Betteln und musizieren nicht immer erwünscht. So könnte man das auf einen Punkt bringen, was die Dienstberatung des Oberbürgermeisters vor einer Woche beschlossen hat: Leipzigs Stadtverwaltung will in der Ratsversammlung am 21. September die nunmehr 5. Änderung der Leipziger Polizeiverordnung über öffentliche Sicherheit und Ordnung beschließen lassen. Und die Linksfraktion fasst sich an den Kopf: Den Unfug hatten wir doch schon mal!

Inhaltlich gehe es unter anderem um das Betteln von Kindern auf Leipziger Straßen, teilte die Verwaltung mit. „Die Polizeiverordnung (PolVO) soll künftig eine Eingriffsgrundlage enthalten, welche den Mitarbeitern von Polizei und Ordnungsamt die notwendige Rechtssicherheit verschafft. Verhindert werden soll, dass Erwachsene in Begleitung von Kindern über Stunden bei jeder Witterung betteln und dabei Kinder gezielt als Druckmittel und Mitleidserreger einsetzen, um die Spendenfreudigkeit der Passanten zu wecken.“

In der Verordnung ging es natürlich auch um das Wohl der Kinder. Da heißt es: „Damit verbunden sind Gefährdungen für das Kindeswohl, die mit den verfassungsrechtlich geschützten Rechten der Kinder unvereinbar sind. Der Missbrauch eines Kindes stellt eine erhebliche Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht der Erziehungs- und Personensorgeberechtigten dar. Die vorgeschlagene Regelung dient daher dem Schutz der Gesundheit der Kinder, dem Schutz vor Ausbeutung der Kinder, der Verhinderung einer negativen Vorbildwirkung, der Sicherung der Schulpflicht und letztlich der Gewährleistung der öffentlichen Ordnung. Allein bettelnde Kinder können dem Jugendamt bzw. dem Kindernotdienst übergeben werden.“

Und bei den betroffenen Erwachsenen hätten die Ordnungskräfte dann ein gewisses Handlungsrecht, wie die Stadt mitteilt: „Das Unterbinden dieses Verhaltens könnte dann an den bekannten stark frequentierten Schwerpunkten (wie zum Beispiel in der Innenstadt) gezielt kontrolliert und mit einer Geldbuße bis 1.000 EUR geahndet werden. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, Platzverweise auszusprechen.“

Doch das war nicht der Punkt, den die Linksfraktion für völlig weltfremd hält.

Denn die Stadt will mal wieder die Straßenmusiker irgendwie reglementieren: „Ebenfalls um eine neue Regelung ergänzt, wurden die Bestimmungen zur Straßenmusik (Paragraf 8 PolVO), von welcher keine Belästigung für Anlieger und Passanten ausgehen darf. Konkret beinhaltet dies auch, dass sie nach 30 Minuten mindestens 200 Meter weiter ziehen müssen. Besonders schützenswert sind Kirchen, Schulen, Krankenhäuser und Seniorenheime. Insbesondere Kirchen und Geschäftsinhaber hatten sich in der Vergangenheit über Störungen beschwert.“

„Es ist schon erstaunlich, auf welche Ideen die Stadtverwaltung so kommt, um das mediale Sommerloch zu füllen. Wieder einmal geht es um die Straßenmusiker“, wundert sich Sören Pellmann, der Vorsitzende der Linksfraktion im Leipziger Stadtrat. „Bereits im Dezember 2009 sollten in die Polizeiverordnung Beschränkungen für Straßenmusik aufgenommen werden. Der Stadtrat lehnte das Ansinnen damals ab. Ob die Stadtverwaltung hofft, dass die Sommerhitze vielleicht die Sinne der Ratsmitglieder trüben könnte, mag ihr Geheimnis bleiben.“

Die Linke war damals gegen jegliche Beschränkungen. „Daran hat sich bis heute nichts geändert. Eine Neuregelung wäre aus unserer Sicht nicht nur wenig sinnvoll, sondern zudem kaum zu kontrollieren. Vielmehr muss auch hier das Prinzip der Freiwilligkeit gelten. Aus unserer Sicht reichen die gegenwärtigen Regelungen in der gültigen Sondernutzungssatzung unserer Stadt völlig aus“, sagt Pellmann und erinnert an die Tatsache, dass weder Ordnungsamt noch Polizei genügend freie Mitarbeiter haben, die nun auch noch diese neuen Regeln in der Innenstadt kontrollieren können. Selbst der Versuch, Radfahrer zu kontrollieren, die durch die Fußgängerzone fahren, ist wegen reinen Personalmangels längst eingeschlafen. Kontrollen gibt es nur punktuell. Aber das macht keinen Sinn, wenn man Regeln wirklich dauerhaft durchsetzen will.

