Schleußig ist so eine Art Labor der künftigen Stadtraumentwicklung in Leipzig: Der Platz auf der Insel ist begrenzt. Einfach immer neue Stellplätze ausweisen für immer mehr Fahrzeuge, das ist unmöglich. Aber was macht man in so einem begrenzten Stadtraum, wenn viele Bürger nicht auf ihr Auto verzichten können oder wollen?
Seit 2005 hat das Thema die Schleußiger und die Stadtverwaltung beschäftigt. Mal gab es Untersuchungen, dann zaghafte Organisationsversuche. Dann wieder gingen die Händler auf die Barrikaden, die Stadt schreckte zurück, verfiel fünf Jahre lang in Schockstarre und wurde erst wieder aufgeschreckt, als alarmierende Berichte von Bewohnern des beliebten Gründerzeitquartiers die Sicherheitsfrage aufs Tapet brachten.
Damals reagierte die Stadt dann endlich mit verstärkten Kontrollen und neuen Park- und Einbahnstraßenregelungen. Das Ergebnis sieht zwar etwas geordneter aus – das Grundproblem aber ist nicht gelöst, stellt jetzt eine Stadtratsvorlage fest: “Die zunehmende Motorisierung einerseits und die im Straßenraum kaum noch erweiterbaren Stellflächen andererseits haben die Diskrepanz zwischen Parkraumnachfrage und Parkraumangebot weiter erhöht, obwohl durch das im Jahre 2013 durch die Stadt vorgeschlagene und im Gebiet westlich der Könneritzstraße umgesetzte Maßnahmenpaket punktuell Stellplätze geschaffen werden konnten.”
Der Untersuchungsbericht der LK Argus GmbH zum “Parkraumkonzept Leipzig Schleußig” bringt auf den Punkt, warum die Grenzen der Parkraumschaffung in Schleußig erreicht sind. Das wird auch deutlich, weil der Bericht drei unterschiedliche Planungsräume miteinander vergleichen kann: den Bereich um die Pistorisstraße, wo zwar rechnerisch 555 Kraftfahrzeuge auf 1.000 Einwohner kommen, der aber vor allem durch Villen und Einfamilienhäuser geprägt ist. Tatsächlich wohnen dort nur 418 Menschen mit 232 Autos. Die Straßen sind breit, viele Häuser haben sogar eigene Garagen. Ergebnis: Hier findet man tags wie nachts problemlos einen Parkplatz.
Dichter bebaut ist schon das Gebiet um die Rödelstraße. Hier kommen rechnerisch 357 Kfz auf 1.000 Einwohner. Die Straßen sind schmaler, das Wohngebiet ist durch Reihenhausbebauung geprägt. Ergebnis: Parkraum ist begrenzt, aber für die Anwohner ausreichend vorhanden. Fremdparken gibt es tagsüber trotzdem, denn wer drüben im Brockhausstraßenquartier keinen Parkplatz findet, weicht hierher aus.
Noch ganz anders sieht es im Gebiet um die Brockhausstraße aus, wo zwar rechnerisch nur 343 Kraftfahrzeuge auf 1.000 Einwohner kommen (Leipzig-Durchschnitt: 352), dafür prägt mehrgeschossige Gründerzeit das Gebiet, es gibt Läden und Gewerbe. Und die 343 Kfz auf 1.000 Einwohner bedeuten eben 2.576 zugelassene Kraftfahrzeuge – und die meisten davon im Straßenraum. Und zwar vor allem in jenen Zeiten, in denen alle Einwohner zu Hause sind. Die Fremdparker wurden von Argus vor allem tagsüber registriert, wenn ein Teil der Anwohnerfahrzeuge unterwegs war und entsprechend wieder freier Parkraum vorhanden.
Tatsächlich hat die Argus-Untersuchung deutlich gemacht, was eigentlich der sogenannte “ruhende Verkehr” ist, der vor allem aus Fahrzeugen besteht, die in der Regel nicht täglich gebraucht werden. Ein Phänomen, das auch längst schon in anderen Stadtteilen in derselben Geballtheit zu beobachten ist: In den Morgenstunden, wenn die Erwerbstätigen zur Arbeit aufgebrochen sind, bleiben trotzdem nur wenige Parklücken in den Wohngebieten zurück.
Für Schleußig gibt es jetzt sogar stundengenaue Erhebungen. Und die sind schon erstaunlich: Selbst werktags, wenn man doch eigentlich annimmt, dass die meisten Leute auf der Arbeit sind, sinkt die Parkraumbelegung im Bereich der Brockhausstraße nie unter 87 Prozent. Von insgesamt 1.595 verfügbaren Parkplätzen im Straßenraum sind immer fast 1.400 belegt. Im Bereich Rödelstraße gibt es denselben Effekt.
