Nicht nur Sven Zieger fragt als Einwohner am 22. Januar nach einem echten Gesamtverkehrskonzept für Probstheida. Auch andere bewegt diese Frage. Denn zu recht sehen all jene, die bewusst in einen ruhigen Ortsteil am Rande der Stadt gezogen sind, warum nun ein wachsendes Klinikum, das augenscheinlich schon in den 1990er Jahren am falschen Standort entstand, nun die Verkehrspläne für den Ortsteil dominiert.

Die Probleme nahmen in den letzten Jahren zu. Aus der Sicht des Herzklinikums natürlich aus Gründen, die erst einmal positiv sind: Es hat sich als Klinikum einen guten Ruf erarbeitet, der Betrieb brummt. Doch da das einst mit der Uni Leipzig gemeinsam konzipierte Haus eben nicht direkt an einer ÖPNV-Trasse gebaut wurde, hat sich der Verkehr ganz individuell chaotisch entwickelt. Personal, Patienten und Besucher kommen fast ausschließlich mit dem Pkw. Straßen und Parkplätze sind überlastet. Der Zubringerbus 76 fährt nur zum Schichtwechsel mit voller Belegung. Da ist also schon in den vergangenen Jahren einiges aus dem Ruder gelaufen, was jetzt mit Plänen für eine bessere ÖPNV-Anbindung repariert werden soll.

Aber wo ist da das verkehrstechnische Gesamtkonzept, fragt Denise Heinzmann in ihrer Einwohneranfrage. “Die bei der Stadt Leipzig laufenden Untersuchungen zur geplanten Straßenbahnerweiterung Südost werden momentan ohne Erarbeitung eines verkehrstechnischen Gesamtkonzeptes durchgeführt. Weiterhin unabhängig davon laufen die Planungen zur Klinikerweiterung.”

Daraus leitet sie natürlich berechtigte Fragen ab:

“a) Lässt die vorgegebene Infrastruktur in Probstheida überhaupt eine so massive Erweiterung des Klinikstandortes zu?

b) Wie soll eine zusätzliche Straßenbahntrasse durch Probstheida unter Nichtbeachtung des Individual-, Notfall- und LKW-Verkehrs die Verkehrsprobleme in Probstheida und zum Klinikum alleine lösen?

c) Ist es sinnvoll, den gesamten Verkehr zum Klinikum (PKW, LKW, Notfalltransporte und Straßenbahn) komplett über Probstheida zu lenken und damit diesen Stadtteil bis zum Ersticken zu belasten bzw. werden hierbei die geltenden Standards für die Verkehrs- und Städteplanung eingehalten?”

Und noch eine weitere Einwohneranfrage befasst sich mit diesem massiv gewachsenen Individualverkehr.

“Gemäß der Information der Stadt Leipzig und der Masterplanung zur Klinikerweiterung liegt die Frequentierung des Klinikstandortes momentan bei 5.000 Personen (Patienten, Besucher, Angestellte) und soll prognostisch bis auf über 11.000 Personen steigen. Im Bürgerforum zur Straßenbahnerweiterung informierte uns die Stadt Leipzig ebenfalls, dass der ÖPNV-Anteil zum Klinikum durch eine ‘bequeme Straßenbahnanbindung’ von derzeit 6 % auf 20 % erhöht werden soll”, heißt es darin. “Dies bedeutet: Derzeit wird der Klinikstandort täglich von 4.700 Personen über Individualverkehr und 300 Personen über ÖPNV aufgesucht. Prognostisch sind täglich 8.800 Personen über Individualverkehr und 2.200 Personen mittels ÖPNV zu erwarten. Somit ist selbst bei einer Verbesserung des ÖPNV-Anteils bis auf die optimalen 20 % eine Verdoppelung des PKW-Verkehrs zu erwarten (mind. 188 %). Die bereits heute überlastete Strümpellstraße kann diesen Verkehr unmöglich aufnehmen. Selbst wenn die Franzosenallee als weitere zusätzliche Hauptzufahrtsstraße eingerichtet werden würde, ist in Probstheida eine erhebliche Verkehrsüberbelastung mit den zugehörigen Problemen zu erwarten.”
Die logischen Fragen, die sich daraus ergeben:

