Am Ende war es wohl eher ein Geduldsspiel zwischen Hausbesetzern und Polizei. Eine Lösung jedenfalls für die zukünftige Nutzung der seit 20 Jahren leerstehenden Immobilie konnten Hauseigentümer, Hausbesetzer und der mögliche Vermittler, die Stadt Leipzig, nicht finden. Und so rollten kurz nach 6 Uhr am 2. September 2020 die Polizeiwagen durch den Leipziger Osten. Ausgestanden ist die Sache damit jedoch nicht: es gab Verhaftungen und der Eigentümer ist nicht mehr unbekannt.

Schon vor Tagen hatte sich die Stadt Leipzig aus einer möglichen Vermittlung rings um die Besetzung vom 21. August 2020 zurückgezogen. Nach anfänglichen Gesprächsversuchen zwischen Hauseigentümer und Stadt sowie Angeboten der Besetzer, über die zukünftige Nutzung der verfallenden Immobilie zu sprechen, war in den letzten Tagen nur noch die Frage offen, wann die Räumung stattfinden wird.

Diese selbst ging flott über die Bühne, zwischen 6 und 9 Uhr wurde das Haus von der Polizei erst betreten, geräumt und vor wenigen Minuten verkündete die Polizei via Twitter die „Sicherung des Gebäudes“ mit einem Bild auf welchem entsprechende Baumaterialien zu sehen sind. Ein Ende mit Schrecken also, welches jedoch die aufgeworfenen Fragen der Besetzer nicht klärt.

Ein Statement der Hausbesetzer gegenüber L-IZ.de zu den Zielen. Video: L-IZ.de

Leerstand und Vermietung

Seit drei Jahren soll das leerstehende Haus in Volkmarsdorf seinen heutigen Besitzer haben. Sozusagen als „Dankeschön“ hinterließen die Besetzer unter dem Twitteraccount „LeipzigBesetzen“ am heutigen 2. September 2020 den vorgeblichen Namen und die Adresse eines Unternehmers aus dem Erzgebirge, welcher dort einen Musikalienhandel betreibt. Ob Udo H. der Eigentümer ist und wenn ja, was er nun mit seiner Immobilie vorhat, haben wir umgehend erfragt, die Antworten dazu stehen aktuell noch aus.

Denn trotz eines BILD-Interviews, welches mit einem Hinterkopfbild illustriert wude, der von Udo H. sein könnte, ist noch immer unklar, ob das Haus bewusst leersteht, also gar keine Vermietungsabsicht vorliegt. Zwar äußerte (bei BILD Christoph R.) der Eigentümer, die Sanierung würde 2,3 Millionen Euro kosten, auch, dass er mal vorgehabt habe, es zu sanieren – doch nun offenbar nicht mehr. Weitere Varianten wären dann sicher noch, dass den verschiedenen Eigentümern und also auch H. seit nunmehr gesamt 20 Jahren das Geld fehlt oder die, dass das Haus in der Ludwigstraße 71 eigentlich immer nur weiterverkauft wird, um Gewinne ohne Sanierungsinvestitionen zu erzielen.

Letzteres ist landläufig unter dem Wort „Spekulation“ bekannt und findet längst auch in Leipzig statt. Ob auch in diesem Fall, könnten die Antworten des mutmaßlichen Eigentümers oder sein Handeln in den kommenden Monaten zeigen. Ein sogenanntes Wächterhaus jedenfalls wollte er auch nicht aus der Immobilie machen, andere Konzepte, wie Teilsanierungen oder genossenschaftliche Einbringung seines Hauses sind nicht bekannt.

Und so gehen die Jahre ins Land

Zeit, die immer weniger Leipziger haben, wenn sie umziehen wollen. Geschätzt stehen aktuell 500 meist in Privatbesitz befindliche Häuser in Leipzig leer, das Großbauprojekt „Eutritzscher Freiladebahnhof“ verzögert sich (und steigt offenbar im Preis, was zukünftige Mieten treibt) und die LWB sowie die Baugenossenschaften nehmen gerade erst richtig Fahrt auf, um neben weiteren Sanierungen und Instandsetzungen ihres Bestandes hier und da sogar neu zu bauen. Die LWB soll immerhin 5.000 neue Wohnungen schaffen, um die Mieten in Leipzig durch mehr Angebote zu dämpfen.

