Es war Prof. Dr. Dr. Martin Socher, Referatsleiter im Sächsischen Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft, der beim Auwald-Forum am 10. Juli die mahnenden Worte sprach: "Dies sollte man sachlich diskutieren. Ziel sollte es sein, in der Stadt Leipzig gemeinsam weiter schrittweise mit machbaren Projekten für Auwaldökologie voranzukommen, ohne die Hochwasserschutzanforderungen zu konterkarieren."

Umso erstaunlicher waren nicht nur während des Forums die scharfen Angriffe auf den vom Ökolöwen entsandten Holger Seidemann. Es geht ja in den Kommentaren unter den Artikeln der L-IZ zum Auwald-Forum munter weiter. Und Olaf Maruhn hat wohl recht, wenn er vermutet, dass hier amtliche Verantwortungsträger sich austoben, als wären sie erzürnte Bürger. Als wäre amtliches Walten über jede Kritik und jede Diskussion erhaben.

Doch so reagieren Verantwortliche, wenn sie selbst nicht transparent arbeiten und schon gar keine Hausaufgaben gemacht haben.

Was vor dem Auwaldforum galt, gilt auch hinterher: Das zuständige Umweltdezernat hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Und genau so hat es sich am 10. Juli präsentiert: Ohne gemachte Hausaufgaben – und in einer Verteidigungshaltung, mit der kein gemeinsames Gespräch möglich ist. Wenn Leipzigs Verwaltung wirklich so arbeiten will, ist genau das die Folge, was man immer kurz vor Wahlen so gern bejammert: Politikverdruss bei den Wählern.

Dass da etwas schief läuft im Leipziger Auwald, das haben CDU und SPD im Herbst sehr wohl erkannt, als sie mit einem Antrag den Neubau des Nahleauslasswerks stoppen wollten. Denn so ein 3-Millionen-Euro-Bauwerk erneuert man nur, wenn es von allen akzeptierte und abgestimmte Pläne für ein integriertes Hochwasserschutzkonzept in der Aue gibt. Von Seiten Leipzigs gibt es dazu aber nichts. Man hat seit 2004, als das Hochwasserschutzkonzept für die Weiße Elster entwickelt wurde, die Hände in den Schoß gelegt und die ganze Zeit abgewartet, was die Landerstalsperrenverwaltung (LTV) nun macht.

Dass die LTV irgendwann unter Zugzwang kommt, wenn sich die Fachdezernate in Leipzig nicht rühren, ist begreiflich. Denn die LTV hat den klaren Auftrag, den Hochwasserschutz in Leipzig zu sichern. Und wenn Leipzig – obwohl es 2004 eine Wiedervernässung der Auen favorisierte – nichts vorlegt, kommt es zu dem, was die Leipziger dann 2011, 2012 und 2013 erlebten: Die LTV stellte konsequenterweise Bauanträge für technische Schutzanlagen. Und das Leipziger Umweltamt genehmigte.

Scheinbar teilweise sogar in Panikstimmung, denn manche dieser Anträge untermauerte die LTV mit dem Hinweis: Ansonsten übernimmt Leipzig die Verantwortung im Hochwasserfall.

Aber wer will schon Verantwortung übernehmen?Auch das ist ein Grund dafür, warum das Umweltdezernat am 10. Juli ohne gemachte Hausaufgaben beim Auwald-Forum im Neuen Rathaus auftauchte. Die Hausaufgabe war im Stadtratsbeschluss vom März eindeutig unter Punkt 3 formuliert: “Zur Vorbereitung des Symposiums erarbeitet die Stadtverwaltung eine fundierte Stellungnahme, wie für die Nordwestaue häufige ökologische und dynamische Flutungen umgesetzt und in das Projekt ‘Lebendige Luppe’ integriert werden können. Diese geht dem Fachausschuss Umwelt und Ordnung und den Referenten aus Wissenschaft, Behörden und Umweltvereinen rechtzeitig vor dem Symposium zu.”

