Gut Ding will Weile haben. Dass das Thema einer BUGA im OBM-Wahlkampf so eine Rolle spielte und im Nachgang in Bezug zum agra-Gelände auch noch einmal, hat auch damit zu tun, dass die Verwaltung das Thema agra mit relativer Gelassenheit anging. Denn einen Stadtratsbeschluss dazu gibt es schon seit dem 16. Dezember 2009. Damals beauftragte die Ratsversammlung die Verwaltung damit, ein Konzept für das agra-Gelände zu erarbeiten.
“Im Ergebnis des dafür ausgelobten Ausschreibungsverfahrens führte die damit beauftragte Firma Arcadis GmbH Untersuchungen durch, beteiligte in Ideenwerkstätten einen breiten Personenkreis an der Findung eines neuen Nutzungskonzepts und legte am 29. November 2011 einen 44-seitigen Erläuterungsbericht mit Nutzungskonzept vor”, stellt das Dezernat Wirtschaft und Arbeit nun in einer Vorlage fest, die skizziert, wie die Entwicklung des agra-Geländes aus Leipziger Perspektive aussehen könnte.
Es geht konkret um die Nutzungsmöglichkeiten von 366.729 Quadratmeter Fläche, die der Stadt Leipzig vor allem auf Dölitzer, zu einem kleinen Teil auf Markkleeberger Flur zur Verfügung stehen.
Bei der Konzeptsuche wurde alles Mögliche geprüft, auch ein Standort für ein neues Naturkundemuseum und ein neues Gründerzentrum. Bisherige Nutzungen wie das Wave Gotik Treffen (WGT) und der Trödelmarkt sollten beibehalten werden. Letztere auch deshalb, weil sie zur Wirtschaftlichkeit des Standortes beitragen.Denn eine Vorgabe war: Die Umgestaltung des Geländes sollte möglichst kostenneutral sein. Was eben auch bedeutet: Man braucht wirtschaftliche Nutzungen, die zur Pflege des Geländes Geld in die Kasse spielen.
Deswegen wurde in einem Workshop auch die Ansiedlung eines Nahversorgers an der Bornaischen Straße vorgeschlagen. Was Leuten eben so einfällt, wenn sie über Wirtschaft nachdenken. Auch die Idee eines Campingplatzes ward geboren. Dieser könnte unter Beteiligung der Stadt Markkleeberg auch teilweise auf deren Fläche angelegt werden, wurde überlegt.
Das Wirtschaftsdezernat: “Auch diese Vorschläge leisten ihren Beitrag zur beabsichtigten haushaltneutralen Bewirtschaftung. Aus diesem Grund werden Einnahmen aus Verkäufen oder Erbbaurechten den Kosten für Reparaturen oder Investitionen gegenübergestellt.”
“Im von Arcadis vorgelegten Nutzungskonzept wird über die nächsten zehn Jahre ein inakzeptabler Fehlbetrag von über 8 Mio. Euro ausgewiesen. Es ist jedoch beabsichtigt, eine haushaltneutrale Bewirtschaftung des agra-Geländes zu erreichen”, heißt es weiter. Aus diesem Grund solle die Nutzung auf die vorgenannten Punkte erweitert werden – Einkaufsmarkt und Campingplatz. Der Campingplatz läge direkt an der Mühlpleiße, südwestlich der agra-Hallen.
Doch das vorgeschlagene Gründerzentrum würde sich nicht rechnen, meint das Amt für Wirtschaftsförderung. Die kalkulierte Miete sei für die Nutzer zu teuer, so dass mit einem hohen Leerstand gerechnet werden müsse. Welche Miete ein Gründerzentrum sinnvoll machen würde, steht freilich nicht da. Also verzichtet man auf ein Gründerzentrum und setzt lieber altbekannte Bausteine ein, betont zwar, dass man den Grünanteil erhalten wolle. Aber von einem Park wird in diesem Teil des Geländes nicht viel zu sehen sein.
Das Erste: Der eigentliche Bestand an Gebäuden (die Messehallen 1 und 2) soll erhalten bleiben und durch Erhaltsinvestitionen gesichert werden.
“Die Vergabe eines Nutzungsrechts für die Einrichtung eines Camping-/Wohnwagenstellplatzes über eine Nutzfläche von etwa 40.000 m² im Bereich westlich der ehemaligen Bettenhäuser, weitestgehend außerhalb des bestehenden Landschaftsschutzgebietes, einschließlich der Nutzung des vorhandenen Bürogebäudes als Empfangsbereich und Versorgungseinrichtung wird über eine Ausschreibung vorbereitet”, teilt das Wirtschaftsdezernat in der Vorlage mit, die am 12. März erstmals in der Dienstberatung besprochen wurde und am 17. April in der Ratsversammlung auf der Tagesordnung steht. “Gleichzeitig wird dadurch die Versorgung der vorgenannten Veranstaltung deutlich verbessert, dies allein schon durch die dann vorhandenen neuen Sanitäranlagen.”Wie lange man die alten Messehallen erhalten will, wird auch angedeutet, denn man will ein Nutzungsrecht zur Errichtung einer Fotovoltaikanlage auf den Dachflächen der Hallen 1 und 2 über eine Zeitdauer von bis zu 20 Jahren gewähren.
