Das globale Klima beeinflusst das regionale Pflanzenwachstum – allerdings nicht in allen Lebensräumen gleichermaßen. Das haben Geobotaniker der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) in einer Analyse von über 300.000 europäischen Vegetationsbeobachtungen herausgefunden.
Ihr Fazit: Die Effekte des Klimawandels auf die Vegetation der Erde lassen sich nicht generell vorhersagen, sondern sind in hohem Maße von den untersuchten Habitaten und den lokalen Bedingungen abhängig. Die Erkenntnisse wurden in „Nature Communications“ veröffentlicht.
Spätestens seit den Forschungsreisen Alexander von Humboldts ist bekannt, dass die Merkmale von Pflanzen stark von den Klimazonen der Erde abhängen: In tropischen Regenwäldern etwa finden sich wahre Baumriesen und Pflanzen mit großen Blättern, während die Wüsten- oder subarktische Vegetation eine geringere Wuchshöhe und Blattfläche aufweist, um Trockenheit oder Kälte zu trotzen.
Im Zuge des Klimawandels verschieben sich solche Zonen – und es stellt sich die Frage, wie höhere Temperaturen und veränderte Niederschlagsperioden die Artenzusammensetzung an einem gegebenen Ort beeinflussen.
„In Studien wurden bisher eher schwache Zusammenhänge zwischen globalen Klimagradienten und den Merkmalen lokaler Pflanzengesellschaften festgestellt“, sagt Dr. Stephan Kambach, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geobotanik der MLU. „Möglicherweise werden globale Effekte von lokalen Faktoren wie Pflanzenzusammensetzung, Bodenbedingungen, Mikroklima, Grundwasserspiegel oder menschlicher Landnutzung überdeckt.“
Um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, haben die halleschen Forscher im Rahmen des Biodiversa-Programms „FeedBaCks“ über 300.000 Vegetationsaufnahmen aus ganz Europa zusammengestellt, für die vollständige Informationen über die vorherrschenden Pflanzenarten und Klimadaten vorliegen. Die Rohdaten stammen aus der CHELSA-Klimadatenbank und dem European Vegetation Archive (EVA), in dem über 1,7 Millionen Vegetationsbeobachtungen mit knapp 14.000 Pflanzenarten erfasst sind.
„Zunächst haben wir neun Haupttypen von Lebensräumen untersucht, zum Beispiel Wälder, Heideland oder Feuchtgebiete“, erklärt Kambach. „Diese Habitate haben wir dann in zwei weitere Sub-Ebenen gegliedert, etwa Laubwald auf der zweiten und Pappel-Auwald auf der dritten Ebene.“
Um die Vegetation zwischen den einzelnen Habitaten miteinander vergleichen zu können, wurden vier zentrale Vegetationsmerkmale definiert: Wuchshöhe, Blattfläche, Wurzellänge und Samenmasse.
Welchen Einfluss die Klimavariablen, vor allem Temperatur und Niederschlagsmenge, auf die Vegetation haben, hat Stephan Kambach mittels linearer Regression untersucht – einem Instrument der Statistik, mit dem sich signifikante Abhängigkeiten von Einfluss- und Zielgrößen gut beschreiben lassen.
Die Analyse zeigt zum Teil überraschende Ergebnisse: Betrachtet man alle Vegetationstypen zusammen, ist das Klima ein signifikanter Prädiktor für die Pflanzenmerkmale. Im mediterranen Raum oder an den Küsten Europas wachsen Pflanzen durchschnittlich höher, produzieren mehr Samenmasse und haben längere Wurzeln, aber eine kleinere Blattfläche.
Der Blick in die einzelnen Habitate allerdings zeigt Ausnahmen: In Wäldern etwa nimmt die Pflanzenhöhe mit zunehmender Temperatur ab, in Feuchtgebieten wird die Blattfläche größer, in Heidelandschaften werden die Wurzeln kürzer.
„Hier zeigen sich die gegenläufigen Einflüsse zwischen den Trends auf der globalen und der lokalen Ebene“, erklärt Prof. Dr. Helge Bruelheide, der das FeedBaCks-Projekt an der MLU leitet und Mitglied des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig ist.
„Im Süden wird das Wachstum aufgrund höherer Lichtintensität und längerer Vegetationsperioden allgemein begünstigt, die geringere Wasserverfügbarkeit kann in bestimmten Habitaten aber zum gegenteiligen Effekt führen. Auf Feuchtgebiete wiederum wirken sich geringe Niederschlagsmengen offenbar kaum aus.“
Je stärker man in die Habitate „zoomt“, umso weniger lassen sich die Klimaeffekte generalisieren. „Für Blattfläche und Wurzellänge lässt sich in den enger umrissenen Lebensräumen ein stärkerer Effekt des Klimas finden“, sagt Kambach. „Aber was wir bei den Haupttypen der Lebensräume sehen, spiegelt sich nicht zwangläufig in den Subtypen wider.“
So hat die Analyse beispielsweise ergeben, dass die mittlere Wuchshöhe von Grasland Richtung Mittelmeer zunimmt, nicht aber die von saisonal nassen Wiesen. Ähnliches zeigt sich in Feuchtgebieten: Hier werden die Pflanzen mit steigender Temperatur größer, exponierte Uferzonen sind davon jedoch ausgenommen.
„Insgesamt konnten wir zeigen, dass das globale Klima durchaus ein signifikanter Indikator für lokale Pflanzengesellschaften ist“, konstatiert Kambach. „Wenn wir uns auf veränderte Klimabedingungen vorbereiten wollen, insbesondere in der Land- und Forstwirtschaft, müssen wir aber sehr genau in die Lebensräume mit ähnlicher floristischer Zusammensetzung, gemeinsamer Evolutionsgeschichte und vergleichbaren Umweltbedingungen schauen.“
Insgesamt arbeiten sieben europäische Partnerinstitutionen an dem FeedBaCks-Projekt (Feedbacks between Biodiversity and Climate, biodiv-feedbacks.org), das an der WSL in Zürich koordiniert wird. Generelles Projektziel ist die Untersuchung der Rückkopplungsmechanismen von Biodiversität auf das Klima.
Studie: Kambach S. et al., Climate-trait relationships exhibit strong habitat specificity in plant communities across Europe. Nature Communications (2023). doi: 10.1038/s41467-023-36240-6
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