Veränderungen brauchen meistens ihre Zeit. Auch bei den Planungen für eine Stadt. Nicht grundlos erinnerten Linke-Stadtrat Sören Pellmann und CDU-Stadträtin Sabine Heymann am 18. Dezember in der Ratsversammlung daran, dass die zwei nördlichen Wohnquartiere von Grünau – der WK 7 und der WK 8 – vor 20 Jahren noch für den Totalabriss vorgesehen waren. Da galt Leipzig noch als schrumpfende Stadt. Das hat sich aber spürbar geändert.
Weshalb es durchaus ein Signal war, als das Planungsdezernat jetzt ein „Quartierskonzept für die Wohnkomplexe (WK) 7 und 8 in Leipzig-Grünau“ vorlegte, das gleich mehrere Maßnahmen beschreibt, wie die beiden Wohnkomplexe aufgewertet werden können.
„Nach Jahren der Schrumpfung wächst die Einwohnerzahl Leipzigs seit Beginn der 2000er Jahre wieder. Seitdem profitiert die Stadt von einem jährlichen Bevölkerungszuwachs und einem wirtschaftlichen Aufschwung. Seit 2012 haben auch Grünau und die im Westen des Stadtteils gelegenen WK 7 und 8 von der positiven Stadt- und Einwohnerentwicklung Leipzigs profitiert, wenn auch in einem im Vergleich zu anderen Stadtteilen geringem Ausmaß“, beschreibt die Vorlage die Entwicklung.
Aber die Abriss-Ideen von 2001 hatten eben auch zur Folge, dass beide Wohnkomplexe jahrelang ein Aschenputtel-Dasein führten, wichtige Infrastrukturen verloren gingen.
Und das hat Folgen, wie die Vorlage beschreibt: „Hier haben sich aber bis heute städtebauliche, funktionale und soziale Missstände manifestiert. Es bestehen noch immer Wohnungsleerstände, wenn auch deutlich rückläufig. Auch haben die Quartierszentren am Jupiterplatz und Selliner Platz enorme Nutzungs- und Funktionsverluste. Daneben sind Sanierungsbedarfe an Gebäuden und öffentlichen Freiflächen erkennbar.
Weiterhin sind die in den 1990er und 2000er Jahren durch Abrissmaßnahmen entstandenen Rückbauflächen unzureichend gestaltet. Diese ungenutzten bzw. undefinierten Freiflächen bieten ein großes Potenzial für die künftige Quartiersentwicklung. Für den WK 7 wurden durch die Teilnahme der Stadt Leipzig am EUROPAN Wettbewerb erste Konzeptideen entwickelt. Diese werden in der gemeinsamen Arbeit mit den Fachämtern und Eigentümern weiter qualifiziert.“
Auch hier steigen die Mieten
Trotzdem litten beide Wohnquartiere jahrelang unter ihrer Stadtrandlage. Mit herben Verlusten bei ganz gewöhnlichen Angeboten von der Post bis zur Sparkasse, wie Sören Pellmann anmerkte. Auch der wichtigste kulturelle Treffpunkt im Quartier – das Komm-Haus – geriet dabei in unsicheres Fahrwasser, habe keinen gesicherten Mietvertrag, kritisierte Pellmann.
So ein richtig heimeliger Stadtbezirk ist es noch nicht wieder geworden, obgleich die Stadt hier auch schon in den Vorjahren wichtige Investitionen tätigte, wie Baubürgermeister Thomas Dienberg betonte. Ein Beispiel ist der gerade eröffnete Schulcampus.
„Ein Blick in die Statistik macht deutlich, dass die WK 7 und 8 Auffälligkeiten hinsichtlich kleinräumiger Sozial- und Einwohnerdaten zeigen. Die Bevölkerungs- und Sozialstruktur hat sich über die letzten Jahre verändert. Die beiden westlich in Grünau gelegenen Wohnkomplexe verzeichneten einen Zuwachs an jungen, aber auch älteren Menschen. Zudem zogen in den vergangenen Jahren vermehrt Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu, davon etliche mit Fluchthintergrund“, stellt die Vorlage fest.
