Am Sonntag, 15 September, gibt es an der Karl-Heine-Straße wieder etwas zu sehen, was es dort zuletzt zur Jahrtausendwende zu sehen gab. Exakt 20 Jahre nach der ersten Aussaat kehrt er zurück: Der Bauer mit dem Pflug, gezogen von seinen treuen Pferden, bestellt erneut das „Jahrtausendfeld“ im Leipziger Westen. Als reale Erscheinung aus vergangener Zeit erinnert er uns an die ursprüngliche Idee: Wie viel Raum geben wir der Natur und wie soll unsere Stadt in Zukunft aussehen?

Die Schaubühne Lindenfels hat den Bauer von damals gewinnen können, wieder seine Kreise zu ziehen. Ein enger Kreis von Mitstreiter/-innen wird an diesem Sonntag bei einem Picknick an das Jubiläum erinnern.

Das Jahrtausendfeld stand natürlich auch für das Aufblühen der angrenzenden Ortsteile Plagwitz und Lindenau, von dem 1999 noch nicht viel zu sehen war. Es waren tatsächlich die Künstler, die zuerst in den wilden Leipziger Westen vordrangen, gefolgt von mutigen Kreativen, die Läden und Kneipen eröffneten und leerstehende Fabrikgebäude bezogen. Korn wuchs auf der Fläche des Jahrtausendfeldes nur in den ersten Jahren. Dann fand hier kurzzeitig das Theater der Jungen Welt in einem Zirkuszelt ein neues Zuhause.

Seitdem gab es immer wieder auch Pläne der Stadt, hier zum Beispiel Schulen zu bauen. Doch der Besitzer der Fläche lässt sich Zeit und die Brache ungenutzt, sodass es auch immer wieder zu Konflikten kommt, wenn hier eine Zeitlang Wagenleute versuchten, ein wenig heimisch zu werden, oder Skater und Volleyballspieler den ungenutzten Raum nutzen wollten. So gesehen ist das Jahrtausendfeld ein vielschichtiges Symbol für das, was rund um die Karl-Heine-Straße vorangeht oder auch nicht geht.

20 Jahre „Jahrtausendfeld“ – ein Stück Land mitten in der Stadt

Axel Kunz, Schaubühne Lindenfels

Ein begehbares Roggenfeld mitten in der Stadt, fast drei Hektar groß, zwei Jahre lang traditionell bewirtschaftet: das „Jahrtausendfeld“ in Leipzig, Plagwitz-Lindenau. Das Bild vom Landmann, der mit Egge und Pferd vor der Kulisse verlassener Fabrikhallen und Mietshäuser die Aussaat vorbereitet, ist zur Ikone geworden.

Vor zwanzig Jahren konzipierte René Reinhardt für das Expo-2000-Jahr die Installation „Jahrtausendfeld“ und entwickelte sie gemeinsam mit der Schaubühne Lindenfels zu einer partizipativen Intervention und zu einem ökologischen Happening. Von September 1999 bis August 2001 bot das Millennium den Anlass, um an einem ganz besonderen Kulturort über Zukunftsvisionen für die Stadt des 21. Jahrhunderts nachzudenken. Der damals gewählte Name ist über den konkreten Projektzeitraum hinaus geblieben und längst in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Eine Brache mit Namen und Identität, wo gibt es das sonst?

Heute kennt fast jeder diesen Ort unter dem Namen „Jahrtausendfeld“. Dass die Fläche bis heute unbebaut geblieben ist – was für eine weitere Wendung in diesem längst nicht abgeschlossenen dokumentarischen Freilichttheater. Ein Ort, für den zu streiten lohnt. „Die Aktion hat etwas in das Gelände eingeschrieben. Es ist immer noch ein Acker, ein Feld nur im Ruhezustand. Was hier künftig entstehen wird, das heißt wie wir Anwohner, Verwaltung, Investoren und Stadtgesellschaft mit dieser Fläche umgehen, das wird zeichenhaft sein für die weitere Entwicklung des gesamten Quartiers“, sagt René Reinhardt anlässlich des Doppeljubiläums von Schaubühne Lindenfels (25 Jahre) und „Jahrtausendfeld“ (20 Jahre).

Noch verhüllt: Man & Horses on Millennium Field. Foto: Schaubühne Lindenfels
Noch verhüllt: Man & Horses on Millennium Field. Foto: Schaubühne Lindenfels

Seit 2018 erinnert ein Stahlmonument am Feldrand an die legendäre Kunstaktion. Es markiert zugleich einen Geschichtsraum der Brüche und Umbrüche: Gefechtsfeld in der Völkerschlacht von 1815, davor und noch bis 1860 Ackerland, dann durch Karl Heine aufgekauft und urbanisiert, für 130 Jahre Standort der von Rudolf Sack gegründeten Landmaschinenfabrik. Anfang der 1990er Jahre der nächste Bruch: Die Treuhand übernimmt die Liegenschaft, der VEB Landmaschinenfabrik wird stillgelegt und die Maschinenhallen abgerissen. So entstand eine der größten innerstädtischen Brachen, ein Symbol für das Warten auf die blühenden Landschaften in der Realität von Schrumpfung und Abwanderung jener Jahre.

Die Idee eines sich hier entwickelnden Kulturquartiers klang noch nach einem realitätsfernen Utopia. Wie in den Anfangsjahren der Schaubühne Lindenfels waren der Zweifel und die Skepsis groß. Der damalige Kulturbürgermeister Georg Girardet war einer der ersten, der Anderes ahnte. Er war es, der bei der symbolischen Aussaat am 12. September 1999 die ersten Roggenkörner auf die Krume warf. Versammelt um einen kleinen von Hand aufgeschütteten Erdhügel inmitten der riesigen Betonfläche trafen sich damals rund 100 Menschen auf dem noch nicht existierenden „Jahrtausendfeld“. Anfang 2000 folgte der Transport von 200 Lkw-Ladungen Mutterboden vom Neubau der Startbahn des Flughafen Halle/Leipzig, das Perforieren der mit Beton versiegelten Fläche und die Aussaat von Sommerroggen. Bald grünte es auf freiem Feld.

Damit wurde dieses Stück Land zu einem Zeichen der Hoffnung für ein abgehängtes Quartier und für eine neue Einstellung zu Wachstum und Umwelt umgedeutet.

Amtsgericht: Freispruch für Künstler am Jahrtausendfeld in Leipzig Plagwitz

Amtsgericht: Freispruch für Künstler am Jahrtausendfeld in Leipzig Plagwitz

Hinweis der Redaktion in eigener Sache: Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label „Freikäufer“ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen.

Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen.

Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekären Situation unserer Arbeit zu unterstützen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine „Paywall“, bemühen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch für diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten können und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood über Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.

Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 500 Abonnenten.

Alle Artikel & Erklärungen zur Aktion Freikäufer“

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Pferde auf dem Acker?
Toll, ich verstehe zwar nicht, was der sächsische ‘Umwelt’-Minister will,
https://www.l-iz.de/melder/wortmelder/2019/01/Landwirtschaftsministerium-will-Pferdewirtschaft-weiterentwickeln-255631

aber beim Wort genommen, sollte er Fördermittel bewilligen müssen.

Psst: Der Verkehrs(Weiterverkaufs-)wert wird dadurch vermutlich auch gesenkt,
so von wegen der Sozialisierung oder wie das Unwort gerade heißt.

(Außerdem hab ich da mal als Kind Schach gespielt, so durch die Werkhalle durch im Speisesaal.)

Schreiben Sie einen Kommentar