Gestern eröffnete die 4. Internationale Degrowth-Konferenz für ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit. Die groß angelegte Tagung mit 3.000 Teilnehmern diskutiert die Möglichkeiten das Paradigma des ewigen Wachstums zu überwinden. Was Degrowth (zu deutsch Schrumpfung, Entwachsung) ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht so genau beschrieben werden, erklärt Frederic Demaria in einem Vortrag, den er zusammen mit Giacomo D'Alisa zur Eröffnung der Degrowth-Konferenz gehalten hat.

Klar ist allerdings, dass der Glaube an den ewigen Wachstum vor der Realität nicht standhalten könne. Das Öl wird rar, das Klima ist im Wandel und trotz Emissionsgrenzen steigen diese weiter an. Trotz Zuwachs der Produktion, haben die Konsumenten nicht mehr von dem, was sie zum Teil mit produzieren.

Gerade deswegen sei es notwendig, die Frage zu stellen, was Degrowth sein soll. Für die einen ist es eine Ideologie, für die anderen eine Wirtschaftstheorie, für andere wiederum eine soziale Bewegung. Demaria stellt klar, dass es sich bei Degrowth um einen Knotenpunkt handeln könnte, an dem all die benannten Bereiche zusammenfließen sollen. Dabei geht es immer um das Konzept, das die Hegemonie des Wachstums in Frage stellt, die Produktion und den Konsum um der Nachhaltigkeit willen verringert. Eine einheitliche und umfassende Definition könne man allerdings nicht geben.

D’Alisa betont, dass es darum gehen soll, die Gesellschaft anders zu organisieren “Degrowth ist etwas anderes, nicht mehr oder weniger desselben. Es geht um das Denken, Fühlen und Schaffen einer anderen Gesellschaft.

Wachstum ist, so die beiden Referenten, unökonomisch weil der Nutzen nicht so schnell steigt wie die Kosten. Der Anstieg der Ungleichheit und die extreme Konzentration von Reichtum sei eng verbunden mit der Konzentration von Macht auf wenige. Wachstum könne aber weiter bestehen, auch wenn der Reichtum nicht so schnell wächst wie die Kosten. Dabei müsse aber der ungleiche Zugang zu Ressourcen grundlegend verändert werden.
Ein wichtiges Schlagwort ist in diesem Zusammenhang die Autonomie. Eine kollektive Selbstbeschränkung zu der niemand gezwungen werden soll und die durch keinen externen Imperativ gesetzt wird, sei unumgänglich. In dieser schönen neuen Welt, die Demaria und D’Alisa Nowtopia nennen, soll der Gebrauchswert im Vordergrund stehen. Ein Rückgang der Lohnarbeit und der Umbau der Institutionen, die den Konsum organisieren, gehöre ebenso dazu wie eine Aufwertung der Alltags- und Netztwerkpraktiken. Dabei gehe es nicht nur um lokal begrenzte Projekte, sondern auch darum, in parlamentarischen Ordnungen Einfluss zu nehmen und an sozialen Bewegungen zu partizipieren.

In der abendlichen Eröffnungsveranstaltungen begrüßen die Organisatoren Nina Treu und Daniel Constein die Masse der Anwesenden. Der Klangkünstler Pablo Paolo Kilian begeisterte mit seinen Pianoimprovisationen.

“Wir sind viel mehr, als viele denken”, beginnt Treu ihre Eröffnungsrede, die sie zusammen mit Constein hielt. In der Degrowthbewegung sei der Wunsch nach einem guten Leben vereint. Es gehe um die Chance, mit unserer Verschiedenheit umzugehen und einen fruchtbareren Austausch über die Grenzen des Eigenen heraus zu schaffen, um dem Mosaik Degrowth eine Kontur zu geben. Eine auf Wachstum gegründete Gesellschaft habe keine Zukunft, postuliert Constein. Die Konferenz solle mutige Visionen der großen Transformation generieren und in die Welt tragen.