Die Untersucher von Argus waren auch in der Nacht unterwegs und haben dann eine Parkraumbelegung von satten 116 Prozent ermittelt – auf 1.600 tatsächlich existierenden Parkplätzen stehen dann rund 1.850 Autos. Natürlich stehen sie dann nicht mehr auf den Parkplätzen, sondern wieder auf Kreuzungen und Gehwegen. Aber die Zählung macht auch deutlich, vor welchem Problem die Erwerbstätigen, die erst spät von der Arbeit kommen, in Schleußig stehen: Sie finden jedes Mal ein zugeparktes Viertel vor.
Und die durchaus berechtigte Frage ist: Wer parkt da eigentlich die ganze Zeit? Denn in den Morgenstunden bis etwa 9 Uhr verlassen ja die meisten Erwerbstätigen das Quartier – von den 1.850 eindeutig den Anwohnern zurechenbaren Autos verschwinden rund 900 aus dem Straßenraum. Rund 450 Parkplätze werden im Laufe des Tages dann wieder von Kurz- und Langzeitparkern besetzt, die entweder in Schleußig arbeiten oder hier kurz etwas zu erledigen haben. Diese Fremdparker verschwinden dann in den Abendstunden wieder aus Schleußig und in der Nacht sind dann die Parkplätze nur noch von Anwohnern besetzt. Und überbesetzt.
Aber ein echtes Thema sind tatsächlich jene Anwohner, die ihr Auto praktisch nur selten bewegen und den Parkplatz vorm Haus auch in der Woche dauerhaft belegen. Und die Zahl ist durchaus bedenkenswert, denn über 900 Kraftfahrzeuge blockieren dauerhaft den Großteil der rund 600 verfügbaren Parkplätze. Das sind fast 60 Prozent des verfügbaren Parkraums. Verständlich, dass die Diskussionen in Schleußig immer wieder hochkochten, denn die eigentlichen Probleme, einen Parkplatz zu finden, haben ja augenscheinlich die Erwerbstätigen, die tagsüber unterwegs sind und abends auf ein völlig zugeparktes Viertel treffen.
Natürlich kann man Vermutungen anstellen über all die Leute, die das Auto nur selten benutzen und damit wertvollen Parkraum dauerhaft zuparken. Das müssen nicht nur Rentner sein. Das können auch Leute sein, die sich einen Großteil des Alltags schon umweltfreundlich mit Fahrrad und Straßenbahn organisiert haben – aber trotzdem immer wieder ein Kraftfahrzeug brauchen.
Schleußig zeigt tatsächlich, dass es für die autoaffine Stadt des 20. Jahrhunderts echte Kapazitätsgrenzen gibt. Als mögliche Lösung wurde in den vergangenen zwei Jahren der Bau eines Parkhauses diskutiert. Doch hier tut sich die Stadt schwer, denn um so ein Parkhaus zu bauen, müsste man Geld aus der Stellplatzablösegebühr bereitstellen. Aber statt wirklich den stadtweiten Topf dafür zu nutzen, will man nur Stellplatzablöse aus dem direkten Umfeld einsetzen – und das reicht logischerweise nicht. Die Einschätzung der Stadt: “Die Überprüfung ergab, dass die hier zu vergebenden möglichen Finanzierungszuschüsse aufgrund der in der Stellplatzablösesatzung der Stadt Leipzig für Schleußig festgelegten maßgeblichen Zone zu gering ausfallen. – Der im Umfeld der möglichen Stellplatzanlage nur in den kritischen Belegungszeiten der Abend- und Nachtstunden bestehende hohe Parkdruck resultiert fast ausschließlich aus der Stellplatznachfrage der Bewohner. Die Konkurrenz unterschiedlicher Nutzergruppen (beispielsweise Bewohner, Kunden und Beschäftigte) fehlt. Da unter Berücksichtigung dieser Maßgaben eine wirtschaftliche Umsetzung und Betreibung der Anlage nicht zu erwarten ist, wird von einer möglichen Bezuschussung der Maßnahme durch die Stadt abgesehen.”
Ein Parkhaus würde 1,3 Millionen Euro kosten, eine mögliche Tiefgarage 1,5 Millionen Euro.
