Und weiter geht's in der Eisvogel-Debatte. Oder: Wer nicht transparent arbeitet, muss tricksen. Und beim Floßgraben wird getrickst was das Zeug hält. Hätte nicht der brütende Eisvogel 2013 die Wassersportbetriebe im Floßgraben ausgebremst, hätte es eigentlich ein Gutachten tun müssen, das die Ecosystem Saxonia Gesellschaft für Umweltsysteme erarbeitet hat und das dem Amt für Stadtgrün und Gewässer seit August 2013 vorliegt: Der Zustand des Floßgrabens hat sich verschlechtert. Schon 2011.

Schon kurz nach Freigabe des “Kurs 1” durch den Floßgraben zum Cospudener See hat sich die Bewertung des ökologischen Zustands des Floßgrabens von der Note 3 auf Note 5 verschlechtert. “Die schlechte Bewertung des ökologischen Zustandes des Floßgrabens (Bewertungstufe 5) beruht primär auf dem als schlecht eingestuften Zustand des Makrozoobenthos”, heißt es im Gutachten. “Untersuchungen von 2010 ergaben für das Makrozoobenthos einen mäßigen Zustand (Bewertungstufe 3). Dadurch wird der unbefriedigende Zustand der Fischbiozönose (Bewertungstufe 4) für die aktuelle Bewertung maßgebend. Der chemische Zustand wurde mit 2 (gut) angegeben.”

Unter Makrozoobenthos werden die größeren tierischen Organismen erfasst. Wikipedia dazu: “Das Benthos … ist die Gesamtheit aller in der Bodenzone eines Gewässers, dem Benthal, vorkommenden Lebewesen.”

Aber dass der Floßgraben ein sensibles Gewässer ist, das wusste man auch im Leipziger Umweltdezernat schon 2005/2007, als das so genannte “Wassertouristische Nutzungskonzept” (WTNK) erarbeitet wurde. Experten empfahlen schon damals ein jährliches Monitoring für den Floßgraben. Sie hätten auch dessen Veröffentlichung anmahnen sollen. Denn ohne diese Grundkenntnisse läuft die Diskussion um den Eisvogel und die Schonung des Floßgrabens immer wieder heillos in die Irre.

Wer mag, findet im Gutachten schnell das Wort Restriktionen. Die kommen nicht von irgendwo her. Sie haben damit zu tun, dass der südliche Auenwald ein Naturschutzgebiet ist. Das glaubt man zwar nicht unbedingt, wenn man sieht, wie einige Zeitgenossen im Leipziger Auwald hausen. Es ist nun aber so.

Die Städte Leipzig und Markkleeberg müssen die Regeln aber beachten. Auch bei der Unterhaltung des Floßgrabens, der nun – drei Jahre nach seiner Inbetriebnahme – wieder zu verschlammen droht.

“Bei der Durchführung von Maßnahmen zur Gewässerunterhaltung und Entwicklung sind im Floßgraben die Schutzanforderungen des LSG Leipziger Auwald, der Natura 2000-Schutzgebiete (FFH-Gebiet ‘Leipziger Auensystem’; SPA-Gebiet ‘Leipziger Auwald’) sowie des gesetzlichen Biotopschutzes zu beachten”, heißt es im Gutachten. “Vorrangig ist in diesem Zusammenhang die Habitatfunktion, die der Floßgraben für den Eisvogel als Art der Gebietserhaltungsziele hat, zu beachten. Gewässerpflege- und Entwicklungsmaßnahmen dürfen nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen für die Art führen, wobei der Bewertungsrahmen der Erhaltungszustand der Population im gesamten Schutzgebiet ist. Dieser darf sich nicht verschlechtern.”

Aber was hat es dann mit den Forderungen der Bootsverleiher in ihrem “Offenen Brief” vom 29. März nach einer Umsiedlung auf sich, die Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal am Dienstag, 8. April, in einem LVZ-Beitrag so euphorisch aufgriff?

“Zugleich erklärte der Bürgermeister, die Behörden würden mit Hilfe der Gutachten jetzt ‘unter anderem auch’ prüfen, ob sich die streng geschützten Vögel in andere Bereiche des südlichen Auenwalds umsiedeln lassen. Dies werde ‘sehr ernsthaft’ untersucht, um dauerhaft Sicherheit für die Entwicklung des Leipziger Neuseenlandes zu erreichen. ‘Die Entscheidung ist noch nicht gefallen’, betonte Rosenthal. Es reiche in dem Fall zum Beispiel nicht aus, durch den Bau künstlicher Brutröhren andere Angebote zu schaffen. Sie müssten auch tatsächlich vom Eisvogel angenommen werden. Juristisch sei das unter bestimmten Voraussetzungen denkbar”, stand da zu lesen.

