Die Initiative Stadtnatur Leipzig übt massive Kritik an dem B-Planentwurf 468 Gerichtsweg/Täubchenweg. Sie spricht sich für den Erhalt des Interims- und Spontangrüns über den versiegelten Kellerruinen im Graphischen Viertel zwischen Gerichtsweg, Täubchenweg, Perthesstraße und Frommannstraße und damit gegen die Wiederbebauung aus.
Wenn man sich dieses Video anschaut und dazu noch einen Blick auf die Hausseite der Initiative Stadtnatur Leipzig wirft, kann man den Eindruck gewinnen, dass Städte gleichermaßen für Insekten, Vögel, Schnecken und Menschen, die am liebsten in der freien Natur leben, gebaut werden.
Youtube: Nein zum Bebauungsplan 468 „Gerichtsweg/Täubchenweg“ von Axel Schmoll
Dem ist aber nicht so und das hat vielfältige Gründe, die einige Mitglieder der Initiative bei ihren offensichtlich selektiv affektgetriebenen Bewertungen scheinbar nicht zu bedenken in der Lage sind.
Mutmaßlich haben einige von ihnen auch Schwierigkeiten beim Lesen von Zeichnungen, was man bei der nachstehenden amtstechnischen Zeichnung des Bebauungsplan 468 durchaus nachvollziehen kann.
Bei den nachfolgenden Darstellungen der Vorentwurfsvariante 1, die mutmaßlich die Grundlage für den Bebauungsplanentwurf war, kann man meines Erachtens erwarten, dass auch ein Laie die Qualität des schlüssigen Bebauungsplanes erkennen kann.
Aus diesen Bildern kann man ohne Zweifel sehen, dass die Planenden eine mit Einschränkungen sehr gute städtebauliche Entwurfslösung entwickelt haben, die sich einerseits an der harmonischen Fortschreibung der typischen Blockbebauung des Quartiers orientiert und die andererseits einen zusätzlichen identitätsstiftenden und wohltuenden Grünraum entlang der Frommannstraße im Inneren des Quartiers beinhaltet.
Die Kritik der Initiative Stadtnatur Leipzig ist mir besonders unverständlich, wenn man die
Lage der Baublöcke unmittelbar neben dem parkartig erweiterten Stefanieplatz und dem nur einen Steinwurf weit entfernten Lene-Voigt-Park bedenkt.
Dieser ist eine gelungene Umnutzung des Bahngeländes vom Eilenburger Bahnhof, der mit seiner Größe, Ausrichtung und Einrichtungen eine wirksame „Klima-, Fahrrad- und Kulturschneise“ für unsere wegen seiner Urbanität hochgeschätzten Stadt bildet. Diese Qualität entsteht eben aus der kompakt gewachsenen Stadtstruktur von Leipzig, die durch kurze Wege und differenzierte Raumfolgen Lebendigkeit erzeugt und mit dem großen Grünzug des Auenwaldes auch Naturnähe bietet.
Außerdem bin ich der Meinung, dass eine fragmentierte Natur auf versiegelten Kellern weder ökologisch noch nachhaltig ist, sondern nur eine Simulation bzw. eine zweckfreie ökologische Fata Morgana, wie es beispielsweise auch das geplante Biotop auf dem urbanen Wilhelm-Leuschner-Platz zu werden verspricht.
Letzten Endes werden durch diese im Bebauungsplan angepeilte optimale und an der Geschichte orientierte Stadtreparatur mit gemäßigter Wiederverdichtung der ohnehin vorhandene Verkehrsraum sowie die Ver- und Entsorgungsleitungen optimal ausgenutzt. Überdies wird das Ausufern der ohnehin wachsenden Stadt verhindert. Es bleibt also in Summe mehr Naturraum erhalten und den Insekten und den Vögeln ist das sicherlich lieber, auch wenn das einige urbane Vorgartenspießer ohne Nutzungsrecht anders sehen.
