Es wäre ein Ausweg aus dem Dilemma, in dem mittlerweile hunderte bildender Künstlerinnen und Künstler in Leipzig stecken – seit 2018 wurden ihnen reihenweise Atelierträume gekündigt. 150 bis 200 von ihnen sind derzeit auf der Suche nach einem bezahlbaren Atelierraum. Und im ehemaligen Pfarrhaus der Liebfrauenkirche in Lindenau könnten solche Ateliers entstehen. Die Frage ist nur: Kann das arme, finanziell ausgeblutete Leipzig sich das leisten?
Denn mittlerweile klingen alle Äußerungen der Stadtverwaltung zur Haushaltssituation wie ein Klagelied. Trotz 18 Jahren immer neuer Sparrunden steht die Stadt auf einmal vor finanziellen Herausforderungen, die die zur Verfügung stehenden Mittel deutlich übersteigen. Die desolate Politik von mehreren Finanzministern in Bund und Land haben die Kommunen inzwischen in eine Haushaltsnotlage gedrückt, die mit der realen Wirtschaftskraft der Bundesrepublik nicht mehr viel zu tun hat.
Und so klang es auch am Mittwoch, dem 23. Oktober, schon wieder so, als würden die drei Fraktionen von Linken, Grünen und SPD mit ihrem Vorstoß die Stadt nicht nur dazu auffordern, mit der Verwaltungsleitung der Liebfrauenkirche in Verhandlung zu treten, ob eine Übenahme des Pfarrhauses durch die Stadt überhaupt möglich ist, sondern auch gleich noch Geld auszugeben, das gar nicht da ist.
Dabei habe man das Ansinnen, so betonte Linke-Stadträtin Mandy Gehrt, möglichst offen formuliert. Denn auch in der Linksfraktion kennt man die klamme Finanzsituation der Stadt. Und was die drei antragstellenden Fraktionen auch vermeiden wollten, war, dass ein Beschluss zum Pfarrhaus der Liebfrauenkirche schon im eh eng gestrickten Doppelhaushalt 2025/2026 finanzielle Folgen haben könnte.
Erst 2026 gedenke die Kirche sowieso erst aus dem Pfarrhaus auszuziehen. Vorher sei an eine Übernahme durch die Stadt sowieso nicht zu denken. Aber natürlich könne man 2025 schon in Verhandlungen treten, sollte man wohl auch, denn die Liebfrauenkirche wolle das Gebäude nicht an den freien Markt geben, damit dann am Ende Luxuswohnungen darin entstehen. Ein Erbbaupachtvertrag mit der Stadt wäre aus Sicht der Kirchenverwaltung ein guter Weg.
Eine anstrebenswerte Idee
„Der Verwaltungsleiter hatte im letzten Jahr schon begonnen, einige Räume des Pfarrhauses als Ateliers zu vermieten und möchte gern an diese Idee anknüpfen“, schilderten die drei Antragsfraktionen den möglichen Weg. „Er und der Kirchenvorstand wollen das Haus und dessen Verwaltung innerhalb der nächsten Jahre komplett abgeben, aber möglichst nicht an einen privaten Investor.
Sie würden es dagegen sehr begrüßen, wenn die Stadt das Pfarrhaus in Erbbaupacht übernimmt. Die Idee, daraus ein Atelierhaus zu entwickeln, finden der Verwaltungsleiter und der Vorstand sehr gut und anstrebenswert, möglichst mit einem öffentlich zugänglichen Raum für Ausstellungen oder Formate, die auch Gemeindemitglieder besuchen können.“
Eigentlich alles einleuchtend. Erst recht vor dem Hintergrund, dass der Stadtrat schon längst die Erarbeitung eines Atelierprogramms beauftragt hat: „Im Oktober 2023 hat der Stadtrat die Erarbeitung eines Leipziger Atelierprogramms bis zum 4. Quartal 2024 beschlossen. Die Vergabe der Räume soll deshalb dann unter den im Atelierprogramm definierten Kriterien erfolgen.“
Trotzdem fand Die Freie Fraktion, dass wichtige Dinge im Antrag noch fehlten. Einmal eine Aussage zum Geld, zum anderen Aussagen zum Bauwerkszustand. Weshalb die Fraktion einen Änderungsantrag dazu schrieb, der auch zu prüfen verlangte: „Dabei wird, sofern bis dahin keine Deckungsquellen vorhanden sind, zunächst nur geprüft, zu welchen Konditionen eine Erbbaupacht ab dem 1. Januar 2027 in den Haushalt eingeplant werden kann.“
Aber so weit sollte der Ursprungsantrag gar nicht gehen, betonte Mandy Gehrt. Und er sollte erst recht kein Vorgriff auf den Haushalt sein, nur eine Aufforderung an die Stadt, mit der Verwaltung der Liebfrauenkirche 2025 in Verhandlungen einzutreten, ob das Haus in irgendeiner Weise von der Stadt übernommen werden könnte. Welches Ergebnis die Verhandlungen haben, wolle man gar nicht vorwegnehmen.