Im Gutachten findet man zwei Maßnahmen, die am Floßgraben nötig werden. Das eine ist die nötige Entschlammung und Beräumung des Grabens, den einige Zeitgenossen auch wieder als Müllhalde benutzen. Das wird mit rund 116.000 Euro zu Buche schlagen.

Das andere Projekt liest sich im Gutachten so: “Im Bereich der Mäanderschlinge am Wolfswinkel soll eine Habitatsicherung für wertvolle Arten durch Anlage eines Nebengewässers erfolgen. Ziel ist die Verringerung/Vermeidung des touristischen Nutzungsdrucks auf geschützte Arten, wie den Eisvogel und den Fischotter. Das geplante Nebengewässer soll für die Befahrung von Wasserfahrzeugen gesperrt werden. Das Wassermanagement ist so anzupassen, dass der überwiegende Abfluss durch den bestehenden Mäander erfolgt. Damit wird dessen Verlandung vermieden. Die touristische Durchgängigkeit des Floßgrabens ist über den Mäander sicherzustellen.”

Bei diesem Mäander handelt es sich um eine alte Gewässerschlinge der Batschke, in deren Verlauf der Floßgraben liegt. Auf alten Karten von 1825 ist diese Gewässerschlinge noch zu sehen. 1936 war der Verlauf des Floßgrabens an dieser Stelle schon begradigt. Diese Schlinge soll also wieder mit dem Gewässer verbunden und zum Domizil für Eisvogel und Otter werden und für Bootsdurchfahrten verboten sein.

Aber auch das wieder ein Traum vom idealen Menschen, der vielleicht einmal geschützte Biotope schonen könnte. Aber wie heißt es doch gleich im Gutachten? – “Ermittelte Beeinträchtigungen für den Eisvogel können u.a. durch die wassertouristische Nutzung sowie die Nutzung der gewässernahen Trampelpfade und wilde Zugänge zum Ufer auftreten. Eine vollständige Vermeidung wassertouristisch bedingter Störwirkungen ist nicht möglich, da der Floßgraben integraler Bestandteil des touristischen Gewässerverbundes ist. Wesentlich sind hier Maßnahmen zur Minderung von Beeinträchtigungen. In diesem Zusammenhang wurde auch die vorgeschlagene Maßnahme zur Entwicklung eines störungsfreien Nebenarmes auf einem Abschnitt des Floßgrabens entwickelt.”

Und auch das steht im Gutachten, was die Entwicklung dieses “störungsfreien Nebenarmes” kosten würde: 1.170.660 Euro. Da steckt die Million mit drin, von der Heiko Rosenthal spricht. Und die er nicht hat, die erst bewilligt werden müsste. Etliche kleinere Posten sind zur Wiederdurchlässigmachung einiger wichtiger Wasseradern im südlichen Auwald gedacht, die auch das Wasserregime des Floßgrabens wieder ein wenig verbessern würden.Wäre der Floßgraben ein reines Fließgewässer, er würde den “wassertouristischen” Nutzungsdruck besser verkraften. Doch die Fließgeschwindigkeit ist gering. Außerdem wird der Floßgraben seit 2001, seit der Inbetriebnahme der Schleuse und des Wehrs Connewitz, deutlich angestaut und im nördlichen Verlauf quasi in ein Standgewässer verwandelt. “Eine natürliche Abflussdynamik wird aufgrund der rückstauenden Wirkung des uh. liegenden Connewitzer Wehres unterbunden. Besondere Sohlenstrukturen sind in den Abschnitten in Ansätzen vorhanden (Laufweitungen, Längsbänke, Querbänke)”, heißt es im Gutachten.

Die eingetragenen Schweb- und Nährstoffe werden abgelagert und sorgen auf weiten Strecken dafür, dass schon geringe Wasseraufwühlungen genügen, um das Wasser wieder zu trüben. Das betrifft auch die von der Stadt als gering eingeschätzte Zahl von Motorbootdurchfahrten.

“Im limnologischen Bericht von Orendt 2011 wird der negative Einfluss der Bootsschraube auf die MZB-Lebensgemeinschaft angesprochen (Verwirbelung)”, heißt es dazu im Bericht. “Das Monitoring zur gewässertouristischen Nutzung zeigt aber eine vergleichsweise geringe bis sehr geringe Befahrung des Floßgrabens mit Motorbooten. Hinzu kommt, dass die jetzigen Inhaber der Genehmigung das Gewässer nur saisonal nutzen, d.h. in den Wintermonaten ist mit keiner bzw. einer sehr eingeschränkten Nutzung durch Motorboottourismus zu rechnen.”