Die Stadt rechnet also nicht damit, dass Schleußiger bereit wären, für einen Dauerstellplatz in so einer Parkeinrichtung Geld zu bezahlen. (Die SPD-Fraktion hat eine Prüfung trotzdem beantragt.)
Ebenso erweist sich die Parkraumbewirtschaftung als nicht nutzbares Mittel, denn die Parkplatznutzung durch Fremdparker tagsüber führt ja nicht zu Konflikten. Die treten erst in den Abendstunden auf, wenn die tagsüber Mobilen zurückkommen und keine Stellplätze mehr frei finden.
Auch reines Bewohnerparken sei nicht möglich, stellt die Stadt fest. Tatsächlich steht genau das Ergebnis, das auch schon 2008 und 2013 klar war: Die Lösung kann nur in einem veränderten Mobilitätsverhalten der Anwohner liegen – in der verstärkten Nutzung des Umweltverbundes (Straßenbahn, Bus, Fahrrad) und einer stärkeren Nutzung von Carsharing gerade dann, wenn das Auto nun einmal nur selten gebraucht wird. Dafür entstehen an der Könneritzstraße drei Mobilitätsstationen.
Die Chance, eine weitere Straßenbahnhaltestelle beim Umbau der Könneritzstraße zu schaffen (wie von der SPD-Fraktion vorgeschlagen) haben die Planer des Projekts freilich abgelehnt.
Die Argus-Untersuchung und die Überlegungen der Stadt gehen jetzt erst einmal als Informationsvorlage an den Stadtrat.
Tipp: Mehr zum Thema findet man übrigens in der “Leipziger Zeitung”, Ausgabe 21 vom 16. Oktober.
Es gibt 3 Kommentare
Ja, Ursula, bei L-IZ und bei der LZ sitzen zwar Leute, die mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen, aber die haben nicht unbedingt wirklich Ahnung vom staedtischen OePNV. Lizzy hat jedenfalls keine, wie ich immer feststellen muss.
Der Fahrradfahrer benutzt ja nur die S-Bahn, aber nicht die Trams und die Busse. Und umsteigen muss er eigentlich auch nie, Anfangs- und Endstuecke seiner Reise radelt er ja selbst ab.
In der Koe gabs mal vier Haltestellen. Will heute auch keiner von den LVB wissen. Gut, eine Hst Schnorrstrasse ist immerhin im Gespraech…
Warum ein reines Anwohnerparken nicht möglich sein soll, habe ich auch nicht verstanden. Und eine vernünftige Begründung will niemand dazu abzugeben. In der Leipziger Zeitung war im Artikel zum Thema vom 16.10.2015 von “in guter Qualität vorhandenen Angebote der öffentlichen Verkehrsmittel” geschrieben. Unter guter Qualität verstehe ich allerdings etwas anderes, als das, was hier in Schleußig geboten wird. Und damit meine ich nicht die Einschränkungen, die jetzt während der Bauarbeiten auf der Könneritzstraße notwendig sind. Vermutlich ist der Autor des Artikels nicht auf die gute Qualität angewiesen, sonst hätte er dies nicht so geschrieben.
Vielen Dank für den super Bericht! Vor allem die stundengenaue Erhebung beeindruckt mich.
Man erinnere sich, dass das Krawallblatt im Peterssteinweg sogar mal propagiert hat, die als “überbreit” abgewerteten Fußwege der Brockhausstraße zu halbieren, um Stellfläche freizumachen (geordnetes Parken in 2. Reihe oder so, wie auch immer). Falls die Anwohner in Schleußig noch heute davon träumen sollten: Der halbierte Fußweg wird nachher mit Sicherheit nicht genauso schön, sondern schnöde mit Betonsteinen parkettiert werden, und dann können Sie auch in einen anderen Stadtteil ziehen, weil das Flair weg ist. Nicht umsonst hat Karl Heine diese Straße als Prachtstraße angelegt.
>Auch reines Bewohnerparken sei nicht möglich, stellt die Stadt fest.
DAS würde mich mal sehr interessieren, warum das “nicht möglich” ist. Von der Verkehrsbehörde habe ich dazu nie eine Begründung erfahren. Außer, dass das “nicht so einfach” sei, ohne hier aber die konkreten Schwierigkeiten, die ja rechtlich vorliegen könnten und mich auch sehr interessieren würden, explizit zu machen. (Narrenbehörde eben, die die Bürger für dumm verkauft.)
In zivilisierten Großstädten ist Anwohnerparken seit Jahrzehnten gang und gäbe, und in Leipzig hätte man viel früher (schon in den 1990ern) damit anfangen müssen. Aber Leipzig will ja Autostadt sein.