Der Parkplatz, der sich derzeit direkt an der Bornaischen Straße befindet, soll auf das Gelände der abgerissenen Halle 3 zurückverlagert werden. Auf dem Parkplatz Bornaische Straße soll dafür – optional bis zum Haupteingang – oben genannte Verkaufseinrichtung für Waren des täglichen Bedarfs gebaut werden.
Es ist unübersehbar, dass die Visionen über die Zukunft des agra-Geländes wieder stark vom Automobil geprägt sind. “Es ist zu prüfen, ob als P+R Stellplatz das stadteigene Flurstück 183/14 der Gemarkung Dölitz herangezogen werden kann. Dadurch könnte die Qualität und die Quantität der vorhandenen PKW-Stellplätze im Bereich deutlich verbessert werden und somit um einen öffentlichen Parkplatz des Verkehrs- und Tiefbauamtes erweitert werden”, heißt es in der Vorlage. Dieser P+R-Platz befindet sich auf der östlichen Seite der Bornaischen Straße zwischen Newton- und Eigenheimstraße.
Mit einer naturnahen Gestaltung des Geländes hat das alles recht wenig zu tun. Es wird zwar immer wieder von “haushaltneutraler Bewirtschaftung” gesprochen. Aber die ganze Vorlage liest sich wie das Entwicklungskonzept für ein neues Gewerbegebiet mit touristischem Schwerpunkt.
Mittelfristig, wie es in der Vorlage heißt, soll im Südzipfel des Geländes die Möglichkeit zur “Errichtung eines Hotels der Mittelklasse auf einem Areal von etwa 12.000m² – 25.000 m²” gegeben werden. Was dann auch Folgen für die Verkehrserschließung hätte. “Dabei wird insbesondere für die Erschließung des Campingplatzes und des in Betracht gezogenen Hotelneubaus eine südliche Verkehrserschließung über die Virchowstraße in Markkleeberg erforderlich”, heißt es in der Vorlage. Da muss also die Stadt Markkleeberg mitspielen – und die Virchowstraße ist bis dato nicht wirklich als eine Erschließungsstraße für größere Kfz-Frequenz ausgelegt. Da müsste wohl auch noch ein bisschen was investiert werden.
Es ist schon erstaunlich, wie schnell die Planer beim Geldausgeben sind, wenn sie vorher von Haushaltsneutralität geredet haben. Es geht noch viel weiter: “Zu bestehenden oder zu verlagernden PKW-Stellplätzen und den Erschließungswegen sind, soweit notwendig, begrünte Lärmschutzanlagen vorzusehen. Die Anbindung an die Mühlpleiße und an den Pleiße-Radweg mit entsprechender Beschilderung macht den zukünftigen Campingplatz attraktiver.”
Aber nicht nur Camper will man ansiedeln – man will auch ein Bebauungsprojekt neu aufleben lassen, das 2009 eigentlich schon offiziell begraben wurde.
“Die nördlich der Hallen 1 und 2 gelegene unbebaute und vom WGT intensiv genutzte Fläche wird nach Abriss der westlich davon gelegenen Hallen auf die begrünten Flächen der zu entfernenden Bauwerke verlagert. Damit steht diese Fläche von etwa 40.000 m² für eine Wohnbebauung zur Verfügung.”
Dabei waren es Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht und Baubürgermeister Martin zur Nedden, die 2009 vorgeschlagen hatten, die Erstellung eines Bebauungsplanes für den Nordteil des agra-Geländes einzustellen. Nun kommt dieses Projekt wieder auf den Tisch. Und bei diesem Baugebiet für Eigenheime soll es nicht bleiben.
Wie schizophren die Überlegungen zum agra-Gelände sind, zeigt schon der nächste Satz zu den jetzt noch existierenden Hallen im Westteil des Geländes: “Die Flächen der abgerissenen Hallen sind zugleich Ausgleichsfläche für die Versiegelung durch die Wohnbebauung und den Hotelstandort.”
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Und auch die Wohnbebauung gibt es nicht ohne Extra-Kosten: “Vor der Entwicklung dieser Fläche als Wohnbaustandort ist eine schalltechnische Optimierung vorgesehen. Diese könnte in Form einer begrünten Abschirmung zwischen den Hallen und der zukünftigen Wohnanlage und der Verbesserung des bauwerklichen Lärmschutzes der Veranstaltungshallen selbst Unterstützung finden. Diese Maßnahmen erfolgen auf der Grundlage eines dann zu erstellenden Schallgutachtens.”
Und nicht nur das Gründerzentrum hat man auf diese Weise – wegen zu hoher Mieten – aus allen Plänen gestrichen. Auch das Naturkundemuseum an diesem Ort verschwand gleich wieder in der Versenkung. “Die Flächenbereitstellung zur Errichtung eines neuen Naturkundemuseums ist auf dem agra-Gelände, in Abhängigkeit von der Standortentscheidung, gegeben und aktuell nicht favorisiert”, heißt es in der Vorlage. Zuammenhänge mit dem Marrkleeberger Teil des Parks oder dem noch auenwaldnahen südlichen Teil des Leipziger Park-Teils findet man in der Vorlage nicht. Ob das Gelände nach all den neuen Bebbaungsplänen für das WGT noch interessant ist, ist ebenfalls eine nicht ganz uninteressante Frage.
Die Planungsvision des Wirtschaftsdezernats als Lagekarte: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/83436CE438222A57C1257B280042DC9F/$FILE/V-ds-2872-Anlage.pdf
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