Diese ist weder dem Fachausschuss noch den Referenten zugegangen. Damit fehlte dem Auwald-Forum praktisch jede Arbeitsgrundlage. Trotzdem gaben sich die eingeladenen Referenten alle Mühe, ihre Positionen zu erläutern. Ulrich Detering, der über das Gewässernaturierungsprogramm in der Lippe-Aue berichtete, begeisterte das Publikum regelrecht mit seinem Vortrag. An der Lippe kann, wer will, sehen, wie ein wieder naturierter Fluss aussieht und wie der Fluss in seiner Aue mit den Hochwassern umgeht.

Dem genügt das, was die Stadt Leipzig im Projekt “Lebendige Luppe” vor hat, nicht im geringsten. Das wurde schon beim zweiten Vortrag deutlich, den Mathias Scholz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Umweltforschungszentrum (UFZ), hielt. Er begleitet das Projekt “Lebendige Luppe” wissenschaftlich. Und er erwähnte in seinem Vortrag nicht ohne Grund die letzte Natura-2000-Berichterstattung zu den Hartholz-Auenwäldern im Leipziger Auensystem. 2009 bekamen sie nur die Einstufung B: “ungünstig / unzureichend”. Klare Aussage: dem Leipziger Auwald geht es schlecht.

Was fehlt, so Scholz, ist die typische Auendynamik “zwischen Überflutung und Trockenfallen”. Das hat nichts mit dem zu tun, was einige Redner am 10. Juli als “dynamische Aue” anpriesen. Weder gesteuerte Polder noch die Wiedervernässung einiger Altarme stellen die ursprüngliche Auendynamik wieder her. Dabei werden in der Regel nur 10 bis 20 Prozent der Aue wiedervernässt. Das ist deutlich zu wenig. Auch das betonte Scholz. Um die auentypischen Verhältnisse in Leipzig wieder herzustellen (was Scholz für unabdingbar hält), “ist es notwendig, die auentypische Hydrodynamik auf großen Flächen zu reaktivieren, indem mehr Wasser in die Aue gebracht wird.”

Das ist die Basis, auf der der Ökolöwe in Zusammenarbeit mit Fachleuten verschiedenster Disziplinen seine Visionen für eine lebendige Aue vorgetragen hat.

Über Holger Seidemanns Vortrag und die Reaktion der Stadtverwaltung haben wir schon berichtet.

Dass das von der Stadt vorangetriebene Projekt “Lebendige Luppe” mit einer solchen großflächigen Flutung nichts zu tun hat, wurde im Vortrag von Jens Riedel aus dem Amt für Stadtgrün und Gewässer, deutlich. Er sagte es recht klar. Er sprach zwar von “auentypischen Prozessen”. Aber die Prozesse, die er dann beschrieb, sind nur ein Teil der sonstigen Auendynamik: “Mittel zur Zielerreichung ist die Zuleitung von Wasser in das Gebiet. Hierzu soll ein Fließgewässer durch Kopplung der Altlaufstrukturen mit wenigen Neubauabschnitten hergestellt werden, das permanent Wasser in und durch die Aue leitet.”

Das ist dann quasi ein Wasserschlauch, der aus dem Vorflutersystem von Kleiner Luppe / Nahle über den Burgauenbach durch die Burgaue gelegt wird.Was es nicht ist, ist die gewünschte Auendynamik, die nur dadurch entsteht, dass man die Hochwasser in die Aue lässt. Es ist keine Wiederherstellung der typischen Auwaldprozesse. Stattdessen ist die Stadt Leipzig höchst besorgt, den Hochwasserschutz im Polder Burgaue zu gewährleisten. Alternativen für die technischen Bauwerke der Landestalsperrenverwaltung? Keine.

