in dem sie aufgewachsen sind. In dem ihre Freunde und Familie wohnt und dann kann eine Behörde sie quasi mit einem Mausklick zurückschicken? Wenn es hier anders laufen würde, wenn es niemandem verwehrt werden würde, dort zu leben, wo er oder sie möchte, dann wäre es gar nicht nötig.
Was müsste eurer Meinung nach am Asylrecht geändert werden?
J: Ich halte das momentane Asylrecht für einen ziemlich schlechten Witz. Es ist seit einer ganzen Weile so, dass man in Deutschland nur noch asylberechtigt ist, wenn man nicht über ein sogenanntes „sicheres Drittland“ eingereist ist – Und da Deutschland von „sicheren Drittländern“ umgeben ist, bleibt eine asylberechtigende Einreise schier unmöglich. Wie Menschen hier behandelt werden, die aus welchen Grund auch immer fliehen, ist unter aller Sau. Dass Leuten quasi vorgeworfen wird, ein System zu missbrauchen, ist nicht haltbar. Ich möchte, dass jede Person unabhängig vom Geburtsort, der sexuellen Orientierung, der Religion usw. nicht vorgeschrieben wird, wo sie zu leben hat und wo nicht. Und auch diese Geschichte von wegen Überfremdung: Dass angeblich die „tolle deutsche Kultur“ untergeht und Deutschland islamisiert wird – wenn man sich mal ein paar aktuelle Zahlen ansieht – bei Pro Asyl im Internet kann man sich ganz gut belesen – dann bemerkt man, dass die vorgetragenen Argumente absoluter Quatsch sind, es da keinerlei Gefahr gibt und dass alles reine rassistische Hetze ist.
T: Genauso gibt es aber wirtschaftliche Gründe, die keine Akzeptanz finden. Menschen kommen hierher, weil es in ihren Ländern keine Arbeit gibt. Sie kommen nach Deutschland, um irgendwie Arbeit zu finden und Geld nach Hause zu schicken. Dies wird allerdings nicht als Grund akzeptiert. Jeder sollte sich mal fragen, woher der finanzielle Reichtum Deutschlands bzw. Europas eigentlich kommt. Waffenexporte ist da ein Schlagwort, aber auch alltägliche Bereiche wie die Nahrungsmittel- und Textilindustrie. Wenn z. B. Milchpulver aus Europa in Afrika billiger ist als die Milch lokaler Bauern, weil der Agrarsektor hier übermäßig subventioniert wird, dann kann dort keine stabile Wirtschaft entstehen. Solche Beispiele gibt es unzählige. Dass es vor diesem Hintergrund Flüchtlingen verwehrt wird, hier zu sein und zu arbeiten, ist unfassbar.
J: Wobei ich es dabei wichtig finde, nicht allein die Akteure als Problem anzuprangern, sondern das System an sich. Es muss schließlich ums Ganze gehen! Am 19. September letzten Jahres gab es eine Änderung des Asylrechts, bei der die Residenzpflicht gelockert wurde und man eher das Recht hat zu Arbeiten, d. h. man braucht „nur noch“ drei Monate bis man theoretisch anfangen kann. Dafür wurden Serbien, Mazedonien und Bosnien als sichere Herkunftsländer klassifiziert. In Bosnien ist die Arbeitslosigkeit beinahe 50 Prozent und das Durchschnittseinkommen der Menschen liegt dort bei 420 Euro. Das ist ein Witz und entspricht noch nicht einmal dem Existenzminimum, welches hier festgelegt ist.
H: Laut Pro Asyl sind zurzeit circa 45 Millionen Refugees auf der Flucht. Davon sind 80 bis 85 Prozent noch Binnenflüchtlinge, d. h. sie sind noch nicht aus dem eigenen Land herausgekommen. Von diesen 45 Millionen Menschen haben 2012 nur 300.000 Asylanträge in der EU stellen können. Deutschland soll 5.000 syrische Geflüchtete aufnehmen. Wenn man sich Relationen zur Türkei anschaut, die laut „Zeit Online“ seit Beginn des Bürgerkriegs schon 200.000 Refugees aufgenommen hat, kommt man dann schnell ins Grübeln, warum es in Deutschland und Europa so wenige sind. Das sollte eigentlich jedem auffallen. Und anstatt dieses Fehlverhalten von beispielsweise Deutschland zu hinterfragen und zu kritisieren, bedienen sich hier viele eines Sprachgebrauchs, der durch bildhafte Zuspitzung und Übertreibung Angst schürt. Durch Worte wie „Flüchtlingsströme“ und „-wellen“, assoziieren Menschen Gefährliches und eine Art Abwehrhaltung wird bemerkbar. Zwar weiß ich, dass Wortwahl allein nicht die Lösung zu einer menschenwürdigen Asylpolitik sind, allerdings zeigt dieses Beispiel, wie tief rassistische Ressentiments in unserer Gesellschaft verankert sind.
T: Eine geflüchtete Person kann sich in Deutschland gerade auch nicht richtig verhalten. Wenn sie nicht arbeitet, ist sie faul, kriminell und liegt den Deutschen auf der Tasche – sie lebt von Steuergeldern. Wenn diese Person es dann mal schafft, arbeiten zu gehen im Sinne einer Arbeitserlaubnis und eines Arbeitsplatzes, dann nimmt sie den armen Deutschen die Arbeitsplätze weg. Es ist einfach alles absurd, sowohl was in der Politik abgeht, als auch was von Legida, Pegida, konservativen und rechten Strukturen allgemein propagiert wird.
Das genannte Theaterstück „Free Syrian Angst“ wird am 20. März um 20:00 Uhr das letzte Mal in der Nato in Leipzig präsentiert. Weitere Information zum Stück und Aufführungstermine gibt es auf der Facebook-Seite
* Die Namen wurden auf Wunsch der Interviewten geändert
Es gibt 2 Kommentare
Ich bin glücklich ein Leipziger zu sein.
Erst recht, wenn ich erfahre welche Lösungeswege andernorts angegangen werden.
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/augsburg-kz-aussenlager-wird-asylbewerberheim-a-1016074.html
Eine wirklich tolle Idee. Sie sollte viele Nachahmer finden.
Traurig, dass man aus Angst vor durchaus realen Gefahren, weder seinen Namen noch sein Gesicht zeigen kann. Wirklich traurig. Soweit sind wir also schon wieder.