Am 27. April fand auf Einladung der Grünen-Fraktion im Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) der erste Auwald-Dialog statt. Immerhin befinden wir uns im Jahr 2023. Das Auenentwicklungskonzept der Stadt Leipzig wird langsam reif zur Vorlage für den Stadtrat. Längst etwas verspätet. Aber das hat Gründe. Denn es wird eine Herkulesaufgabe, den Leipziger Auwald zu retten und die Aue wieder ans Wasser anzuschließen. Da rückt ein Fluss in den Blickpunkt, den man fast schon abgeschrieben hatte.
Ein Fluss, der eigentlich ein Kanal ist, 1934 vom Reichsarbeitsdienst mitten durch die Leipziger Nordwestaue geschaufelt, tief ein geschnitten ins Gelände, sodass dessen Sohle deutlich unter dem Grundwasserspiegel des Auwalds liegt: die Neue Luppe.
Sie wirkt wie eine Drainage für den Auwald und schafft all das Wasser, das eigentlich die Bäume in der Aue dringend brauchen, schleunigst weg aus der Aue, legt den Wald regelrecht trocken. Ein Wald, der inzwischen unter mehreren „Krankheiten“ leidet.
Neben dem „Drainageproblem“, wie es Dr. Christian Wirth, Professor für Spezielle Botanik und funktionelle Biodiversität an der Uni Leipzig, nennt, wird der Auwald inzwischen auch vom „Dürreproblem“ heimgesucht. Das erste Dürrejahr 2018, so Wirth, hätten die Bäume im Auwald noch verkraftet.
Aber schon mit dem zweiten Dürrejahr 2019 zeigten die Bäume auffällige Schwächeerscheinungen. Auch robuste Eichen ließen auf einmal die Äste hängen. Oder die schweren Äste brachen gleich ganz ab.
Ohne Wasser ist der Auwald nicht zu retten
Und alle wissen: Das ist erst das Vorspiel. Künftige Witterungsextreme werden dem Wald noch viel stärker zusetzen. Und auch noch das gefährden, was im Leipziger Auwald bis heute noch überlebt hat. Denn obwohl er seit gut 100 Jahren vom Wasser abgeschnitten ist, ist heute noch die einstige Vielfalt des Auenwaldes zu sehen, wie Wirth dem aufmerksamen Publikum am 27. April erzählen konnte.
Der Wald hat ein langes Gedächtnis.
Zwar schießt überall, wo es zu Störungen kommt, der Berg-Ahorn ins Kraut und ist längst dabei, zur dominierenden Baumart im Auwald zu werden, weil er mit trockenen Zuständen am besten umgehen kann und im Kampf ums Sonnenlicht alle anderen Bäume in den Schatten stellt. Aber noch stehen die Eichen im Wald. Auch Eschen. Noch krabbeln hunderte Käferarten in den Kronen der Eichen, zeigt der Wald eine Artenvielfalt, wie sie nur wenige andere Wälder haben.
Aber wie lange noch?
Mit forstlichen Mitteln wird der Auwald nicht zu retten sein. Dessen ist sich Wirth sicher. Eine Chance bekommen die typischen Auwaldbäume nur, wenn der Wald wieder regelmäßig Überschwemmungen bekommt. Seine positive Nachricht war an diesem 27. April: Es ist sogar mit den deutlich geringeren Niederschlägen in den letzten Jahren genug Wasser da, damit es an 30 bis 40 Tagen Überschwemmungen im Auwald geben kann.
Aber wie soll das gehen? Sperrt sich nicht jede einzelne Behörde dagegen, am Zustand der Leipziger Aue etwas zu ändern? Rudert nicht auch die Landestalsperrenverwaltung (LTV) inzwischen zurück, weil überall im Neuseenland jetzt das Wasser knapp wird?
Bedrohte Artenvielfalt
Am Wasser wird sich alles entscheiden. Dessen waren sich am 27. April alle drei Redner sicher. Ohne Wasser wird der Auwald sich in irgendeinen anderen Wald verwandeln. Aber das kann nicht Sinn der Sache sein, betonte Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek, denn das Leipziger Auensystem ist nicht grundlos ein FFH-Gebiet – europäisch geschützt. Stadt und Land sind sogar verpflichtet dazu, den typischen Auwald mit seiner seltenen Artenvielfalt zu erhalten.
„Und die Zeit rennt uns davon“, so Kasek. Es muss also schnell etwas passieren.
Aber was?
Darüber gab Rüdiger Dittmar, Leiter des Amtes für Stadtgrün und Gewässer, Auskunft. Denn das Auenentwicklungskonzept, das der Stadtrat beauftragt hat, nimmt Gestalt an. Und inzwischen ist auch klar, dass man die Nordwestaue nicht über die beiden Gewässer in Randlage wieder beleben kann: die Weiße Elster im Norden und die Alte Luppe im Süden.
