Gibt es schon eine Vorzugsvariante der Leipziger Stadtplaner für die künftige (Straßenbahn-)Erschließung von Herzklinikum und Sonnenpark in Probstheida? - "Nein, gibt es nicht", sagt Jochem Lunebach, Leiter des Stadtplanungsamtes der Stadt Leipzig. Soll es auch nicht geben. Die Bürgerbeteiligung, die am 17. Oktober mit einer Informationsveranstaltung startet, soll "ergebnisoffen" gestaltet sein. Was immer das heißt. Nicht alles, was "technisch machbar" ist, ist auch realistisch und ehrlich.

Neun verschiedene Trassenführungen haben die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) untersucht bzw. untersuchen sie gerade. Technisch machbar sind sie alle. Drei Varianten haben sogar schon musealen Wert, denn sie wurden 1993/1994 entwickelt, als der erste Bebauungsplan für das Gebiet südlich von Stötteritz und östlich von Probstheida aufgestellt wurde. Damals wollte man, da die Distanz von Stötteritz aus kürzer war, die Straßenbahn Linie 4 verlängern und bis zum geplanten Klinikstandort “quer über den Acker” verlängern, wie Andreas Wolf vom Stadtplanungsamt erläutert. Die drei damals entwickelten Varianten tauchen jetzt wieder auf, beziffert von A1 bis A3.

Mit A1 würde die Straßenbahn Linie 4 von der jetzigen Endstelle in Stötteritz etwa 500 Meter weiter an der Holzhäuser Straße entlang verlängert, würde dort “über den Acker” nach rechts abbiegen, 400 Meter geradeaus, dann scharfe Kurve nach links – da würde sie dann geradlinig auf die Strümpellstraße zulaufen und südlich des Parkkrankenhauses eine Wendeschleife bekommen.

Strecke A2 würde an der selben Stelle von der Holzhäuser Straße abbiegen, “über den Acker” aber direkt auf die Strümpellstraße zulaufen. Dieselbe Endhaltestelle.

Variante A3 würde auf der Holzhäuser Straße bis zum Ortseingang von Holzhausen verlängert und dort dann rechts abbiegen, “über den Acker” bis zur Einmündung Strümpellstraße. Dieselbe Endhaltestelle wie A1.

Fazit: Die LVB haben in diese drei Verlängerungsvarianten der Linie 4 sicher viel Gehirnschmalz investiert. Aber das Problem kennt auch Stadtplaner Lunebach: Der “Acker”, über den die Straßenbahn zur Strümpellstraße fahren würde, ist ganz offiziell Teil des Landschaftsschutzgebietes “Etzoldtsche Sandgrube und Rietzschketal Zweinaundorf”. Und selbst im Sächsischen Naturschutzgesetz heißt es in § 19: “In Landschaftsschutzgebieten sind nach Maßgabe der Rechtsverordnung alle Handlungen verboten, die den Charakter des Gebietes verändern, den Naturhaushalt schädigen, das Landschaftsbild und den Naturgenuss beeinträchtigen oder sonst dem besonderen Schutzzweck zuwiderlaufen.” Dazu gehören auch Verkehrsbauten. Und man wird den Leipzigern schlecht erklären können, warum für Straßenbahntrassen andere Regeln gelten sollten als für Straßen. Die Varianten A1, A2 und A3 verstoßen gegen das Naturschutzgesetz.Die neuen Varianten, ausgehend von der Prager Straße, haben jetzt alle ein B bekommen – B1 bis B5 wurden von den LVB in die Diskussion gebracht. B6 ist ein Bürgervorschlag. Eigentlich beinhalten sie alle noch eine Grundvariante, denn sie gehen davon aus, dass die Linie 2, die bislang an der Alten Messe endet, so wie die Linie 15 bis Meusdorf verlängert wird oder dann die Streckenerschließung in Probstheida übernimmt. “Das ist aber so noch nicht entschieden”, sagt Holger Flache, LVB-Geschäftsbereichsleiter Verkehrsmanagement. Erst wenn man wisse, wieviele zusätzliche Fahrgäste es gebe, könne man überhaupt über Linienerweiterungen und/oder Linie 2 oder 15 diskutieren.

B1 ist die einfachste Variante: Die Straßenbahn biegt nach links von der Prager Straße ab und fährt durch die Russenstraße über den alten Dorfanger von Probstheida direkt zum Herzklinikum.

B2 biegt etwas weiter südlich über die Nieritzstraße und die Strümpellstraße zum Herzklinikum ab. In beiden Fällen läge die Endschleife nördlich des Herzklinikums.

B3 würde von der Prager Straße noch weiter stadtauswärts in die Franzosenallee abbiegen und kurz vorm Tschechenbogen nach Norden zur Strümpellstraße abbiegen. Endhaltestelle wie bei B1 und B2.

