Es ist ein Pfahl im Fleisch der Leipziger Innenstadt – das hässlichste und bedrückendste Bauwerk, das in Leipzig in den 1970er und 1980er Jahren gebaut wurde: der Neubau der MfS-Bezirksverwaltung auf dem Matthäikirchhof. Und statt den Klotz medienwirksam abzureißen, soll er jetzt erst recht als Stasi-Erinnerungsrelikt erhalten werden.
“Für die künftige Entwicklung des Areals der ehemaligen Bezirksverwaltung am Matthäikirchhof haben sich jetzt die Beteiligten auf einen Grundkonsens verständigt”, teilte Leipzigs Verwaltung am Freitag, 29. April, mit.
Was schon stutzen ließ. Wer einigt sich da eigentlich mit wem? Ist das nicht eigentlich Hoheitsgebiet des Stadtrates? Baut OBM Burkhard Jung schon wieder Parallelstrukturen auf, die die demokratisch gewählten Gremien aushebeln?
Er tut es.
Angebahnt hatte sich das mit dem Streit über den ehemaligen Stasi-Kinosaal in der Runden Ecke, über den ein veritabler Zoff zwischen dem Museum in der Runden Ecke, dem Schulmuseum und den Stadtratsfraktionen entbrannte. Der endete in einer Art Kompromiss, der auch schon den Auftrag enthielt, aus dem Gebäudekomplex einen Gedenk- und Erinnerungsort zu machen. Dass das dann auch den Stasi-Neubau aus den 1980er Jahren einschließen sollte, war noch kein Thema.
Dass aber Burkhard Jung in diese Richtung dachte, wurde deutlich, als er vorschlug, das Freiheits- und Einheitsdenkmal auf dem Matthäikirchhof zu platzieren.
Was entsprechend heftige Kritik mit sich brachte und dann in den scheinbaren Rückzieher mündete, als Jung die Regie, eine neue Lösung für das gescheiterte Freiheits- und Einheitsdenkmal zu finden, kraft seiner Funktion “an die Bürgerrechtler” übergab. Die agieren in Leipzig in drei verschiedenen Vereinen.
Wen und was er damit meinte, wird jetzt deutlich, auch wenn jetzt vom “Feiheits- und Einheitsdenkmal” erst mal keine Rede ist. Aber augenscheinlich glaubt Burkhard Jung die drei Gruppen (plus Schulmuseum und BStu) tatsächlich dazu prädestiniert, die Zukunft des letzten verbliebenen Areals der Stadt in der City zu gestalten. Ein Areal, für das es schon Stadtratsanträge gab, hier eine Kita, eine Schule oder Wohnbebauung hinzusetzen und aus diesem durch den Stasi-Bau verhunzten Stück Stadt wieder ein attraktives Stadtquartier zu machen.
Doch das wollen augenscheinlich die vereinigten Bürgerrechtler nicht, die dieses Fleckchen Stadt gern dauerhaft in einen Mahnklotz des Überwachungsstaates verwandeln wollen. Der Stasi-Bau soll nicht abgerissen, sondern saniert und dauerhaft als Betonklotz der Stasi an dieser Stelle stehen gelassen werden.
“So soll das Gelände zwischen der ‘Runden Ecke’ und der Großen Fleischergasse zu einem Erinnerungs-, Forschungs- und Bildungsort entwickelt werden”, teilt die Verwaltung mit. “An diesem Ort können neue Akzente gesetzt und Impulse für die historisch-kritische Beschäftigung mit Diktaturen und den Formen der Gewaltherrschaft in Europa gegeben werden. Kernpunkte sollen u.a. die Gedenkstättenarbeit, Ausstellungen, politische Bildung und Archivarbeit sein.”
Ein entsprechendes Grundlagenpapier hätten am Donnerstagabend, 27. April, Vertreter des Archivs Bürgerbewegung, der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, der BStU-Außenstelle Leipzig, des Schulmuseums Leipzig sowie der Stiftung Friedliche Revolution an Oberbürgermeister Burkhard Jung und die Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat übergeben.
