Still ruht die Stadt, still ruhen die Brachflächen. Wenn da draußen nicht ein paar Immobilienentwickler und Architekten wären, die einfach was tun wollen in einem Leipzig, das unaufhörlich wächst, im Rathaus würden einige Ämter gar nicht mehr aus ihrem Schlaf erwachen. Seit Jahren gärt die Diskussion um die Bebauung des Markthallenviertels. Am Matthäikirchhof fragt die Linke nach. Aber auch an der Jablonowskistraße gähnt eine städtische Brache, hat Thomas Hille festgestellt.
Jablonowskistraße – das ist den meisten Leipzigern kein Begriff. Kein Haus, kein Amt, keine Firma haben dort eine Hausnummer. Hier hat der 2. Weltkrieg tabula rasa gemacht. Bis 1944 stand hier – zwischen Brüder- und Leplaystraße – dichte Blockbebauung. Auf dem Teil zwischen Grünewaldstraße (damals Kurprinzstraße) und Jablonowksistraße genauso wie zwischen Jablonowskistraße und Turnerstraße. Die Turnerstraße existiert heute nur noch als Fußweg neben der Sporthalle Brüderstraße. Da braucht es schon den Blick des Architekten, um zu sehen, was die Stadt Leipzig hier einfach liegen lässt, obwohl es ihr gehört. Und den Stadträten erzählt eine überforderte Verwaltung dann etwas von fehlenden Flächen für strategische Planungen.
Der Architekt, der hier über das Nicht-Sichtbare stolperte, ist Thomas Hille.
Der gebürtige Mecklenburger studierte in Dresden und Stuttgart Architektur, bevor er in Stralsund, Dresden und Frankfurt arbeitete. Nach 12 Jahren in der Mainmetropole zog es ihn 2014 zurück in die Heimatstadt seiner Frau, wo er seit einem Jahr im Büro klm Architekten die Entwurfsabteilung leitet.
“Neben prominenten Grundstücken wie dem Burgplatz, dem Leuschnerplatz oder dem Matthäikirchhof gibt es viele weniger bekannte Brachflächen in Leipzig, welche jedoch die gleichen Chancen bieten für die Stadtentwicklung der nächsten Jahre”, stellt er fest. Und macht eigentlich die Arbeit, die man vom Liegenschaftsamt der Stadt Leipzig erwarten könnte: All jene Brachen im Herzen der Stadt zu erfassen, die der Stadt gehören und die sich geradezu anbieten für die Entwicklung wichtiger städtischer Projekte.
Leipzig steckt voller Potenziale. Brachen und Lücken klaffen mitten im Stadtinneren. Oft sind einfach nur Parkplätze draufgesetzt, Wiesen angelegt. Selbst Investoren fassen sich mittlerweile an den Kopf: Warum macht die Stadt nichts aus diesen Lücken, die in Wirklichkeit genau die Potenziale sind, über deren Fehlen die Stadtverwaltung lauthals jammert?
Vieles davon war bis zu den Bombennächten 1943/1945 dicht bebaut. Das scheint völlig vergessen. Auf dichtem Terrain lebten vor 80 Jahren über 700.000 Menschen, mehr als 200.000 mehr als heute. Selbst deutlich mehr Schulen hatten darin ihren Platz. Gäbe es einen konsequenten Willen, die Potenziale auch zu nutzen, Leipzig würde nicht hilflos über fehlende Platzangebote jammern.
Diese Plätze aufzuzeigen, die verdeckten Potentiale in die Diskussion und den Dialog zu bringen, ist für Hille selbstgestellte Aufgabe – nicht nur für die Jablonowskistraße will er seine Ideen vorstellen.
Und es ist mit der Wiese an der Jablonowskistraße wie mit all den Grünflächen, auf die der Berliner Feuilletonist Heinz Knobloch in DDR-Zeiten immer so beharrlich aufmerksam machte: Misstraut den Grünflächen. Sie waren nicht immer da.
Bei seinen Erkundungstouren durch Leipzig stieß der 48-jährige Architekt Thomas Hille gegenüber dem Leuschnerplatz auf eine irgendwie völlig in Vergessenheit geratene innerstädtische Kriegslücke. Zwischen Brüderstraße und Leplaystraße wurde 1943 der Stadtgrundriss durch Bombenangriffe verändert. Der ursprünglich dicht bebaute innere Block ist heute nicht mehr vorhanden. Zwei überhöhte Gebäude der Nachkriegszeit bilden an den jeweiligen Blockecken zur Grünewaldstraße ein Art Tor zu dem namenlosen Stadtgarten – der unter dem neuen Namen “Leplayplatz” Profil gewinnen könnte, so Hille. (Die Grünen hatten hier vor kurzem den Namen Addis-Abeba-Platz vorgeschlagen). Trampelpfade, Spontanvegetation und die wellblechverkleidete Wand der Turnhalle tragen allerdings dazu bei, dass das Potential dieses Ortes verborgen bleibt. Der “Leplayplatz” wird zum Durchgangsraum ohne Verweilqualitäten weil er in Restflächen ausfranst.