Das ließ sich OBM Burkhard Jung noch einmal mündlich bestätigen. Denn im sowieso schon umkämpften Doppelhaushalt 2025/2026 wird das Projekt auf keinen Fall mehr Platz finden.
Dementsprechend sah dann auch die Stadtratsmehrheit keinen Grund, dem schon sehr konkreten Antrag der Freien Fraktion zuzustimmen – er wurde mit 10:52 Stimmen bei zwei Enthaltungen abgelehnt.
Ein Trägerverein könnte die Lösung sein
Die Idee freilich, in Lindenau die Chance auf ein Atelierhaus zu bekommen, fand eine Mehrheit der Ratsversammlung gut, sodass der Antrag von Linken, Grünen und SPD mit 39:17 Stimmen bei fünf Enthaltungen angenommen wurde und der OBM einen Handlungsauftrag bekam: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bis zum Ende des 1. Quartals 2025 in Verhandlung mit der Verwaltungsleitung der Liebfrauenkirche in Leipzig Lindenau, Karl-Heine-Str. 112, zu treten, um die freien Gebäudeteile in Erbbaupacht zu übernehmen und diese als städtisches Atelierhaus zu entwickeln.“
Verhandeln muss dann freilich das Kulturdezernat, das den Antrag in seiner Stellungnahme schon mal abgelehnt hat. Obwohl das Kreuz bei „Ablehnung“ falsch sitzt. Denn in Wirklichkeit hatte das Kulturamt einen Alternativvorschlag vorgelegt: „Die Stadtverwaltung schlägt vor, das Pfarrhaus an einen geeigneten Träger kostentragend zu vermieten. Dies birgt die Chance, dass ein Akteur der Freien Szene eigenverantwortlich die Vergabe an Künstlerinnen und Künstler übernimmt.“
Was natürlich Sinn ergibt. Aber ein solcher Träger kommt natürlich auch erst zum Zug, wenn die Stadt mit der Kirchgemeinde entsprechende Verhandlungen geführt hat. Deswegen gilt die Aussage von Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke, die Stadt verfüge nicht über die nötigen finanziellen und personellen Ressourcen, auch nur eingeschränkt.
In der Stellungnahme des Kulturamtes hieß es dazu: „Die Stadt Leipzig verfügt jedoch aktuell nicht über die finanziellen und personellen Ressourcen, um eine zusätzliche Liegenschaft für ein Atelierhaus in Erbbaupacht zu übernehmen, zu sanieren und zu betreiben. Zudem sollte eine solche Entscheidung erst nach Vorliegen des vom Stadtrat beauftragten Atelierprogramm getroffen werden.
Die Liegenschaft könnte alternativ an einen geeigneten Betreiber untervermietet werden, der die Vermietung an Künstlerinnen und Künstler eigenverantwortlich und kostendeckend übernimmt. Eine städtische Förderung steht dafür jedoch nicht bereit.“
Und auch das müsste in den nächsten zwei Jahren zu klären sein. Wenn sich keine Betreibergemeinschaft finden sollte, dürfte die schöne Idee eines Atelierhauses in Lindenau hier wohl einfach verwelken. Eine Chance, die so schnell ganz bestimmt nicht wiederkommt.
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