Die Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat will privates Silvesterfeuerwerk deutlich einschränken. Die rechtlichen Spielräume für Kommunen sind dabei klein: So könnte Leipzig auf Grundlage der Ersten Verordnung zum Sprengstoffgesetz Feuerwerk der Kategorie F2 an Silvester nur in der Nähe von „besonders brandempfindlichen Gebäuden oder Anlagen“ verbieten.
Außerdem könnte das Abbrennen von Böllern „mit ausschließlicher Knallwirkung“ in bestimmten Gebieten untersagt werden, doch Raketen wären von diesem Verbot nicht betroffen. Stadtrat und Jurist Jürgen Kasek, der einen entsprechenden Antrag verfasst hat, fordert deshalb eine Änderung der Sprengstoffverordnung.
Bezüglich der Einschränkung von Silvesterfeuerwerk gibt es verschiedene Forderungen – ein Komplettverbot, Verbotszonen, ein zentral ausgerichtetes Feuerwerk der Stadt. Was fordern Sie?
Ich halte von der Böllerei nicht besonders viel. Meinetwegen kann es ein zentrales Feuerwerk geben, beispielsweise auf dem Augustusplatz. So wird es in vielen Städten weltweit praktiziert. Dazu könnte es ein Bühnenprogramm geben und Mitternacht wird für eine viertel Stunde lang ein Feuerwerk fachgerecht abgebrannt. Gegebenenfalls könnte ich mir auch mehrere öffentliche Feuerwerke auf den zentralen Plätzen innerhalb der Bezirke vorstellen.
Sie wollen den Oberbürgermeister beauftragen, „alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Beschränkung auszuschöpfen“. Es ist bereits bekannt und Gegenstand im Stadtrat gewesen, dass die Sprengstoffverordnung kaum Spielraum gibt. Gibt es noch andere rechtliche Hebel?
Anderswo können bei der Einschränkung von Silvesterfeuerwerk landeseigene Immissionsschutzgesetze herangezogen werden, doch Sachsen hat so ein Gesetz nicht. Der andere Weg führt über das Polizeirecht. Hier geht es um den Begriff der sogenannten Gefahr. Bei einer zentralen Großveranstaltung könnte man so Feuerwerksverbotszonen rechtssicher einrichten.
Sie fordern eine Änderung der Sprengstoffverordnung. Was genau soll geändert werden?
Die Einschränkung von Feuerwerk ist ja eigentlich gesellschaftlicher Konsens. Kommunen und Landkreise sollten deshalb deutlich mehr Handlungsspielräume bekommen. Dort, wo der Stadtrat Silvesterfeuerwerk zulassen will, soll das gemacht werden. Und dort, wo eine demokratisch legitimierte Mehrheit das nicht will, könnte man es stärker begrenzen.
„Gesellschaftlicher Konsens“ ist vielleicht ein bisschen zu weit aus dem Fenster gelehnt. Neben der Debatte um das Tempolimit ist die um die Einschränkung von Feuerwerk aktuell vielleicht die emotionalste und heftigste Debatte in Deutschland, in der es um Verbote von Staatsseite geht.
Also ich mag den Verbotsbegriff tatsächlich nicht.
Aber faktisch geht es ja um ein Verbot, zumindest teilweise.
Jein. Es gibt eine gesellschaftliche Mehrheit, die sich für eine deutliche Reduktion des Silvesterfeuerwerks ausspricht – Tierbesitzer/-innen, generell Tierfreund/-innen und Menschen, denen das alles viel zu laut ist, beispielsweise Familien mit kleinen Kindern. Und natürlich für Geflüchtete aus Kriegsgebieten. In meinen Augen mutet Silvester immer mehr zur Notwendigkeit an, Krieg zu spielen: Brandgeruch liegt in der Luft, Rauchschwaden ziehen durch die Häuserschluchten, hin und wieder mal ein greller Blitz, zum Teil klingen die Knaller wie Maschinengewehrfeuer, und zwischendurch heulen Sirenen auf und es rennen Leute durch die Straßen.
Nach bestimmten Demos schreiben manche Medien von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“. Wenn überhaupt, dann trifft diese Beschreibung am ehesten an Silvester zu.
Aus linker Perspektive gibt es vereinzelt die Argumentation, dass Silvester auch etwas Proletarisches, Befreiendes, Aufständisches hat – ein Ausnahmezustand, der sich sonst schwer erzeugen lässt. Was halten Sie davon?
Ich finde die Debatte hochspannend. Genau genommen geht es dabei um zwei Perspektiven – die klassenkämpferische und die autonome. Aus klassenkämpferischer Sicht wird argumentiert, dass es für Menschen, die viel haben, relativ einfach ist, auf irgendwas verzichten zu können. Mal weg vom Feuerwerk: Auf zwei Grad Celsius im Schwimmbad kann ich natürlich sehr gut verzichten, wenn ich zu Hause einen Pool habe.