Das war bislang im Projekt Lebendige Luppe noch so vorgesehen. Aber mit dem 2011 gestarteten Projekt Lebendige Luppe haben Stadt, Naturschutzverbände und Forschung auch dazugelernt. Die beiden alten Gewässer in Randlage sind ungeeignet, Überschwemmungen in die Aue zu bekommen.
Dass sie in Randlage liegen, so Dittmar, hat einen historischen Grund: Hier haben die Menschen einst ihre Wassermühlen gebaut und die Kraft der Flüsse genutzt. Heute würden hier gestartete Überschwemmungen auch Siedlungsbereiche unter Wasser setzen. Und dem Wald würde es kaum helfen.
Wirklich geeignet, so Dittmar, ist nur jenes Gewässer, das sich mitten durch die Aue zieht. Und das ist die Neue Luppe. Im Grunde gemeinsam mit der Nahle. Beide Flüsse wirken wie Drainagen, liegen vier Meter unterm Auwaldgrund und führen das Wasser, das eigentlich in den Wald gehört, ab.
Eine Vision für die Neue Luppe
Und so hat sich die Neue Luppe, die in der Diskussion schon auch mal völlig stillgelegt werden sollte, tatsächlich als mögliche Lösung herausgeschält. Aber nicht im jetzigen Zustand, so Dittmar. Die Flusssohle muss um vier Meter angehoben und die Neue Luppe selbst wesentlich schmaler werden. Gleichzeitig müssen die Deiche rechts und links geschlitzt oder gar ganz abgetragen werden, sodass auch bei einem leichten Hochwasser das Wasser ungehindert in die Auenbereiche rechts und links der Neuen Luppe fließen kann.
Bereiche, die man heute oft gar nicht mehr als Aue erkennt, weil dort intensive Landwirtschaft betrieben wird. Das muss natürlich ein Ende finden, betont Jürgen Kasek. Die Grünen haben dazu nicht grundlos einen Antrag im Stadtrat gestellt. Intensive Landwirtschaft hat in einer Flussaue nichts zu suchen.
Genauso wie manch andere Nutzung. Aber das werden dann wohl die heftigen Diskussionen der Zukunft, vermutet Kasek.
Erste Schritte, wieder Wasser in die Aue zu bringen, sind ja schon erfolgt – so die Instandsetzung des Wehrs Kleinliebenau II und die Schlitzung der Deiche am Möckernschen Winkel.
Dass sich der Wald wieder verändert und die überflutungstoleranten Bäume wieder besser durchsetzen, zeigt das seit Jahren betriebene Überschwemmungsprojekt an der Paußnitz. Aber auch die Reparatur des Einlassbauwerks für den Burgauenbach zeigt Folgen – auch der Burgauenbach setzt wieder mehr Gebiet im Auwald unter Wasser.
Es wird teuer
Noch ist unklar, wann die Rettung der Nordwestaue tatsächlich beginnen kann. Auf jeden Fall wird es teuer, sagt Dittmar. Er rechnet aber fest damit, dass der Freistaat und das Bundesamt für Naturschutz dieses wichtige Vorzeigeprojekt unterstützen werden. Grundlage ist natürlich, dass der Stadtrat vorher das Auwaldentwicklungskonzept auch positiv votiert.
Was nicht unbedingt einfach werden muss. Dessen ist sich Kasek sicher. Denn wenn deutlich wird, dass das eben auch alte Gewohnheitsrechte im Auwald tangiert, ist mit Widerstand zu rechnen. Dann werden in Hochwasserzeiten größere Waldgebiete nicht passierbar sein. Akzeptieren das die Leipziger dann auch, da ja der Auwald auch ein intensiv genutzter Freizeitraum ist?
Prof. Christian Wirth ist sich sicher, dass sie es akzeptieren. Denn wie der Wald jetzt schon unter Trockenheit und Schädlingsbefall leidet, das kann jeder sehen. Gerade die Esche als eine der wichtigen Baumarten der Aue bricht gerade flächendeckend weg. Die Ulme ist schon verschwunden. Und die Eiche bekommt kaum noch Nachwuchs.
Die Herstellung eines naturnahen Überflutungsregimes wird jedenfalls den überschwemmungsresistenten Baumarten helfen. Ob der Auwald dann tatsächlich so aussehen wird, wie er etwa um 1850 herum aussah, kann natürlich niemand sagen. Denn damals gab es nicht diese zunehmende Trockenheit und auch nicht den massiven Schädlingsbefall, der den heimischen Bäumen heute zusetzt.
Und so muss in diesem Jahr genau diese Frage beantwortet werden, wie Kasek betont: „Wo und wie kriegen wir Wasser in den Wald?“
Und die Neue Luppe steht nun als mögliche Lösung im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
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