Die jüngsten Hochwasserereignisse haben erneut die Verwundbarkeit unserer Gemeinden und Ökosysteme gegenüber extremen Wetterphänomenen aufgezeigt. In Anbetracht dieser Herausforderungen sind angemessene, schnelle und nachhaltige Maßnahmen unerlässlich. Der NABU Sachsen-Anhalt und der NABU Sachsen fordern die Politik auf, stärker in den natürlichen Hochwasserschutz als in Deiche und Rückhaltebecken zu investieren.
Um Schäden an Siedlungen und auf wirtschaftlich genutzten Flächen zu verhindern, wird seit Jahrhunderten mithilfe vorrangig technischer Hochwasserschutzmaßnahmen versucht, Flüsse am Ausufern zu hindern. Maßnahmen, wie Deiche, Spundwände und Rückhaltebecken bergen jedoch nicht nur die Gefahr ökologischer Veränderungen, sondern potenzieren auch die Schäden im Siedlungs- und Wirtschaftsbereich, wenn es zum Dammbruch kommt.
Der natürliche Hochwasserschutz setzt daher auf die Kapazitäten des Naturhaushalts, um Wasser in der Landschaft zu speichern. Besonders die flussbegleitenden Auen spielen hier eine wichtige Rolle. So dienen sie als natürliche Pufferzonen, die bei Starkregenereignissen überschüssiges Wasser aufnehmen und kontrolliert abfließen lassen, wodurch das Risiko von Überschwemmungen in stromabwärts liegenden Gebieten reduziert wird.
Darüber hinaus sind Auen aber auch Lebensraum zahlreicher spezieller Arten, tragen zur Regulierung des lokalen Klimas bei und verbessern als natürliche Filter die Wasserqualität. Die Renaturierung dieser Auenlandschaft ist daher unausweichlich für einen nachhaltigen Hochwasserschutz.
„Wichtig ist, dass der Schutz unserer Auenlandschaften und damit der natürliche Hochwasserschutz überregional gedacht wird“, erklärt Maria Vlaic, Vorsitzende des NABU-Landesverbandes Sachsen.
„Flüsse wie Elbe und Weiße Elster, deren Auenlandschaften zum großen Teil als Natura 2000-Gebiet unter europäischem Schutz stehen, verbinden Sachsen und Sachsen-Anhalt. Jahrzehntelanges Trockenlegen hat seine Spuren in der Landschaft hinterlassen, aber durch einige kleinere und auch größere Renaturierungsmaßnahmen, beispielsweise im Projekt Lebendige Luppe, konnten erste Erfolge für den Erhalt der auentypischen Tier- und Pflanzenwelt erzielt werden.“
„Dass Renaturierungsmaßnahmen erfolgreich sein können, zeigt in beeindruckender Weise das NABU-Projekt ‚Untere Havelniederung‘ im Nordosten Sachsen-Anhalts, dem größten Projekt dieser Art in ganz Europa“, erläutert Katja Alsleben, Vorsitzende des NABU Landesverbandes Sachsen-Anhalt. „Hier wurden und werden Altarme und Hochflutrinnen wieder angeschlossen, Auwälder gepflanzt und Deichabschnitte zurückgebaut und so Überflutungsflächen für den Hochwasserschutz gewonnen. Bis 2033 soll die Havel renaturiert sein, bereits jetzt ist die Havelaue in weiten Teilen ein Naturparadies.“
„Die wiedervernässten Auen bringen viele Vorteile mit sich“, erklärt Dr. Anne Arnold, Geschäftsführerin des NABU-Landesverbands Sachsen-Anhalt. „Zahlreiche Arten können sich hier ansiedeln, die Einlagerung von CO2 im Boden kommt dem Klimaschutz zugute und die nassen Flächen sind ein guter Schutz gegen Hochwasser. Bei Starkregen oder Schneeschmelze anfallende Wassermengen werden in der Fläche aufgenommen und anschließend nur langsam der Havel zugeführt.
Dies entlastet die Flüsse und führt gleichzeitig zu einer Verbesserung des Wasserhaushaltes im Gebiet. So schützt die Aue durch ihre Speicherfunktion auch vor Trockenzeiten. Ein bewusstes und angepasstes Wassermanagement ist eine sinnvolle Maßnahme, um zukünftigen Extremwettern zu begegnen.“
In einer Potenzialanalyse für die Untere Mittelelbe zwischen Tangermünde und Lauenburg hat der NABU die Möglichkeiten für Renaturierungsmaßnahmen in der Elbe und ihrer begleitenden Aue untersucht und aufgezeigt. Der NABU bietet sich hier als Projektpartner zur Realisierung möglicher Maßnahmen an, um auch hier die dringend notwendige Umsetzung von Renaturierungsmaßnahmen zum Erfolg werden zu lassen.
Hintergrund
Nach aktuellen Medieninformationen des Freistaates Sachsen erreichen aktuell 93 Prozent der Fließgewässer nicht den geforderten guten Zustand, wie er laut EU-Wasserrahmenrichtlinie definiert ist. Dieser Zustand ist bis 2027 zu erreichen, andernfalls drohen Konsequenzen. Ähnliches gilt für den deutschen Teil der Elbe: Ein gemeinsamer Bericht der Bundesländer der Flussgebietsgemeinschaft Elbe stellte 2020 fest, dass fast 95 Prozent der Fließgewässerkörper den guten ökologischen Zustand bzw. das gute ökologische Potenzial nicht erreichen.
Laut Bundesumweltministerium sind 80 Prozent unserer Fließgewässer durch Schifffahrt, technischen Hochwasserschutz, Wasserkraft und Landwirtschaft so stark verändert, dass nur noch etwa 15 bis 20 Prozent der natürlichen Auen erhalten geblieben sind. In den vergangenen 40 Jahren wurden nur 1,5 Prozent der Überflutungsflächen großer Flüsse zurückgewonnen. Hier müssen die Regierungen von Bund und Ländern umgehend nachbessern, damit die natürliche Schutzfunktion der Auenlandschaft auch in Zeiten des Klimawandels und bei zukünftigen Hochwasserereignissen erhalten bleibt.
Doch auch auf Flächen abseits der Flüsse sollte das bisherige Wassermanagement überdacht werden. So kann die vermehrte Rückhaltung von Wasser auf land- und forstwirtschaftlichen Flächen nicht nur die Folgen von Starkregen und Hochwasser abmildern, sondern gleichzeitig Dürren sowie Überhitzungen vorbeugen. Insbesondere Wälder besitzen ein hohes Wasserspeichervolumen und müssen daher dringend erhalten werden.
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