Die Rückverlegung der linken Luppedeiche wäre so eine Alternative. Damit wäre auch der Komplettverzicht auf das Nahleauslassbauwerk möglich gewesen. Und eine Menge Geld gespart.

Aber in Leipzigs Stadtverwaltung ist man geradezu vernarrt in die Variante, wie sie in den 1930er Jahren in der Nordwestaue gebaut wurde. “Das Hochwasser wird konsequent in einem Strang durch die Stadt hindurchgeführt”, sagte Dietmar Richter, Leiter der Leipziger Wasserbehörde, bei seinem kurzen Sprung ans Mikrofon. Hat nur noch das Basta gefehlt.

Dass sich die Neue Luppe als dieser Strang immer tiefer ins Gelände fräst, ist ein nicht ganz unwichtiges Detail an diesem nun seit 80 Jahren gepflegten Regime. Denn dadurch sinkt auch der Grundwasserspiegel im angrenzenden Auwald. Einer der Gründe übrigens, warum die Landestalsperrenverwaltung nun in der Elster-Luppe-Aue eine “Bespannung” einbauen will: mit der Einleitung einiger Hochwasser in einige Altarme westlich von Lützschena, um ein bisschen Wasser in die Aue und ins Grundwasser zu bekommen.

Der ganze Wasserhaushalt in der Aue ist aus dem Lot.

Dass die Diskussion nicht leicht ist, das sieht auch Prof. Dr. Martin Socher so. Es stehen sich zwei Philosophien gegenüber, die sich nur scheinbar ausschließen: das “faktisch vorhandene System vollständig begradigter, deichbegrenzter und tiefer gelegter Gewässer, einschließlich Regulierungsbauwerken und dem nicht zur Disposition stehenden Elsterbecken”, dazu all die Bauwerke, die seitdem in die Aue gesetzt wurden. Und auf der anderen Seite die “wünschenswerte Vision von einer großräumigen Umgestaltung der Elster-Luppe-Aue in einen vollständig renaturierten Gewässer-Auwald-Lebensraum”.

Und mit dem Projekt “Lebendige Luppe” hat sich Leipzig offiziell zur Renaturierung der Aue bekannt.

Doch die Stadt tut weiter so, als könne sie die Aue wiedervernässen, ohne das Hochwasserregime zu ändern.

Und genau darauf zielte am Ende der geänderte Antrag von SPD und CDU: “In Erwartung, dass es weiterhin der Synchronisierung von Maßnahmen des Hochwasser- und Naturschutzes bedarf, soll in den Folgejahren ein solches Symposium in die Naturschutzwoche integriert werden. Zur Vorbereitung dessen bedient man sich des Naturschutzbeirates, der dazu um weitere erforderliche Experten zu ergänzen ist.”

Und genauso mahnte es auch Socher an: eine sachliche Diskussion über Vorteile und Nachteile, über gangbare Wege, die Abstimmung von Arbeitsschritten.

Und eine Wahrheit in diesem Prozess ist auch: Es ist nicht die Landestalsperrenverwaltung, die Projekten einer gefluteten Aue nicht unbedingt entgegen steht. Dafür spricht eindeutig das, was sie im Ratsholz vor hat.

Dazu morgen mehr an dieser Stelle.

Der Beschluss des Stadtrates: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/37442323B8E75CA2C1257CB4004B2806/$FILE/V-a-475-nf-1.pdf

Korrektur, 16. Juli: In einer früheren Variante wurde noch Inge Kunath, Leiterin des Amtes für Stadtgrün und Gewässer, als Vortragsrednerin genannt. Doch sie hatte sich zum Auwald-Forum entschuldigen lassen. Den Vortrag zum Projekt “Lebendige Luppe” hielt Jens Riedel. Ein Fehler, den wir zu entschuldigen bitten. Bei diesem Vortrag mussten wir uns auf das bereitgestellte Material zum Auwald-Forum verlassen, da wir nicht alle Vorträge anhören konnten.

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