B4 würde die Franzosenallee bis zum Ende befahren und erst an der Feldstraße nach Norden Richtung Strümpellstraße abbiegen. Endhaltestelle wie bei B1 – B3.

B5 wäre ganz und gar eine “Außenherum-Bahn”. Sie würde erst hinter der Roseggerstraße von der Prager Straße abbiegen, kurz vorm Tschechenbogen die Franzosenallee kreuzen und dann wie B3 weiterfahren.

All diese Varianten unterscheiden sich vor allem durch ihre Länge und den entsprechenden Investitionsaufwand, der dann irgendwo ab 10 Millionen Euro aufwärts läge. Bevor geplant wird, muss jeweils untersucht werden, wer hier überhaupt ein- und aussteigen würde und ob sich der ganze Fahraufwand lohnt. Wenn die Haupt-Fahrgastströme am Herzklinikum gewonnen werden, dann ist es natürlich Unfug, durch den Sonnenpark zu fahren. Entsprechend sind auch schon jetzt etliche Töne in der Diskussion: “Nur ja keine Straßenbahn vor meiner Tür.”Bleibt die von einem nicht genannten Bürger vorgeschlagene Variante B6.

B6 würde schon kurz nach dem Südfriedhof von der Prager Straße nach links abbiegen und durch den Freundschaftspark alias Freizeitpark Südost alias Etzoldtsche Sandgrube führen, den Südteil der Naunhofer Straße passieren und “quer über den Acker” zur Strümpellstraße und damit zum Herzklinikum kommen. Endhaltestelle dann wieder südlich des Parkkrankenhauses.

“Wir gehen ganz unvoreingenommen vor”, sagt Stadtplaner Jochem Lunebach, “und schließen auch keinen Vorschlag aus der Bürgerschaft aus. Was technisch machbar ist, werden wir auch untersuchen.” Das Problem bei B6 ist aber dasselbe wie bei A1, 2 und 3: Diese Trasse würde mitten durch das Landschaftsschutzgebiet “Etzoldsche Sandgrube und Rietzschketal Zweinaundorf” führen. Aber das ist mittlerweile ja typisch für Leipzig: Trassenplanungen durch Landschaftsschutzgebiete werden auch dann noch weiter geführt, wenn längst klar ist, dass hier nicht gebaut werden darf. Bleiben also nur die Varianten B1 bis B5 – mit starken Vorteilen von B1 und B2, den beiden kürzeren Verbindungen direkt zum Herzklinikum.

Nicht auf dem Plan enthalten sind die Varianten 0 und 0.1, die Bus-Varianten.

0 ist die bestehende Variante: die Buslinie 76, die von der Buswendeschleife über die Haltestelle Probstheida das komplette Gebiet über Franzosenallee, Feldstraße, Russenstraße, Strümpellstraße zum Herzzentrum erschließt. Wochentags fährt der Bus aller 20 Minuten. Bisher scheint das völlig auszureichen, sonst hätten die LVB die Taktzeiten auf dieser Linie schon längst verdichtet.

0.1 soll und muss auch in die Bürgerdiskussion: Das ist nämlich die Überlegung, ob und wie mit Bussen der vielleicht steigende Bedarf abgedeckt werden kann. Das “vielleicht” muss hier betont werden. Das aktuelle Fahrgastaufkommen macht eine zusätzliche Linie nicht nötig. Und die Erwartung, dass sich das Fahrgastaufkommen verdoppelt, ist bislang nicht mehr als eine vage Projektion in die Zukunft. Da kann es sich als wesentlich wirtschaftlicher herausstellen, schlicht die Busfahrtakte zu verdichten, zusätzliche Haltepunkte einzufügen und vielleicht sogar vorrangig Hybrid- oder Elektrobusse einzusetzen.

Womit von allen diskutierten Varianten sich eigentlich nur drei auf den ersten Blick als sinnvoll erweisen: B1, B2 und 0.1.

Aber auch eine Fülle von Varianten kann dazu beitragen, die Diskussion der Öffentlichkeit völlig unüberschaubar zu machen. Und wer Trassen durch Landschaftsschutzgebiete als “technisch machbar” verkauft, trägt zur Verwirrung zusätzlich bei.

Die neun Straßenbahntrassen-Varianten auf einer Karte der Stadt Leipzig als PDF zum download.

Leipziger Landschaftsschutzgebiete: www.leipzig.de/de/buerger/umwelt/naturschutz/17621.shtml

Das Landschaftsschutzgebiet Etzoldtsche Sandgrube und Rietzschetal Zweinanundorf:
www.leipzig.de/imperia/md/content/36_amt_fuer_umweltschutz/lsg_etzoldsche_sandgrube.pdf

Landschaftsschutzgebiete im Sächsisches Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege: www.revosax.sachsen.de/Details.do?sid=8061214179658&jlink=p19&jabs=33

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