“Das ganze Quartier kann in ungeahnter Weise aufgewertet werden, wenn der Block zwischen Leplaystraße/Brüderstraße von Norden nach Süden und Jablonowskistraße/Turnerstraße von Westen nach Osten neu gebaut wird. Am Ende der West-Ost-Achse könnte ein prominentes Gebäude – zum Beispiel ein Hotel oder ein öffentliches Gebäude – die fehlende Raumkante zum Park bilden”, erklärt Thomas Hille, der mit den klm Architekten im Januar den Fassadenwettbewerb für das neue Hampton by Hilton in Dresden gewann.
Es könnte auch eine der Schulen hin, deren Fehlen in der Stadtmitte die Stadt so sehr beklagt. Ruhiger könnte ein Schulgebäude in der Stadtmitte kaum liegen.
Die 6.700 Quadratmeter große Brache zwischen Brüderstraße/Leplaystraße und Jablonowskistraße hat eine echte Perspektive. Wenn denn die Stadtplaner hier wirklich einmal tätig werden.
“Ich fühle mich dieser Stadt verbunden und will Gedanken anstoßen, wie Leipzig seine Citybrachen stadtarchitektonisch weiter aufwerten kann”, erklärt Hille seinen Bebauungsentwurf.
Und wo die Stadt schläft, sind andere längst munter: Mögliche Investoren signalisierten bereits ihr Interesse, vielleicht sogar zusammen mit der Stadt als Grundstückseigentümerin eine Entwicklung zu befördern. Hilles Konzept sieht eine Blockbebauung aus straßenbegleitenden Einzelhäusern mit Wohnungen und Gewerbe vor. Ein hervorgehobener Sonderbau entlang der Jablonowskistraße bildet mit seinen sieben Geschossen die Platzkante für den vorhandenen Stadtgarten. Als Nutzung biete sich, so Hille, natürlich ein städtisches Verwaltungsgebäude, ein Hotel oder ein Seniorenwohnheim an. Oder eben eine Schule.
“Dieses Gebäude muss sich dem Stadtgarten unterordnen und ist deshalb in seiner Erscheinung klassisch zurückhaltend, unterliegt keiner modischen Kurzlebigkeit. Moden ändern sich und zurück bleibt das Sakko mit ausgestellten Schulterpolstern. Gebäude müssen Zeiten und Geschmäcker überdauern, müssen altern können ohne zu klappern und auszubleichen”, erklärt Thomas Hille den Entwurf, den er einfach schon mal angefertigt hat, um zu zeigen, was hier möglich ist.
Die Wohnbebauung aus seiner Sicht: Neben der klassischen Familienwohnung kann Hille sich hier Wohnungen für Altenbetreuung, kleine Wohnungen für Studenten und Berufsstarter und Wohngruppen vorstellen. (Ganz nebenbei beginnt ja jetzt in Sachsen die heftige Diskussion über fehlende Wohnheimplätze für Studierende.) Urbanes Leben könne erreicht werden, weil in Hilles Vision in den Erdgeschossen die öffentlichen Nutzungen der benachbarten Gebäude fortgesetzt werden. Dort seien Räumlichkeiten für Tagesbetreuung, Dienstleistungen, Arztpraxen und gastronomische Einrichtungen möglich. Der Verlauf der Brüderstraße wird von ihm oberhalb der Kindertagesstätte parallel zur Blockkante verlegt, so dass die KITA keine Restfläche, sondern eine große Freifläche als Spielplatz bekommt.
Und was das städtische dominierende Gebäude an der Jablonowskistraße betrifft: Ein siebenstöckiger klassischer Bau bildet bei ihm die Kante des Stadtgartens bzw. “Leplayplatzes” – und gleichzeitig die der Wohnbebauung. So werde die Freifläche ein richtiger Platz mit Verweilqualität. Seine Nutzungsmöglichkeiten seien vielfältig. Möglich wären ein Hotel, ein Verwaltungsgebäude oder ein anderer öffentlicher Bau.
Für die Zukunft plant Thomas Hille das Projekt “Chancen für Leipzig” fortzuführen und mit seinen Entwürfen weitere Ideen zur Belebung von Leipzigs Citybrachen anzustoßen.
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