Im Kern formuliert das gemeinsame Positionspapier, auf dessen Grundlage jetzt eine Grundsatzvorlage für den Stadtrat erarbeitet werden soll:
„Die Vielfalt und unterschiedlichen Ansätze der beteiligten Einrichtungen begreifen wir als große Chance und keinesfalls als Hindernis. Allen beteiligten Einrichtungen kommt dabei die Aufgabe zu, zeithistorische Themen in den aktuellen Diskurs, in politische Bildungsformate zu überführen und den Gegenwartsbezug ihrer Arbeit und deren Relevanz für aktuelle gesellschaftliche Debatten weiter zu stärken. Es ist eine faszinierende Idee, an einem Ort der Diktatur, in der Auseinandersetzung mit authentischen Räumen und Zeugnissen dieser spezifischen Vergangenheit, vielfältiges historisches Lernen zu ermöglichen, Gegenwartsprobleme und Zukunftsfragen unseres Gemeinwesens, im Sinne der Förderung der Demokratie, gegen Extremismus und Gewalt zu thematisieren.“
Oberbürgermeister Jung begrüßt das Ganze, denn eigentlich ist er als Vorsitzender der Stiftung Friedliche Revolution immer auch selbst involviert: „An diesem authentischen Ort können wir Bildung, Forschung und Erinnerung zusammenführen. Dieser Ort inmitten des Stadtzentrums bietet wie kein anderer in Deutschland die Möglichkeit, aus der Erfahrung der Friedlichen Revolution von 1989 heraus über die Zukunft der Demokratie nachzudenken.“
Wichtiger Teil des künftigen Geländes soll perspektivisch ein Archivneubau des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR (BStU) stehen. Dazu habe man auch mit dem Bundesbeauftragten Roland Jahn gesprochen, der den Matthäikirchhof in Leipzig mit den Original-Orten für ein geeignetes Areal für die mittelfristige Zusammenlegung der Archive in Sachsen hält. Hier, in Leipzig, „fiel die Entscheidung für den Sieg der Friedlichen Revolution. Die Runde Ecke ist eines ihrer wichtigsten symbolischen Orte“, heißt es in dem Papier.
Aber vor allem zielt das Papier auf den Erhalt des Stasi-Neubaus: “Der historische Stasi-Neubau mit verschiedenen noch original erhaltenen Räumlichkeiten, wie der Bunkeranlage im 2. Keller, dem Büro des letzten Leipziger Stasi-Chefs, dem Wartebereich der Stasi-eigenen Poliklinik oder dem Paternoster-Aufzug, muss ebenso in die Neugestaltung einbezogen werden, wie die Fassade mit der Treppenhausverkleidung (‘Horchturm’). Diese Räume sollten thematisch adäquat genutzt werden. Der Stasi-Neubau sollte aus diesem Grund erhalten bleiben.”
Das wertvolle Stück Stadt, auf dem einst auch das ursprüngliche Leipzig als Burgward entstand und später die Matthäikirche stand, und das sich die Stasi in den 1970er Jahren krallte, um den Leipzigern weithin sichtbar ihre Macht zu zeigen, soll nun also dauerhaft an die graue Macht des Staatssicherheitsdienstes erinnern.
Das nennt man dann wohl einen martialischen Triumph. Mit dem vor allem ein entwicklungsfähiges Stück Innenstadt für ein weiteres Stück Diktatur-Erinnerung in Anspruch genommen wird.
“Den Partnern bietet sich auf dem Areal die Möglichkeit der räumlichen wie auch inhaltlichen Zusammenarbeit”, vermeldet die Verwaltung. “Auch Teile des Stasi-Neubaus mit dem Bunker im 2. Untergeschoss und den Originalräumen bieten beste Voraussetzungen, um sich in Leipzig mit den Themen Diktatur und Demokratie auseinanderzusetzen.”
Was eigentlich Unfug ist: Das ist nur ein Erinnerungsort der Diktatur. Über Demokratie lernt man hier nichts.
Das nennt man dann wohl wirklich einen Pfahl im Fleische.
Das Foto macht erst richtig deutlich, was für ein riesiges Areal hier jetzt dauerhaft für die Erinnerung an das MfS besetzt werden soll. Roland Jahn spricht von der Runden Ecke als einem der “wichtigsten symbolischen Orte der Friedlichen Revolution”. Das ist das Gebäude oben rechts am Bildrand. Der Rest hat diese Symbolkraft nicht. Der steht für etwas anderes.
Aber nichts ist bei Denkmalliebhabern augenscheinlich so beliebt, wie es die Machtbauwerke untergegangener Diktaturen sind.
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Korrektur statt Konservierung
Man kann das Ansinnen der „Initiativgruppe“, den ehemaligen Stasi-Neubau zum politischen Denkmal hochzustilisieren, nur mit Befremden und Ablehnung zur Kenntnis nehmen. Mit der Erhaltung dieses banalen, sämtliche Gestaltungskriterien für die Leipziger Altstadt ignorierenden Komplexes würde das Symbol diktatorischer Macht auch künftig als Fremdkörper im Stadtgefüge wirken. Die seit fast vier Jahrzehnten bestehende eklatante bauliche Fehl-Prägung dieses kulturhistorisch bedeutenden Ortes ist jedoch nicht zu konservieren, sondern zu korrigieren.
Im Bereich des Matthäikirchhofs lag die Keimzelle der Stadt, wer heute hier plant, tut dies in höchster kultureller Verantwortung. Es wäre fatal, das Potential dieses Stadtteils mit nur einer Themensetzung einzuschränken, vielmehr sollte mit kleinteiliger Gliederung sowie vor allem mit funktionaler Vielfalt eine grundlegende Revitalisierung¬ mit urbanem Flair angestrebt werden. Wohlgemerkt nicht als administrierte Hauruck-Aktion, sondern in Form eines klug durchdachten, vielschichtigen Entwicklungsprozesses.
Heinz-Jürgen Böhme und Dr. Thomas Nabert
Pro Leipzig