Die aktuelle Empörung vieler Politiker über die vielfach inakzeptablen Lebens- und Arbeitsbedingungen angesichts der gehäuften Corona-Fälle der Beschäftigten in Schlachtunternehmen ist nach Auffassung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) wenig glaubhaft. „Seit Jahren liegen der Bundesregierung, dem Bundestag, allen Landesregierungen und den betroffenen Kommunen Berichte über unhaltbare Zustände vor.“
„Bislang ergriffene Maßnahmen reichen nicht aus, systematisches Wegsehen und Weghören geht nicht mehr. Wir fordern Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner und Bundessozialminister Heil auf, die Verantwortlichen der Fleischbranche, der Zollbehörden und der Kommunen an einen Tisch zu holen. Es sind schnell verbindliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Arbeits- und Wohnsituation der Beschäftigten deutlich und dauerhaft zu verbessern.
Politik und Branche sind das den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dringend schuldig. Und das fordern auch Bäuerinnen und Bauern, die angesichts von Werkschließungen um den Absatz ihrer Tiere bangen und einen weiteren Preisverfall befürchten“, so Georg Janßen, AbL-Bundesgeschäftsführer in einer Mitteilung.
Janßen weiter: „Wir Bäuerinnen und Bauern haben ein Interesse an einer artgerechten Haltung der Nutztiere und an fairen Preisen, um unsere Existenzen zu sichern. Deshalb muss der Umbau der Tierhaltung angepackt werden, um der Nutztierhaltung eine wirtschaftliche Perspektive zu geben. Ein Konzept der so genannten Borchert-Kommission liegt der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag vor und muss jetzt umgesetzt werden.
Aber unsere Verantwortung endet nicht bei der Arbeit im Stall. Das System Billigfleisch kennt zu viele Verlierer: die Bäuerinnen und Bauern, die damit kein Geld verdienen; die Tiere, die nicht artgerecht gehalten werden; aber auch die Beschäftigten in vielen Werken der Fleischbranche, die aufgrund des internationalen Kostendrucks unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten müssen. Die AbL hat deshalb im letzten Jahr Kriterien zur Begleitung von Kooperationen zwischen Bäuerinnen und Bauern und dem Lebensmitteleinzelhandel vorgelegt, die auch die Lage der Beschäftigten in den Schlachthofunternehmen in den Blick nehmen.
Dort heißt es:
„Die Bundesregierung und die Verantwortlichen in der Wirtschaft müssen handeln, wenn Beschäftigte, die unsere Nutztiere in den Schlachthöfen schlachten, zerlegen und verarbeiten, menschenunwürdig behandelt werden. Die Ende 2017 im Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) zugesicherten Arbeitnehmerrechte- u.a. die Einhaltung des Mindestlohns, der Arbeitszeiten sowie dem kostenlosen Zugang zu Arbeitsmitteln- sind durch regelmäßige und verschärfte Kontrollen des Zolls zu überprüfen und die Unternehmen bei Verstößen scharf zu sanktionieren.
Um die arbeitsrechtliche Situation der Beschäftigten in der Fleischbranche deutlich zu verbessern, müssen die Werkvertrags- und Leiharbeit reduziert und der Anteil der Stammbelegschaft an den Beschäftigten deutlich erhöht werden. Die politisch Verantwortlichen in den Kommunen müssen in Zusammenarbeit mit den Schlachtunternehmen dafür sorgen, die zum Teil unzumutbare Unterbringung der Beschäftigten zeitnah zu beenden und die Wohnverhältnisse menschenwürdig zu gestalten. (Beschluss AbL-Bundesmitgliederversammlung, Weimar, 2019).“
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 78: Wie Corona auch das Leben der Leipziger verändert hat
Keine Kommentare bisher