Ein Kollege von den Linken hat mir mal von seinen Eltern erzählt, die zum Proletariat gehören, also prekäre Arbeitsverhältnisse haben. Aber die wollen sich die Freiheit nehmen und verständlicherweise selbst entscheiden, einmal im Jahr komplett die Sau rauszulassen und einen Monatslohn in Böller zu investieren – weil sie das schon immer so gemacht haben. Diesen Moment würde man solchen Leuten dann wegnehmen. Die Frage stellt sich tatsächlich.
Und was meinen Sie mit der autonomen Perspektive?
Ach, ich mag diese Debatte so (schmunzelt). Diese Perspektive wird traumhaft schön in einem anarchisch-autonomen Online-Text mit dem Titel „Berlin grüßt Athena“ wiedergegeben, der die Randale in Berlin zu Silvester philosophisch ausdeutet. Darin geht es um den Aufstand des „Surplus-Proletariats“, wunderbar.
Natürlich kann man bewusst nicht von politisch handelnden Individuen ausgehen, sondern mit einem proletarischen Aufstand argumentieren, der die direkte Konfrontation mit der Polizei und somit dem Staatsapparat gesucht hat. Notwendig ist es an dieser Stelle allemal, nach den Hintergründen solcher Vorkommnisse zu fragen. So wird die Debatte aber leider nicht geführt. Wer nach den Ursachen fragt, wird schnell verdächtigt, die Taten relativieren zu wollen.
Wie wird die Debatte denn geführt?
Sie folgt einer Sündenbock-Logik: Nach Silvester 2015/16 in Köln waren die „Nafris“ das Feindbild, in Leipzig dann die „Linksextremisten“, jetzt haben wir nach Berlin wieder eine Migrationsdebatte. Es wird nach den Vornamen der Täter/-innen gefragt, anstatt nach dem „Warum?“.
Natürlich lag beispielsweise in Köln eine gewisse Rassifizierung vor. Worüber wir aber nicht diskutieren: Rund 80 Prozent der Täter/-innen an Silvester waren Männer, und Alkohol spielte ebenfalls eine bedeutsame Rolle. Das Problem ist, dass eine „gesellschaftliche Mitte“ konstituiert wird, Gruppen außerhalb dieser Mitte definiert und zu Sündenböcken erklärt werden. Die Debatte ist grundhaft verlogen und wird von allen Parteien falsch geführt. Die notwendige Auseinandersetzung mit sozialen Verhältnissen, die gegebenenfalls zu Straftaten führen, wird durch die Suche nach Sündenböcken obsolet. Ich würde vor allem im Kontext von Silvester gerne mal über toxische Männlichkeit diskutieren. Die Ursache ist eine sozial ungerechte, patriarchale Gesellschaft.
Ein Silvester, an dem das Abbrennen von privatem Feuerwerk untersagt wäre, würde wohl eine flächendeckende Polizeipräsenz erfordern, um die Verbote durchzusetzen. Denn im Gegensatz zu den Corona-Silvestern wäre der Verkauf von Feuerwerk nicht untersagt. Dürfen wir uns in Zukunft auf ein Überwachungsstaat-Szenario zum Jahreswechsel einstellen?
Wir haben als Gesellschaft stillschweigend eine Vereinbarung miteinander getroffen, dass wir uns im Wesentlichen an Recht und Gesetz halten. Die geschriebenen Normen sind ja dazu da, unser Zusammenleben zu regeln. Würden die meisten sich nicht daranhalten – so viel Polizei gibt es gar nicht.
Von einem Jahr aufs andere wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit keine Situation einstellen, in der ein Großteil ohne Weiteres auf das Böllern verzichtet. Man könnte so weit gehen und sagen, dass Böllern an Silvester für viele Teil der Identität ist.
Wir brauchen eine Veränderung von sozialen Verhaltensweisen. Natürlich sagen viele: Wir haben das schon immer so gemacht. Feuerwerk in Europa als Instrument der breiten Massen gibt es erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Feuerwerk in Europa generell gibt es seit der Barockzeit, aber ausschließlich für den Adel. Als Anfang des 20. Jahrhunderts die Droschkenfahrer vom Automobil verdrängt wurden, war das auch eine Frage von Identität. Gesellschaft ist aber etwas Veränderbares.
Sie fordern eine städtische Informationskampagne zu den negativen Konsequenzen von Feuerwerk. Wie soll die aussehen?
Die Einschränkung von Silvesterfeuerwerk sollte in der Kampagne weniger als individueller Verzicht, sondern als kollektiver Zugewinn von Lebensqualität kommuniziert werden. Auch Rücksichtnahme sollte eine Rolle spielen. Ähnlich wie beim Müllproblem muss hier das Ziel sein, die Mentalität der Leute zu ändern.
Bezüglich des Klimaschutzes werden bestimmte Modelle diskutiert, bei denen Länder, Firmen oder Einzelpersonen ein bestimmtes Budget für CO₂-Emissionen haben. Wäre sowas auch für Silvester denkbar? Beispielsweise, indem jede Person eine bestimmte Menge Feuerwerk verschießen darf. Wer mehr möchte, muss sich „Zertifikate“ von denen kaufen, die weniger verschießen.