Gleichzeitig gelten nun bereits in mehreren Gebieten der Stadt Milieuschutzsatzungen, welche Luxussanierungen, gezielte Leerzüge und somit massive Verteuerungen von Bestandswohnungen und Neubauten unterbinden sollen. Dennoch geht die Angst vor Mieterhöhungen um, je kleiner der Leerstand in Leipzig wird.

Wie Leerstand und darunter auch die Zahl der mutmaßliche Spekulationsobjekte ermittelt werden können, veranschaulicht der Leipziger Mietenfachmann Roman Grabolle seit Mai 2020 auf Twitter.

Auf kurze und lange Sicht

Interessant dürfte auch werden, wer den Einsatz der Polizei am heutigen 2. September 2020 zahlt. Naheliegend die Besetzer, sofern sie die Polizei identifizieren kann. Das Haus soll bei der Räumung nahezu unbewohnt gewesen sein, dennoch gab es einige kurzzeitige Ingewahrsamnahmen. Zu diesen schreiben die Hausbesetzer heute kurz nach 11 Uhr „Alle in Gewahrsam gewesenen Personen sind wieder aus der Gesa raus. Heute wurde uns die #luwi71 genommen. Wir sind wütend. Haltet euch für die morgige Tag X+1 Demo bereit. Mehr Informationen folgen. #leipzigbesetzen #le0209“

Während also am Donnerstag, 3. September 2020, im Leipziger Osten eine Demonstration zu erwarten ist, stellt sich für die Zukunft der Immobilie und die Kostenübernahme des heutigen „Sicherungseinsatzes“ der Leipziger Polizei folgende Frage aus dem Baugesetzbuch.

Im Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot laut Baugesetzbuch § 177 heißt es da: „Weist eine bauliche Anlage nach ihrer inneren oder äußeren Beschaffenheit Missstände oder Mängel auf, deren Beseitigung oder Behebung durch Modernisierung oder Instandsetzung möglich ist, kann die Gemeinde die Beseitigung der Missstände durch ein Modernisierungsgebot und die Behebung der Mängel durch ein Instandsetzungsgebot anordnen. Zur Beseitigung der Missstände und zur Behebung der Mängel ist der Eigentümer der baulichen Anlage verpflichtet. In dem Bescheid, durch den die Modernisierung oder Instandsetzung angeordnet wird, sind die zu beseitigenden Missstände oder zu behebenden Mängel zu bezeichnen und eine angemessene Frist für die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zu bestimmen.“

Oder kurz: Eigentum verpflichtet, wie es so schön im Grundgesetz heißt.

Umstritten ist allerdings regelmäßig, ab welchem Verfallszustand dieser Paragraph greift. Vor einigen Jahren ordnete die Stadt Leipzig eben dies für eine Immobilie an der Eisenbahnstraße an und führte die Sicherungsmaßnahmen anschließend selbst aus. Allerdings erst, als die Hausfront auf die Straße zu stürzen drohte – der gesamte Verkehr lag Tage lahm an der vielbefahrenen Magistrale im Leipziger Osten.

Mehr zum Verlauf der Besetzung hier auf L-IZ.de

Nachtrag der Redaktion: Laut einem Tweet der (ehemaligen) Hausbesetzer/-innen soll die Demonstration am morgigen 3. September um 21 Uhr am Rabet auf Höhe des dortigen Aldi an der Eisenbahnstraße starten.

Zum Videobericht von der Demo am 3. September 2020

Ludwigstraße 71: Eine Demo nach der Besetzung + Videos

Freitag, der 28. August 2020: Protest gegen Björn Höcke in Grimma und hitzige Debatten über Berlin-Demo

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