Der Stadtplan von 1939 zeigt, dass der aktuelle Bebauungsplanentwurf 468 der Stadt Leipzig eine gelungene städtebauliche Weiterentwicklung darstellt und die Stadtverwaltung Leipzig richtig handelt, wenn sie mit dem Bebauungsplan die Weichen neu stellt. Denn ansonsten hätten die Eigentümer der Grundstücke das Recht, nach §34 Baugesetzbuch die alten Baublöcke in ihrer Dichte wieder wie 1939 herzustellen.
Als erfahrener Architekt kann ich nur empfehlen, die nun einmal sachlich bedingten mannigfachen
Zielkonflikte beim Bauen zwischen Geschichte und Gegenwart/Sozialem und Wirtschaftlichem/Technischem und Natürlichem in einer gemeinsamen Debatte aller Beteiligten zu klären. Dazu gehören zuvörderst auch die Eigentümer, die – Bebauungsplan hin oder her – nach dem Grundgesetz verpflichtet sind, auch allgemeine Belange zu berücksichtigen.
Protestnoten können zur Positionsbestimmung hilfreich sein, führen aber bei selektiver Betrachtung zwangsläufig nicht zu realisierbaren Lösungen, es sei denn, es gibt das IDEAL von Kurt Tucholsky wirklich.
DAS IDEAL
Kurt Tucholsky, 1890–1935
Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn
aber abends zum Kino hast du’s nicht weit.
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit
Zum Autor: Adalbert Haberbeck ist Architekt, Mitglied des „Bunds Deutscher Baumeister“ (BDB) in Leipzig und Mitbegründer der Initiative Leipziger Architekten.
Es gibt 7 Kommentare
@robin w.
Also ich finde da durchaus Sachargumente in dem Gastbeitrag! Z. Bsp. die unmittelbare Nähe des jetzt umstrittenen Grüns zu weiteren Parkanlagen, die Ausführungen zum städtebaulichen Entwurf oder der Hinweis, dass sich eine Natur auf versiegelten Kellern kaum entwickeln wird können. Oben hui, unten pfui, so ungefähr. Ihr Beitrag zeigt einfach nur einen Rundumschlag. Sie setzen die Stadt in Bezug, obwohl diese hier weitestgehend außen vor ist. Und Sie ignorieren, wie in vielen Posts zuvor auch, das es Rechtsgrundlagen gibt, welche die Stadt nicht wirklich beeinflussen kann. Und dieser Entwurf wäre allemal besser als die ursprüngliche Bebauung, die der Bauherr probemlos wiederherstellen könnte. Dann wäre an dieser Stelle noch weniger Grün…
@fra: Sicherlich sollte eine Zeitung verschiedene Stimmen und Meinungen aufzeigen und abdrucken. Aber sie sollte schon darauf achten, dass jeweils auch tatsächlich Sachargumente geliefert werden. Ob diese bei dem Gastbeitrag des Architekturbüros tatsächlich der Fall ist würde ich mal bezweifeln. Ich erkenne hier eher einen inhaltsarmen Diffamierungsversuch. Welche Bauprojekte das Architekturbüro für die Stadt bearbeitet hat, weiß ich nicht genau. Die homepage des Architekturbüros https://www.adalbert-haberbeck-architekt.de/ ist sicherlich nicht vollständig. Darauf kommt es aber auch nicht an. Sicherlich ist das Büro daran interessiert, dass die Behörden der Stadt es als sehr geeignet und verlässlich einstufen, um bessere Chancen für Aufträge zu haben. Auch zukünftige. Das meinte ich mit Interessenskonflikten. Und es ist zwar traurig, aber offenbar meint das Architektur, sich mit einem Diffamierungsversuch von Naturschützerinnen beliebt gemacht zu haben. Meine Meinung, die man nicht teilen muss.
@robin w.
“Interessant, dass die L-IZ hier kommentarlos eine Gegenkritik zur Kritik der Initiative Stadtnatur abdruckt, und zwar die eines Architektur- und Planungsbüros, was regelmäßig für die Stadt Leipzig Bauvorhaben projektiert und realisiert, und vielleicht auch diese Bebauung am Täubchenweg (?). Ob hier wohl Interessenskonflikte bestehen und das Architekturbüro sich motiviert sah, die kritisierten Behörden in Schutz zu nehmen (?).”
