Im Juli, mitten in der Vegetationsperiode, sorgte ein Vorgang in der Gustav-Freytag-Straße/Ecke Kochstraße in Connewitz für Aufsehen und Ärger: Ohne Genehmigung wurde hier alles gejätet, was an Buschwerk gewachsen war. Nur ein dringender Anruf der Anwohner bei der Stadt konnte die illegalen Fällarbeiten stoppen. Die Antwort auf eine Einwohneranfrage macht jetzt deutlich, wie machtlos die Stadt den Grenzüberschreitungen einiger Grundstücksbesitzer gegenübersteht, denen Naturschutzgesetze völlig egal sind.
Gestellt hat diese Einwohneranfrage Elke Thiess vom Arbeitskreis Natur- und Artenschutz.
„Gegenstand unserer Anfrage sind die Vorkommnisse um eine Stadtbrache in Leipzig Connewitz“, beschrieb sie darin die Vorgänge. „Hier spielte sich ein Trauerspiel in mehreren Akten ab, welches schon fast exemplarisch für die Hilflosigkeit der Leipziger Ämter steht gegenüber skrupellosen Zeitgenossen, für die Gesetze, Verordnungen und direkte Anweisungen von Behördenmitarbeiter/-innen offenbar nur den Wert von Handlungsempfehlungen haben.“
Die Ausgangssituation an der noch unbebauten Ecke Gustav-Freytag-Straße/Kochstraße: Das Grundstück war mit Großbäumen, Hecken und Sträuchern dicht bewachsen. Davon ein Großteil geschützt durch die Leipziger Baumschutzsatzung.
Weitere Rodungen trotz Verbot
„Nach unserer Kenntnis hat sich hier Folgendes abgespielt“, schrieb Elke Thiess: „Anfang Mai 2022 wurde das Grundstück eingezäunt. Der BUND Leipzig hat das Amt für Umweltschutz (AfU) und das Amt für Stadtgrün und Gewässer (ASG) vorsorglich über die Einzäunung informiert, da der Verdacht bestand, dass hier gerodet werden soll. In den Sträuchern und Bäumen brüteten bereits Vögel. Gem. §39 BNatSchG sind Gehölzschnitte von März bis September aus Gründen des Brutschutzes grundsätzlich verboten und nur in Ausnahmesituationen mit Genehmigung des AfU möglich.
15.07.22: Wie befürchtet, wurden mit schwerem Gerät Hecken und Sträucher beseitigt. Durch Intervention von Anwohner/-innen konnten die Rodungsarbeiten gestoppt werden. Mitarbeiter/-innen des AfU waren vor Ort und haben weitere Fällungen untersagt.
19.07.22: Nur drei Tage später wurde unter Missachtung des Verbots einfach weiter gerodet. Wieder haben Anwohner/-innen die Behörden (Ordnungsamt und AfU) verständigt. Die Rodungen wurden erneut gestoppt und untersagt. Hecken und Sträucher waren da schon fast vollständig ‚platt gemacht‘. Vertreter/-innen des NABU und BUND fanden sowohl noch vorhandene und besetzte, als auch bereits zerstörte Nester.
19.10.22: Fällung von mehr als 10 Bäumen ohne die dafür nötige Ausnahmegenehmigung von der Baumschutzsatzung. Die Ausführenden erklärten gegenüber dem von Anwohner/-innen herbei gerufenen Stadtordnungsdienst, dass angeblich keine Genehmigung erforderlich sei. Erst nach mehrfacher Intervention des NABU Leipzig wurden die Arbeiten gestoppt. 6 Bäume sind noch übrig geblieben.
Nur der Aufmerksamkeit von Anwohnern/-innen ist es zu verdanken, dass dieser Fall überhaupt an die Öffentlichkeit kam. Auch die L-IZ hat darüber berichtet. An anderer Stelle bleiben illegale Fällungen meist unbemerkt. Besorgniserregend ist hier die Dreistigkeit, mit der sich ganz offen und wissentlich über Gesetze, Auflagen und Verbote hinweggesetzt wurde.“
Was Elke Thiess dann – einmal mehr – zu der Frage brachte, ob die Stadt Leipzig überhaupt in der Lage ist, die eigene Baumschutzsatzung zu kontrollieren und durchzusetzen.
Personal zur Kontrolle fehlt
Schon die Antwort auf ihre erste Frage konnte das Amt für Umweltschutz (AfU) nur ratlos antworten, denn dafür, dass die Stadt nun auch noch permanent Kontrollpersonal durch die Straße schickt, um Verstöße gegen den Naturschutz zu kontrollieren, war die Baumschutzsatzung eigentlich nicht gedacht.
„Derartige Fälle flächendeckend zu verhindern, ist nicht möglich. Durch eine intensive Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ämtern, Naturschutzorganisationen sowie der Bürgerschaft kann dennoch eine grundlegende Basis für die Verfolgung naturschutzrechtlicher Verstöße geschaffen werden“, versucht das Amt für Umweltschutz so eine Art Teamwork zu konstruieren.
„Bei Verstößen ist je nach Schwere des Ausmaßes der Bußgeldrahmen auf Grundlage des betroffenen Gesetzes auszunutzen. Für eine effektive Verfolgung und direkte Intervention bedarf es einer ausreichenden Personalstärke. Eine ganzheitliche Überwachung von entsprechenden Grundstücken wäre hier zielführend, kann aber personell nicht geleistet werden.“
Klipp und klar: Es gibt keine „Baumpolizei“ in Leipzig. Die Satzung appelliert eher an das Verständnis der Grundstückseigentümer für Recht und Gesetz.
