Seit Januar wird gebaut in der Leipziger Burgaue, wurden neun Meter lange Stahlprofile ins Erdreich gehämmert, wurde der 40 Jahre alte Beton zerkleinert, wurden die alten Stahlschotten entfernt: Für 3,5 Millionen Euro wird das Nahleauslassbauwerk neu gebaut. Ohne Planfeststellungsverfahren und damit auch ohne Öffentlichkeitsbeteiligung und ohne Einbindung der Naturschutzverbände.
Gefragt wurden sie. Genauer gesagt: zwei. Der NABU Sachsen, der mehr oder weniger nichts dagegen hatte, das 40-jährige Bauwerk neu hinzusetzen. Und der Ökolöwe, der sich in den letzten zehn Jahren intensiv mit dem Hochwasserschutz in und um Leipzig beschäftigt hat. 2004 und 2005 waren die Jahre, in denen für den Hochwasserschutz in Leipzig die Weichen gestellt wurden. Im trauten Zwiegespräch von Land und Stadt, von Landestalsperrenverwaltung und Umweltamt. Damals lagen mehrere Varianten zur Diskussion auf dem Tisch. Doch da es keine öffentliche Diskussion gab, entschieden die Behörden im Kuhhandel untereinander. Der Freistaat setzte seine Linie eines verstärkten auf Deiche und Sperrwerke orientierten Hochwasserschutzes durch – und die Leipziger Verantwortlichen nickten einverständig und steckten die Alternativpläne wieder in die Schubladen.
Dass jetzt das alte Auslassbauwerk wieder neu gebaut wird, hat in den damaligen Ping-Pong-Spielen seine Ursache. Im Grunde übte der Freistaat schon damals Druck aus, um seine Version eines Leipziger Hochwasserschutzsystems durchzusetzen, in dem eine natürliche Bewässerung der Auenwälder nicht vorgesehen war. Genau so kann man einen Satz aus der Antwort von Umweltminister Frank Kupfer (CDU) auf eine Anfrage der Landtagsabgeordneten Gisela Kallenbach (Bündnis 90/ Die Grünen) lesen: “Mit der Bestätigung des HWSK am 29. April 2005 wurde die Erarbeitung einer Vorzugsvariante zur Verbesserung des Hochwasserschutzes unter anderem für den Bereich Elster-Luppe-Aue gefordert”, heißt es da. “Daraufhin wurden im Jahr 2006 weiterführende Untersuchungen zur Optimierung der Maßnahmenvorschläge des HWSK Weiße Elster für das Gebiet der Elster-Luppe-Aue beauftragt und eine detaillierte zweidimensionale hydronumerische Modellierung vorgenommen.”
HSWK ist das Hochwasserschutzkonzept.
Wenn das so stimmt, haben die Untersucher dem Minister einen Bären aufgebunden. Eine zweidimensionale hydronumerische Untersuchung macht keinen Sinn. Das ist nur eine einfache topografische Karte, auf der dann mögliche Wasserflutungen eingemalt werden. Man sieht weder, wie tief das Wasser steht, wie schnell es fließt oder gar welche Ausweichwege es nimmt. Deswegen arbeiten Hydrologen mit dreidimensionalen Modellen – gern auch am Computer, noch lieber im realen Modell, denn dann können sie mit richtigem Wasser ausprobieren, wie Polder, Deiche, Stauwände, Verbaue funktionieren. Maßstabsgetreu.
Ein solches Modell aber gibt es für die Elster-Luppe-Aue nicht. Es sei denn, einer der Beteiligten hat es in einem Hochsicherheitstrakt unter Verschluss.
Ist natürlich die Frage: Hat sich Frank Kupfer die Antwort selbst ausgedacht? – Wahrscheinlich nicht. Der Ton ist schöner trockener Ingenieur-Verwaltungsstil. Er hat bei der ihm untergeordneten Wasserbehörde angefragt. Gisela Kallenbach hat also die Antwort von der Talsperrenverwaltung bekommen, aus deren Weltsicht alles in Ordnung ist. Da ist der Neubau nur eine Erneuerung und braucht – wie es Frank Kupfer wiederholt – kein Planfeststellungsverfahren. Was er als Umweltminister eigentlich besser wissen müsste. Denn als das Bauwerk vor 40 Jahren gebaut wurde, spielte es für den Leipziger Hochwasserschutz keine Rolle. Das Leipziger Hochwasserschutzsystem mit seinen Deichen und Wehren stammt aus den 1920-er bis 1930-er Jahren und funktioniert seitdem genau so, wie es soll. Das Nahleauslassbauwerk hat damit nichts zu tun.
Errichtet wurde es vor 40 Jahren, um den flussabwärts gelegenen Tagebau Merseburg-Ost im Hochwasserfall zu schützen – das Öffnen der Schotten sollte das Wasser aus der Nahle in die Burgaue ableiten, um ein Absaufen des Tagebaus, der bis 1991 existierte, zu verhindern. Heute sind an der Stelle des Tagebaus zwei neue Seen entstanden: der Raßnitzer und der Wallendorfer See. Ein Schutzregime für die Seen braucht es eigentlich nicht mehr.