„Wir sollten doch eigentlich froh darüber sein, dass sich Leipzig den Ruf als Stadt der Straßenmusik erworben hat. Darum beneiden uns viele andere Großstädte. Anstatt am grünen Tisch Paragraphen zu drechseln, sollte sich die Stadtverwaltung vielleicht die Beobachtung des bekannten Liedermachers Gerhard Schöne verinnerlichen: ‚In Kleinstädten kennt man sie kaum, in Dörfern praktisch überhaupt nicht, in größeren Städten dagegen gehören Straßenmusiker zum alltäglichen Stadtbild. Wir begegnen ihnen überall dort, wo es viele Menschen hinzieht: In Fußgängerzonen, Einkaufspassagen, S- und U-Bahnen, Plätzen und Parks. Straßenmusik ist vielfältig und bunt, ebenso wie die Zuhörergruppen, die sich um einen Drehorgelspieler, eine Gesangsgruppe, einen Geigenvirtuosen oder eine Folkloregruppe bilden.‘ – Genau dieses innerstädtische Flair muss erhalten bleiben und bedarf daher keiner verschärften Neuregelungen.“

Begründet hatte das Ordnungsdezernat den neuerlichen Vorstoß mit zunehmenden Klagen der Händler in der Innenstadt: „Der Ergänzungsbedarf resultiert aus einer Zunahme an Beschwerden, vor allem von Geschäftsinhabern der Innenstadt (hier besonders von Gastronomen mit Freisitzbetrieb) und der Kirchen über Störungen während der Gottesdienste oder Veranstaltungen von Kirchenmusik. Beklagt wird, dass Straßenmusikanten längere Zeit am selben Ort in erheblicher Lautstärke und oft zweifelhafter musikalischer Qualität spielen, wobei mangels eines breiteren Repertoires Musikstücke häufig wiederholt werden. Die Straßenmusiker wählen dabei besonders stark frequentierte Standorte wie vor Geschäften, Freisitzen und in der Nähe von Kirchen sowie Sehenswürdigkeiten, wodurch die Belästigungen sich örtlich konzentrieren. Nicht  selten verlassen genervte Kunden bzw. Gäste die betroffenen Geschäfte und Gaststätten oder sehen bereits von einem Besuch ab. Nicht hinnehmbare Belästigungen und – für Gewerbetreibende – zudem wirtschaftliche Schäden durch Einnahmeverluste sollen so verhindert werden. Analog verhält es sich in Bezug auf Störungen an besonders schützenswerten Einrichtungen. Angesichts dessen galt es, mit der Neuregelung einen beiderseits akzeptablen Kompromiss zu finden, der diese widerstreitenden Interessen berücksichtigt, indem er die Möglichkeiten zur künstlerischen Entfaltung in diesem Bereich nicht über Gebühr beschränkt, gleichzeitig aber daraus resultierende Belästigungen für Dritte auf ein zumutbares Maß reduziert.“

So sollen zwar keine Verstärker verboten werden, aber ihre Leistung – unter Erlaubnisvorbehalt – auf 20 Watt begrenzt sein. Maximal eine halbe Stunde am selben Ort sollen das Übliche sein, dann mögen die Musikanten doch bitte wenigstens 200 Meter weiterziehen. Zwischen 13 und 15 Uhr soll Ruhe sein, damit sich die Büroarbeiter der Innenstadt beim Mittag mal ein bisschen erholen können, dasselbe gilt für die Zeit nach 20 Uhr.

Mit dem Änderungsantrag werden auch die neuen Regeln zu Lagerfeuern, zum Anbringen von Hausnummern und zum angeleinten Zurücklassen von Hunden z.B. vor Supermärkten neu gefasst.

Der komplette Änderungsantrag des Umweltdezernates.

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