Alberto Acosta, ehemaliger Präsident der verfassungsgebenden Versammlung von Ecuador, plädiert in seinem mitreißenden Vortrag für die Etablierung eines neuen Wirtschaftssystems, das Grenzen anerkennt. Eine biozentrische Ethik müsse die Ich-Zentrierung der Welt abschaffen um der Verschwendung ein Ende zu bereiten. Es darf dabei nicht um die Veränderung des Gegeben gehen, so Acosta. Das Alte müsse vollständig abgeschafft werden um das systematische Scheitern einer kapitalistischen Welt herbeizuführen. Ein solches System müsse ein demokratisches sein, das nicht von oben diktiert wird, sondern von unten her wächst.
Die kanadische Autorin und Aktivistin Naomi Klein, die via Livestream aus Toronto zugeschaltet war, plädierte für die Transformation all unserer Lebensweisen, um die Katastrophe, für die wir selbst verantwortlich sind, zu verhindern. Das mögliche Eintreten der Katastrophe (welcher Natur sie auch immer sei) sei kein Hirngespinst der Linken, sondern werde auch aus dem konservativen Lager bestätigt. Klein lobte die ambitionierte Politik der Energiewende in Deutschland, betont aber, dass die Kontrolle durch die Kommunen zurückerlangt werden muss. Auch der verstärkte Braunkohleabbau steht in Widerspruch dazu und sei absurd.

Die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums auf einige Wenige, die mehr haben, als sie brauchen, selbst aber nichts produzieren, ist hierbei sicherlich einer der wesentlichsten Ansatzpunkte. Und so ist es nicht verwunderlich, das Acosta in seinem Beitrag darauf verweist, dass bereits Engels und Marx in ihrem Kommunistischen Manifest vom Ende des Wachstums sprachen. Feiert hier der noch nie realisierte Kommunismus seine Wiederauferstehung? Zu wünschen wäre es, da Veränderung nottut. “Wir brauchen Widerstand und Alternativen”, fordert Klein. Ihr gehe es um den Wiederaufbau der Demokratie von unten, um eine neue Art und Weise die Erde aufzuteilen.

Wie gerufen kam im diesem Zusammenhang ein Artikel des Philosophen und Kulturwissenschaftlers Byung-Chul Han auf der Onlinepräsenz der Süddeutschen Zeitung. Die Revolution sei heute gar nicht mehr möglich, sagt der Südkoreaner, der an der Universität der Künste in Berlin lehrt. Der Schockzustand, der nach der Katastrophe für Klein dazu führe, die Bedingungen gesellschaftlicher Organisation grundlegend zu ändern, führt heute nicht mehr zur Revolution. Die herrschende Ordnung der neoliberalen Orthodoxie wirke wie ein Sedativa und betäubt die Subjekte, die ihre Selbstausbeutung sich selbst und nicht den Bedingungen vorwerfen, die zu dieser Ausbeutung führen. Die Aggression wendet sich nicht mehr gegen den Aggressor, von dem wir kein Bild haben, sondern gegen uns selbst. Erschöpfte, depressive, vereinzelte Individuen können keine Revolutionsmasse bilden können, so Han.

Auch die Sharing-Ökonomie führt letzten Endes zu einer Totalkommerzialisierung des Lebens, erklärt Han weiter. “Die Ideologie der Community oder der kollaborativen Commons führt zur Totalkapitalisierung der Gemeinschaft. Es ist keine zweckfreie Freundlichkeit mehr möglich. In einer Gesellschaft wechselseitiger Bewertung wird auch die Freundlichkeit kommerzialisiert. Man wird freundlich, um bessere Bewertungen zu erhalten. Auch mitten in der kollaborativen Ökonomie herrscht die harte Logik des Kapitalismus. Bei diesem schönen “Teilen” gibt paradoxerweise niemand etwas freiwillig ab. Der Kapitalismus vollendet sich in dem Moment, in dem er den Kommunismus als Ware verkauft. Der Kommunismus als Ware, das ist das Ende der Revolution.”

Genau mit diesen Aspekten sollte sich die Konferenz auseinandersetzten. Das Fehlen der kritischen Selbstreflektion wäre ein Ausdruck ihres Scheiterns. Aufklärung muss immer ihre destruktiven Anteile mitdenken. Etwas wollen, was selbst noch nicht ganz verstanden ist, gegen etwas, was ebenso noch nicht verstanden wurde, ist ein Anfang. Die postulierte, große Transformation all unserer Lebensweisen, von dessen Geist die gesamte Konferenz beseelt ist, braucht mehr Kontur und ein stärkeres kritisches Bewusstsein seiner selbst.

Der Artikel in der Süddeutschen Zeitung:

Warum heute keine Revolution möglich ist

http://leipzig.degrowth.org/en

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