Hier hätte ich doch mal ein paar Beispiel, den meines Wissen nach hat das Architektur- und Planungsbüros nur Albbausanierung für die Stadt Leipzig durchgeführt und Außerdem ist die Stadt Leipzig bei diesem Bauvorhaben nicht Bauherr. Was aus dem Artikel auch hervor geht. Abschließend ist es ein Muss für jede Zeitung bei solchen Konstellationen auch die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen.
Kleiner Nachtrag: Interessant natürlich auch, dass das Architekturbüro Menschen, die sich für den Erhalt von Stadtgrün engagieren, vorwirft, sie würden behaupten, „dass Städte gleichermaßen für Insekten, Vögel, Schnecken und Menschen, die am liebsten in der freien Natur leben, gebaut werden“ sollten, und sich solche Menschen dann noch offensichtlich in „selektiv affektgetriebenen Bewertungen“ verlieren. Man möge einem Architektenbüro zugutehalten, dass es mit Ökologie nicht wirklich viel am Hut hat und es an entsprechender Kompetenz ermangelt (es wird ja schließlich fürs Bauen bezahlt); aber sollte nicht zumindest ein wenig bereits ein Gesinnungswandel eingetreten sein? Und bekannt sein, dass wir immer stärkeren klimatischen Belastungen ausgesetzt sein werden (s. Stadtklimaanalyse …) und dass für eine lebenswerte Stadt auch Vögel, Insekten – ja und sogar Schnecken – essenziell sind? Offensichtlich leider nicht. Letztendlich ist es ja bekanntermaßen so, dass Diffamierungsversuche häufig genug mehr über den Diffamierenden als dessen vermeintliches Opfer aussagen. Die Leserinnen und Leser mögen selbst entscheiden.
Interessant, dass die L-IZ hier kommentarlos eine Gegenkritik zur Kritik der Initiative Stadtnatur abdruckt, und zwar die eines Architektur- und Planungsbüros, was regelmäßig für die Stadt Leipzig Bauvorhaben projektiert und realisiert, und vielleicht auch diese Bebauung am Täubchenweg (?). Ob hier wohl Interessenskonflikte bestehen und das Architekturbüro sich motiviert sah, die kritisierten Behörden in Schutz zu nehmen (?). Die Pläne sind tatsächlich nicht so schwer zu lesen. Man sieht, der von den Anwohnern genutzte Park verschwindet (natürlich kann sich auf dieser Fläche [ohne Bebauung] vielfältiges Grün entwickeln inkl. größerer Bäume, solche sind ja auch schon dort vorhanden, noch…) und das z.T. neue Straßenbegleitgrün (es ist ja auch schon vorhanden) entlang der Frommannstraße wird als “Klimawäldchen” schöngeredet. Mit den vielfältigen Argumenten an dem Behördenhandeln bzw. -versagen setzt sich der Gastkommentator gar nicht auseinander.
Auf die Argumente der Initiative Stadtnatur geht der Autor irgendwie nicht ein und erklärt an derer statt – ad hominem – für zu dumm. Warum braucht es das denn?
Sicher ist es zermürbend, wenn überall die letzten Grünreste zugebaut werden.
Gute Kompromisse sollten daher gefunden werden, denn es ist für die Umwelt (Natur, Klima) definitiv immer schlechter, wenn sich Grünflächen verkleinern.
Der sogenannte “städtebauliche Entwurf” gefällt mir wesentlich besser als die Planzeichnung und ist nicht so massiv.
Durch Straßen zerschnittene, alibihafte Grünflächen entlang der Frommannstraße sind eher sinnfrei (was aus solchen überschaubaren Flecken wird, kann man überall in Leipzig sehen. Der Hausmeister senst dort meist das letzte weg, um es pflegeleicht zu halten.)
Man sollte die Anzahl und Visualisierung der Bäume in einem abgesegneten Entwurf festhalten und später auch einfordern. Meist sieht es später wesentlich grauer aus.
Die Perthesstraße darf auch gern ein Fußweg bleiben, dort benötigt man keine Straße für PKW.
Völlig geschlossene und abgekapselte Innenhöfe stehen meiner Meinung nach einer guten Entwicklung von Flora / Fauna und Klima eher entgegen.