Ist das Schönauer Viertel in Grünau eine Erfolgsgeschichte oder eher eine Verlegenheitslösung? Eine Frage, die wohl niemand so leicht beantworten kann, schon gar nicht im Jahr 2016. Denn ursprünglich war das Neubauviertel auf dem einstigen Kasernengelände in Grünau ganz anders gedacht - als Standort für mehrgeschossigen Wohnungsbau. Was seinerzeit einfach nicht funktionierte. Weshalb die LESG dann doch lieber Einfamilienhäuser ins Projekt setzte.
Am Donnerstag, 26. Mai, stellten Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau und LESG-Geschäftsführer Ralf-Dieter Claus ihr Resumé für Schönau vor. Natürlich passt es ganz gut ins Festprogramm von 40 Jahre Grünau.
Aber den Termin setzten sie auch an, um mitzuteilen, dass Schönau jetzt praktisch voll belegt ist. Claus: „Das Konzept der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme Schönauer Viertel hat sich als erfolgreich bewährt. Sämtliche Grundstücke sind verkauft bzw. reserviert.“
Insgesamt sind rund 52,4 Millionen Euro in die Entwicklung des Schönauer Viertels geflossen, die im Wesentlichen aus Fördermitteln und Erlösen des Grundstücksverkaufs refinanziert werden. Das Areal umfasst 279 Einfamilienhausgrundstücke, von denen 273 bereits veräußert sind. Dazu kommen 108 Reihen- und Doppelhäuser. Zudem entstanden Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 127 Wohnungen.
Die Arbeiterwohlfahrt hat außerdem 2006 bis 2008 an der Jenaer Straße zwei Altenpflegeheimgebäude errichtet, 2012 entstand eine integrative Kindertagesstätte, das „Montessori-Kinderhaus“, mit 165 Plätzen. Auch Gewerbe hat sich angesiedelt: Autohandel, Reifenhandel, Autowaschanlage und ein Kaufland-Markt. Im Zuge der Erschließung wurden mehr als sechs Kilometer Straße gebaut und die entsprechenden Medien – Leitungen für Strom, Wasser, Abwasser, Gas und Telekommunikation – verlegt.
Zu sehen ist nichts mehr davon, dass hier 70 Jahre lang Kasernengelände war.
In den 1930er-Jahren war das Schönauer Kasernengelände entstanden. Nach 1945 waren hier sowjetische und später GUS-Truppen stationiert. Als diese 1991 abzogen, hinterließen sie ein braches, mit Altlasten und Kampfmitteln kontaminiertes Areal. In den 1990er-Jahren entstand das Vorhaben, hier einen Wohnstandort mit gewerblichen und sozialen Einrichtungen zu entwickeln. 1994 beschloss der Stadtrat die Festlegung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs Leipzig West, ehemalige Kaserne Schönau. 1995 und 1996 wurde das Baufeld freigemacht, was außer Abriss vor allem Beseitigung von Altlasten und Kampfmitteln bedeutete. Darauf folgte die Erschließung.
Aber Dubrau und Claus erinnerten daran, dass der erste Versuch, das Gelände neu zu bebauen, nicht funktioniert hatte.
Das ursprüngliche Konzept, das sehr stark auf Geschosswohnungsbau setzte, ließ sich aufgrund der Marktbedingungen der späten 1990er-Jahre so nicht umsetzen, umschreibt die Stadt diesen Versuch, bei dem man sich daran erinnern darf, dass auch in den 1990er-Jahren die Stadt und der Stadtrat noch von einem Bevölkerungswachstum ausgingen. Sie rechneten nicht damit, dass Leipzig binnen weniger Jahre über 100.000 Einwohner verlieren würde – und zwar nicht nur an den deutschen Westen, wo Zehntausende einen neuen Job fanden, sondern auch ans Leipziger Umland, das seitdem zu Recht den Titel „Speckgürtel“ tragen darf. Denn während in Leipzig noch zäh darum gerungen wurde, die komplizierten Besitzverhältnisse zu klären und bis 1998 praktisch keine Sanierungstätigkeit in Gang kam, wurden jenseits der Leipziger Stadtgrenzen Dutzende neuer Wohngebiete aus den Feldern gestampft.
Die Idee, in Schönau nun selbst neuen Wohnungsbau hinzusetzten, kam viel zu spät. Und als man alles endlich beschlossen hatte, winkten die Bauträger nur ab: Die Zeiten waren vorbei.
Sodass Schönau dann in die erste Konsolidierungsphase der Stadt hineinrutschte: Statt auf Geschosswohnungsbau setzte sie ab der Jahrtausendwende auf den steigenden Bedarf an Eigenheimen. Also wurden in der Stadt Dutzende Baugebiete für Häuslebauer ausgewiesen und das Stadthäuser-Programm wurde promotet. In diesem Rahmen spielte Schönau dann eine Rolle. Es ist gut verkehrlich angebunden, auch wenn man zur Straßenbahn ein Stück laufen muss. Und wer sich hier eingekauft hat, der erlebt so ein bisschen Herr im eigenen Heim zu sein, wenn auch hübsch dicht auf Nachbarschaft. Viel Grün drumherum sorgt für eine relative Abgeschiedenheit.
Andererseits setzt der Pressetermin auch einen Punkt. Denn die Zeit der Eigenheimbauer im Stadtgebiet geht zu Ende. Eigentlich hat das Zeitalter des Geschosswohnungsbaus (wieder) begonnen. Dumm nur, dass sich die Baukosten seit den 1990er-Jahren fast verdoppelt haben und der Geschosswohnungsbau jetzt wieder klemmt. Jetzt ist der Bedarf da. Aber jetzt kann es kaum noch einer bezahlen.
Das, was jetzt in Schönau zum Abschluss kommt, ist das Ende einer Epoche, die sich Leipzig so nicht mehr leisten kann.
Rund 1.200 Menschen leben hier in Einfamilienhäusern, Reihen- und Doppelhäusern sowie in Miet- und Eigentumswohnungen inmitten der ansonsten großräumigen Architektur Grünaus. In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten hat es die stadteigene LESG – Gesellschaft der Stadt Leipzig zur Erschließung, Entwicklung und Sanierung von Baugebieten mbH als Treuhänderin zu einem attraktiven Wohngebiet entwickelt, was die LESG in den Augen von Stadtrat und Stadtverwaltung mittlerweile für ganz andere Bauvorhaben in großer Dimension qualifiziert – von Schulen bis zu Asylunterkünften.
Aber das Thema heißt wirklich: groß. Auch in Grünau, wo zumindest bei einigen Genossenschaften das Thema neuer Geschosswohnungsbau auf der Agenda steht.
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