„Zur weiteren Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger betreffend den Baum- und Artenschutz wird zudem auf mediale Präsenzen und Kampagnen zu naturschutzrechtlichen Themen gesetzt. So veröffentlichte die untere Naturschutzbehörde in diesem Jahr im Amtsblatt Ausgabe Nr. 13 eine Bekanntmachung zur ‚Beachtung des Artenschutzes bei Bauvorhaben‘ (sowohl in der analogen Ausgabe vom 25.06.2022 als auch der digitalen Ausgabe vom 02.07.2022)“, erklärt das Amt für Umweltschutz.
„Regelmäßig wird jeweils vor Beginn der Brutsaison von der unteren Naturschutzbehörde über das Verbot von u. a. Baumfällungen in der Zeit vom 01.03. – 30.09. informiert. Diese Bekanntmachung ist auch 2023 wieder vorgesehen.“
Bürger, schützt eure Grünflächen!
Nur scheint das einige Unternehmen nicht die Bohne zu interessieren. Auch, weil wirklich wirksame Sanktionen fehlen. Ordnungsgelder wirken da oft wie Peanuts.
Und so betont das Amt für Umweltschutz: „Grundsätzlich gilt: Die Verwaltung ist auf eine intakte Zusammenarbeit und den aktiven Austausch mit der Bevölkerung angewiesen, um derartige Verstöße möglichst umfassend zu stoppen und entsprechend zu ahnden.“
Aber können das ausgerechnet die Nachbarn solcher von Kettensägen heimgesuchten Grundstücke ändern? Woher kommt es, dass immer mehr Besitzer unbebauter Grundstücke auf alle Baumschutzregelungen pfeifen?
„Die Frage nach den Ursachen fehlender Akzeptanz gegenüber Verboten und Auflagen kann hier nicht abschließend beantwortet werden. Diese reichen von fehlendem Unrechtsbewusstsein, Ignoranz bis hin zur Unkenntnis über die geltenden Vorschriften“, versucht das Amt für Umweltschutz eine Erklärung.
„Werden Tatsachen, also beispielsweise Baufreiheit in Form von Baumfällungen geschaffen, können Bußgelder in Höhe von bis zu 50.000 € erhoben werden. Die Konsequenzen illegaler Baumfällungen sind also vor allem finanzieller Art. Für Bauherren oder Grundstückseigentümer, die auf Erlöse spekulieren, sind die im Verhältnis zu heutigen Baukosten relativ geringen Bußgelder bei Verstößen gegen die Baumschutzsatzung nicht von ausschlaggebender Bedeutung und dementsprechend wenig abschreckend.“
Eine sehr klare Aussage.
Besitz verpflichtet – augenscheinlich zu nichts
Was trotzdem noch nicht beantwortet, warum die in Aktion getretenen Behördenmitarbeiter nicht von Anfang an durchsetzen konnten, dass die ungenehmigten Fällungen aufhörten.
„Das Auftreten des Außendienstes in besagtem Fall war nicht zu beanstanden“, stellt das Amt für Umweltschutz fest. „Nach Bekanntwerden des Sachverhaltes und des Ermittlungsauftrages suchten die Mitarbeitenden die Örtlichkeit unverzüglich auf. Die darauffolgende Besichtigung diente der Beurteilung der Sachlage vor Ort sowie der Einschätzung über die erforderlichen Maßnahmen. Dadurch konnten bereits laufende Tätigkeiten unterbunden und eine grundlegende Dokumentation der Verstöße durchgeführt werden. Es sind jedoch keine ausreichenden Kapazitäten vorhanden, um eine permanente Kontrolle durch Bestreifung o. ä. zu gewährleisten und damit derartige Eingriffe im Vorfeld sicher zu unterbinden.“
Und wie geht das nun in der Gustav-Freytag-Straße weiter, wo man die Ergebnisse des Gemetzels noch hinter dem Bauzaun besichtigen kann?
„Der konkrete Verstoß wurde gegenüber dem Ordnungsamt angezeigt und wird nunmehr dort geprüft“, so das Amt für Umweltschutz. „Durch eine Wiederherstellungsanordnung kann der Eigentümer der betroffenen Fläche zusätzlich zu einem Ausgleich der durchgeführten Eingriffe verpflichtet werden. – Für weitere Eingriffe in den nach der Baumschutzsatzung der Stadt Leipzig geschützten Gehölzbestand müssen Anträge gestellt werden. Gleiches gilt für Eingriffe, welche nach § 39 (allg. Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen) des Bundesnaturschutzgesetzes während der Schonzeit im Zeitraum zwischen dem 01.03. – 30.09. erfolgen.“
Und dazu kommt, dass augenscheinlich noch nicht einmal ein Bauantrag gestellt worden war.
„Über weitere Planungen und entsprechende Vorhaben auf dem betroffenen Grundstück liegen den befragten Stellen keine Informationen vor“, so das AfU.
Es gibt 3 Kommentare
@fra: könnten Sie sich hier konkreter ausdrücken? Das interessiert mich.
Dazu kommt noch das Besitzer von unbebauten innerstädtischen Grundstücken gedroht wird, wenn sie ihr Grundstück nicht bebauen.
“Die Konsequenzen illegaler Baumfällungen sind also … wenig abschreckend.” Da steht ja praktisch schon, wo der (ökonomische) Hebel anzusetzen ist. Einfach mal die fälligen Bußgelder mit dem Faktor 10 “anpassen” und auch zur Anwendung bringen (und keine “Duldungen” wie beim Falschparken).