„Einer von vielen Gründen für die veränderte Bevölkerungsstruktur liegt in dem verfügbaren und meist niedrigpreisigen Wohnraumangebot. Insbesondere einkommensschwächere Haushalte hatten bzw. haben hier die Chance eine Wohnung anzumieten.“
Aber auch hier schlagen die Mietsteigerungen der zusehends sich füllenden Stadt zu: „Dennoch sind seit 2015 teilweise deutliche Mietsteigerungen erkennbar.
Hinzu kommt, dass das hiesige Wohnungsportfolio sehr homogen aufgestellt ist und eine Dominanz von Dreiraumwohnungen aufweist. Obwohl die Wohnungsunternehmen in den vergangenen Jahren zahlreiche Sanierungsmaßnahmen an ihren Beständen umgesetzt haben, ist das im WK 7 und WK 8 vorhandene Wohnraumangebot teilräumig noch nicht vielfältig genug, um eine soziale Durchmischung zu erreichen. Unbedingt braucht es geeignete Strategien, um eine soziale Durchmischung bzw. Stabilität herzustellen.“
Hier gibt es noch Gestaltungsmöglichkeiten
Und in den WKs 7 und 8 kann noch einiges passieren, formuliert die Vorlage: „Zugleich geht die positive Bevölkerungsentwicklung Leipzigs mit dem Bedarf von neu zu errichtenden Wohnungen einher. Entsprechend können auf den Rückbauflächen künftig vielseitige, nachfragegerechte und alternative Wohnformen geschaffen werden.
Um den zahlreich vorhandenen und von Bewohner/-innen sehr geschätzten Grünflächenanteil zu bewahren und die günstige mikroklimatische Situation weiterzuentwickeln, sind im Zuge von künftig umzusetzenden Nachverdichtungsmaßnahmen insbesondere sozial sowie ökologisch orientierte Interventionen im Sinne der Klimaanpassung und der ‚doppelten Innenentwicklung‘ mitzudenken.“
Ein Ansatz, auf den dann gleich drei Änderungsanträge eingingen.
Die Linke zum Beispiel forderte eine Parkraumanalyse, mehr Hitzeschutz und die Auffüllung der durch Abriss entstanden Lücken mit neuer Wohnbebauung. Eine Parkraumanalyse forderte auch die SPD. Beide verlangen künftig eine dichtere Berichterstattung. Und die BSW-Fraktion forderte ein Konzept für Energiegewinnung und Energiespeicherung im Quartier sowie eines für den Umgang mit Grauwasser.
Die Änderungsanträge von Linken und SPD übernahm Thomas Dienberg mit in die Vorlage der Stadt. Da es beim BSW-Antrag um eine zusätzliche Forderung ging, musste er abgestimmt werden, bekam aber mit 48:3 Stimmen bei zehn Enthaltungen die nötige Mehrheit. Die Vorlage selbst fand ebenso mit 51:0 Stimmen bei neun Enthaltungen die Zustimmung der Ratsversammlung.
Aber ist das Ganze wieder nur ein neues Papier, dem keine Taten folgen? Nein, erklärte Thomas Dienberg. Im Gegenteil. Mit dem Konzept können jetzt wieder avisierte Städtebaufördermittel für die beiden Grünauer Wohnkomplexe beantragt werden. Zu den geplanten Vorhaben gehören beispielsweise ein Sitzbankkonzept, eine Freiraumentwicklung für das Jupitzerzentrum und den Selliner Platz, eine Optimierung der Wegeverbindungen und eine Erweiterung des Uranusparks.
Ab 2025 soll die Etablierung außergewöhnlicher Sport- und Bewegungsmöglichkeiten geprüft werden. Ab 2027 sollen auch weitere Radverkehrsübungsplätze für Familien und Schulen geschaffen werden.
Der Sportplatz Krakauer Straße wird schon seit diesem Jahr für 1 Million Euro saniert. Insgesamt sind Maßnahmen im Umfang von über 3 Millionen Euro aufgelistet, die größtenteils in die Aufwertung des öffentlichen Raumes fließen sollen und in den Jahren 2025 bis 2027 umgesetzt werden sollen.
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