Dazu kommt: In den 1970-er Jahren war an dieser Stelle noch nicht an ein Naturschutzgebiet zu denken. Die Burgaue wurde erst 1998 Naturschutzgebiet. Aber damit änderten sich natürlich auch die Rahmenbedingungen: Man kann im Naturschutzgebiet nicht einfach stur drauflosbauen wie die DDR-Ingenieure in den 70-er Jahren.Aber Landestalsperrenverwaltung (LTV) und Leipziger Umweltamt sehen das anders. Die ablehnende Stellungnahme des Ökolöwen wurde einfach ignoriert. Sie plädierte logischerweise für eine Entfernung des Bauwerks, das im Leipziger Hochwasserschutz keine Rolle spielt. Für den Bergbauschutz wird es auch nicht mehr gebraucht. Für den Schutz der Elster-Luppe-Aue schon gar nicht, auch wenn das bei Frank Kupfer so klingt. Wer eine Aue vor (Hoch-)Wasser schützt, hat von der Funktion von Auen wirklich nichts begriffen.
Und das ist der Punkt, an dem auch SPD- und CDU-Fraktion im Stadtrat nicht mehr mitspielen. Im Dezember haben sie einen gemeinsamen Antrag eingebracht, damit der OBM beauftragt wird, den Stopp der Bauarbeiten am Nahleauslasswerk zu erwirken. Der Antrag wurde vom Stadtrat wieder in den Umweltausschuss verwiesen. In der Stadtratssitzung im März kommt er wieder auf die Tagesordnung. Geändert hat sich daran nichts. Nach wie vor geht es um den Schutz der Burgaue, die durch die Eindeichung und das Sperrwerk vom natürlichen Wasserzufluss abgeschnitten ist.
Das Projekt “Lebendige Luppe” soll zwar die Fließgewässer in der Burgaue wieder revitalisieren. Doch damit hat man noch immer nicht die regelmäßigen Überflutungen, die die Aue dringend braucht, um wieder ein funktionierendes Auenwald-Ökosystem zu werden. Wenn das Sperrwerk erst wieder steht, bleibt die Aue auf weitere Jahrzehnte vom Hochwasser abgeschnitten.
Das Leipziger Umweltamt will zwar mit der LTV verhandeln, einen Zulauf aus der Nahle in den Bauerngraben zu schaffen. Doch der wird keine natürliche Durchströmung der Aue ermöglichen, bestenfalls ein Überlaufen des Bauerngrabens. Vom notwendigen Eintrag fruchtbarer Sedimente, die dem Auenwald seine Nährstoffe bringen, kann keine Rede sein. Die bleiben weiter in Nahle und Luppe und werden weiter in die Saale gespült.
Daran wird auch eine mögliche zweite Schlitzung des Deiches nichts ändern, die vielleicht kleine Hochwasser der Größenklasse HQ 30 in die Burgaue lässt.
Auch die Absenkung des Schwellenbaums am Nahleauslasswerk wird in der Kupfer-Antwort angesprochen. Nur bringt das nichts, weil der Auwald dahinter praktisch dieselbe Höhe hat. Was eigentlich das einfachste Argument gegen das Ausslasswerk ist. Denn wenn das Wasser keine Schwelle überwinden muss, kann es problemlos in die Burgaue fließen.
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Bislang waren es vor allem die Leipziger …
Weil das aber vom Freistaat so nicht gewollt ist, hat man sich alle Mühe gegeben, ein neues Argument für das Bauwerk zu finden. Das klingt jetzt in der Kupfer-Antwort so: “Die gesteuerte Flutung des Burgauenpolders kann eine Scheitelkappung von bis zu 200 m3/s bewirken. Dies entsprach beim Juni-Hochwasser 2013 einem Gesamtvolumen von zehn Millionen Kubikmeter. Zur Erreichung eines vergleichbaren Hochwasserschutzeffekts sind im Bereich der Elster-Luppe-Aue keine ‘kostengünstigeren und naturverträglicheren’ Möglichkeiten des Hochwasserschutzes bekannt.”
Mal abgesehen davon, dass noch im Sommer 2013 von 7 Millionen Kubikmetern die Rede war, darf man sich den letzten Satz durchaus auf der Zunge zergehen lassen: “Zur Erreichung eines vergleichbaren Hochwasserschutzeffekts”. Das ist ein sauberer Zirkelschluss. Nachdem der Freistaat 2006 seine Sicht auf den Hochwasserschutz an den Gewässern 1. Ordnung in Leipzig durchgesetzt hatte, gab es nur noch dieses eine Modell. Nur in diesem Modell macht “Scheitelkappung” einen Sinn. Wenn auch nur momentan. Denn das Wasser, das in die Burgaue strömt, strömt ja am anderen Ende auch wieder heraus. Die 200 Kubikmeter sind ein Kurzzeiteffekt. Viel wichtiger sind die 7 oder 10 Millionen Kubikmeter, die mit der Burgaue über einen längeren Zeitraum abgeleitet werden. Was natürlich preiswerter ist, wenn die Burgaue kein “gesteuerter Polder” ist, sondern eine natürliche Retentionsfläche.
Aber wenn man die Antwort von Kupfer richtig liest, hat der Freistaat dagegen 2005 interveniert. Seitdem gilt nur noch eine Marschrichtung, die auch Neubauten mitten im Naturschutzgebiet als selbstverständlich betrachtet.
Die Antwort von Frank Kupfer an Gisela Kallenbach im vollen Wortlaut als PDF zum Download.
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