“a) Wie soll der doppelte PKW-Verkehr zum Klinikstandort wie er von der Stadt Leipzig erwartet wird ohne zusätzliche Straßenanbindung in Richtung Stötteritz aufgenommen werden?

b) Wie sieht das Katastrophenkonzept des Klinikstandortes in Hinblick erforderlicher Zufahrtswege aus (unter Beachtung der Klinikerweiterung)?

c) Wie können die Notfalltransporte zur und von der Klinik bei etwaigen Verkehrsstörungen in Probstheida dennoch realisiert werden?”

Was ja natürlich auch die Frage mit sich bringt, warum nun die eh schon finanziell überforderten Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) eine Teillösung für ein Verkehrsproblem entwickeln sollen, das tatsächlich viel größer ist. Und so thematisiert eine Bürgeranfrage denn auch den “Investitionsstau bei der LVB und geplanter Trassenneubau in Probstheida”.

“Aktuell schieben die LVB, laut eigener Aussage, einen Investitionsstau von 120 Millionen Euro vor sich her, der sich insbesondere im desolaten Zustand der Gleisanlagen manifestiert. Langsamfahrstrecken, die inzwischen um die 5 % des gesamten Streckennetzes ausmachen, sind durch teils jahrzehntelange Dauernutzung der Gleise Problem und Gefahr zugleich”, heißt es darin. “Um wirklich eines Tages einen kompletten Erneuerungszyklus vorweisen zu können, fehlen den Verkehrsbetrieben nach heutigen Maßstäben jährlich 20 Mio. Euro. Rein rechnerisch ist es beim derzeitigen Tempo der Baumaßnahmen, der fehlenden Investitionsmittel, der völlig überraschenden Wintereinbrüche sowie der absurden Förderpolitik überhaupt nicht möglich, eine Grundsolidität des Schienennetzes herzustellen. Laut eines Unternehmenssprechers sind die LVB bestrebt, ihre Investitionen so zu planen, dass die vorhandenen Mittel möglichst dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Vorrang vor baulichen Erweiterungen habe die optimale Nutzung der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur.”

Die Fragen dazu, die nun am 22. Januar in der Ratsversammlung beantwortet werden sollen:

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“Wie lässt sich der o.g. Ist-Zustand mit den Bestrebungen der LVB und des Stadtplanungsamtes vereinbaren, die tadellose, verkehrstechnisch völlig intakte und attraktive Infrastruktur der Franzosenallee durch einen geplanten Trassen-Neubau zum Wirtschaftsstandort Herzzentrum zu zerstören?

1.) Wie lassen sich o. g. Pläne, insbesondere im Hinblick auf Lärmbelastung, Staubildung und Verkehrsverlagerung in benachbarte Straßen etc. mit den Leipziger Umweltqualitätszielen und -standards vereinbaren?

2.) Inwieweit wird zwecks Ausschließung von Lobbyismus-Verdachtsmomenten eine Gleichbehandlung der wirtschaftlichen Interessen der am Standort tätigen Unternehmen sichergestellt?

3.) Inwieweit kann die Stadt Leipzig sicherstellen, dass bei der Organisation einer bürgerfreundlichen Prozessgestaltung im Rahmen des Stadtentwicklungsplanes nicht ausgerechnet die Bürger auf der Strecke bleiben, die unmittelbar betroffen sind?”

Eine Menge Fragen, die natürlich auch zeigen, dass das große, übergreifende Verkehrskonzept mit klaren Leitlinien für Leipzig fehlt. Die bisherige Verkehrspolitik der Stadt war auch deshalb immer Stückwerk, weil sie in Schubladen dachte und Stadtplanung, Lärm- und Umweltschutz, Infrastrukturplanung und Unternehmensansiedlung immer nur kleinräumig betrachtete. Das war in den 1990er Jahren, als alles auf einmal nachgeholt werden musste, noch verständlich. Dass 15 Jahre vergangen sind, ohne dass es tatsächlich greifbare Gesamtkonzeptionen gibt, ist dann schon schwerer zu verstehen.

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