Ich verstehe den Ansatz, finde ihn bezüglich Silvesterfeuerwerk aber nicht realistisch. Zum einen wäre der bürokratische Aufwand immens. Zum anderen ist man an der Stelle wieder bei der Klassenfrage: Wer sich über Geld keine Gedanken machen muss, könnte sich ohne Probleme ein riesiges Kontingent leisten. Die, die wenig oder kein Geld übrighaben, müssten verzichten. So wird das nicht funktionieren – außer, man will einen Aufstand provozieren.
Ein gängiges Argument gegen Feuerwerksverbote ist das der persönlichen Freiheit. Was würden Sie dem entgegensetzen?
Dieses Argument kommt oft von Vertreter/-innen eines verkürzten Freiheitsbegriffs – irgendwelche Liberalos, die bei der „Welt“ rumlurchen und immer dann nach Freiheit rufen, wenn es gerade passt. Der Freiheitsbegriff, von dem wir bei den Grünen ausgehen, ist: „Die Freiheit des Einzelnen hört dort auf, wo sie die Freiheit des anderen tangiert.“ Treffen zwei Grundrechte aufeinander, sind sie in Ausgleich zu bringen. Wenn eine gesellschaftliche Mehrheit sagt, wir wollen das nicht mehr, warum sollen diese Menschen hinnehmen, dass sie 48 Stunden lang nicht schlafen können, damit andere ihren egoistischen Freiheitsbegriff ausleben können?
Ein weiteres Argument ist das der Eigenverantwortung, beispielsweise angebracht vom CDU-Landtagsabgeordneten Ronny Wähner.
Immer dann, wenn in einer Debatte das Stichwort Eigenverantwortung fällt, ist die Argumentation wenig konsistent – vor allem bei der CDU. Silvesterfeuerwerk, insbesondere eine Reihe von Böllern, ist gefährlich. Man kann sich damit – wie wir dieses Silvester wieder erleben mussten – schwerste Verletzungen zuführen, bis in den Tod. Dieselben, die sowas mit dem Argument der Eigenverantwortung in Kauf nehmen, wollen zum Beispiel Cannabinoide nicht legalisieren – weil sie gefährlich seien. In Relation zu anderen Produkten sind die aber gar nicht so gefährlich. Ich bin für ein Maß an Eigenverantwortung, aber dann kann man sich nicht nur darauf berufen, wenn es einem passt.
Wäre die FDP zum Beispiel konsequent, würde sie solche Fragen über Verbrauchsteuern lösen – also potenziell gesundheitsschädigende Produkte höher besteuern und so das Gesundheitssystem mitfinanzieren.
Könnte man bei Feuerwerk auch machen.
Ja, aber dann betonen wieder die Vertreter/-innen des Klassenkampfes, dass sich das breite Teile der Gesellschaft nicht mehr leisten können. Dann ist das halt so. Wir können nicht jede Debatte im Keim ersticken mit dem Argument, dass das Prekariat zuerst betroffen wäre. So können wir wenig ändern. Wir müssen verdammt nochmal die richtigen Fragen stellen: Wie können wir das Prekariat weniger prekär machen? Wie können wir Reichtum umverteilen?
Was ja dann Ursachenbekämpfung und nicht mehr Symptombekämpfung wäre, was realpolitisch deutlich schwieriger umzusetzen ist.
Ja, aber darum muss es doch tatsächlich gehen. Mitunter nervt mich das an den Linken in Debatten. Wir müssen einen sozialen Ausgleich schaffen, da gehe ich ja komplett mit. Aber es funktioniert nicht, zu sagen, wegen der armen Schichten können wir diese und jene Maßnahme nicht ergreifen.
Wir müssen es also als Kollateralschaden hinnehmen, dass Leute mit sehr wenig Geld sich kein Feuerwerk, Zigaretten und Fleisch mehr kaufen können, um eine nachhaltige Welt zu schaffen?
Das Kernproblem besteht darin, dass Fleisch aufgrund der Kapitalisierung der Landwirtschaft viel zu billig ist. Viele Bäuerinnen und Bauern leben prekär, weil sie den realen Preis inklusive CO₂-Werten nicht verlangen können. Dann kann sich eben nicht jede/-r jeden Tag ein Schnitzel reinpfeifen, so what?! Anfang des 20. Jahrhundert war Fleisch für viele Luxus. Unsere heutige Gesellschaft hat die Vorstellung, dass Fleisch immer für alle verfügbar sein muss, und das soll Freiheit sein? Das ist der Freiheitsbegriff eines homo consumens. Aber dann argumentiert bitte nicht mit Konsumkritik!
Hinweis: Lesen Sie zum Thema gern auch die verschiedenen Stimmen zur Böllerverbotsdebatte nach, welche die LZ eingeholt hat.
Das Interview „Ich würde im Kontext von Silvester gerne mal über toxische Männlichkeit diskutieren“ erschien erstmals am 24. Februar 2023 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 110 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops sowie bei diesen Szenehändlern.
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