Eine Zählung 2011 ergab acht Motorbootdurchfahrten an einem Tag, dazu 359 Durchfahrten von muskelbetriebenen Booten. Zahlen für 2012 und 2013 fehlen im Gutachten.

Der Floßgraben soll ja künftig auch ins Hochwasserschutzsystem Leipzigs integriert werden: über den Harthkanal. Die Bauarbeiten an diesem Verbindungsstück zwischen Cospudener und Zwenkauer See beginnen in diesem Jahr. Und neben der Verbindung der beiden Seen soll der Kanal auch eine Rolle im Hochwasserschutz spielen.

Von der Weißen Elster soll – wie im Juni 2013 – Hochwasser in den Zwenkauer See geleitet werden. Ein Teil davon soll über den Harthkanal in den Cospudener See ablaufen. Dessen einziger Ablauf aber ist der Floßgraben. Nur kann der Floßgraben nicht wirklich viel zusätzliches Wasser aufnehmen, weil sonst das Klärwerk Markkleeberg unter Wasser gesetzt wird.

Oder im Text des Gutachtens: “Der Hochwasserabfluss muss durch Steuerungsmaßnahmen begrenzt werden, da ohne entsprechende Maßnahmen der Ablauf der Kläranlage Markkleeberg nicht gewährleistet werden kann. Im Bereich des Ablaufes der KA Markkleeberg darf der Wasserspiegel im Floßgraben nicht über einen Wert von 109,50 mNHN steigen. Die Berechnungsergebnisse für den technisch möglichen Hochwasserabfluss aus dem Cospudener See ergaben Wasserspiegellagen, die über dem Grenzwert liegen (Dresden Dorsch Consult 2008). Durch eine Begrenzung der Abgabe aus dem Cospudener See soll die Wasserspiegellage im Bereich des Kläranlagenablaufes unter dem Grenzwert gehalten werden.”

Und das alles basiert auf einer Auswertung des Jahres 2011. Man hat also am Floßgraben einfach zwei Jahre weiter gemacht, obwohl sich der Gewässerzustand schon so kurz nach der Entschlammung des Grabens wieder verschlechtert hatte.

Wenn Heiko Rosenthal jetzt die Bootseigner animiert, ihm beizustehen beim Kampf um die 1 Million Euro für den Ausbau der alten Gewässerschlinge, hat es sichtlich mit diesem erst 2013 vorgelegten Gutachten zu tun. Ob der Eisvogel umzieht, ist eine völlig offene Frage. Denn eigentlich wurde der Floßgraben selbst ja auch so ausgebaut, dass er den Eisvogel aufnehmen kann.

Und dann gibt es da immer noch die Verpflichtung im Naturschutzgebiet: “Der gesetzliche Biotopschutz erfordert den Erhalt des naturnahen Charakters des Gewässers, gemäß der LSG-VO sind auentypische Vegetationsstrukturen und Wasserverhältnisse zu erhalten bzw. zu entwickeln. Gleiches gilt für eine Erholungsnutzung, sofern sie in landschaftsverträglichem Maße erfolgt.”

Dagegen würde ein “Projekt Umsiedlung” im Grunde verstoßen. Und was noch schwerer wiegt: Es würde die ökologischen Bedingungen im Floßgraben nicht die Spur verbessern. Und da bekommt die Stadt Leipzig als Naturschutzbehörde ein richtiges Problem: “Das gute Potenzial wird bis 2015 nach jetzigem Kenntnisstand voraussichtlich in keinem untersuchten Fließgewässerabschnitt erreicht”, heißt es im Gutachten. “Ursache sind der zu geringe Abfluss, stoffliche Belastungen und strukturelle Defizite, die anthropogenen Ursprungs sind. Fristverlängerungen für den gesamten Floßgraben müssen voraussichtlich bis 2021 oder 2027 in Anspruch genommen werden. Ursache sind die aufwendigen Verfahren und die hohen Kosten zur Umsetzung der Schwerpunktmaßnahmen, wie die Herstellung des Durchstichs am Mäander am Wolfswinkel und die Sicherung des ökologischen Mindestabflusses.”

Letzteres ist nur durch regelmäßige Entschlammungen und höhere Durchflussmengen vom Zwenkauer See zu erreichen, die es mit Inbetriebnahme des Harthkanals 2018 ja geben soll. Aber damit ist immer noch nicht geklärt, wieviel Bootsbetrieb im Floßgraben tatsächlich ökologisch verträglich ist oder ob die Belastungsgrenzen des Gewässers schon längst erreicht sind.

Das komplette Gutachten zum Selberlesen als PDF zum Download.

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