Nicht nur das Ausmaß der Covid-19-Pandemie ist neu. Neu sind auch Begriffe, Wortschöpfungen und Stilmittel in der journalistischen Berichterstattung, in den Reden der Politiker und im Alltagsgebrauch. Prof. Dr. Daniela Pietrini, Romanistin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), beschäftigt sich mit der Linguistik der Corona-Krise und hat erste Erkenntnisse online veröffentlicht. Dafür analysiert sie Zeitungsartikel und Regierungsansprachen aus Italien und vergleicht sie mit denen aus Frankreich und Deutschland.
Das neuartige Coronavirus hält die Welt in Atem: Menschen sterben, Krankenhäuser stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen, die Sorge um Wirtschaft und Arbeitsplätze wächst, und viele Menschen opfern einen Teil ihrer Freiheit, indem sie zu Hause bleiben. Zeitungen, Fernseh- und Radiosender berichten ausführlich über die dramatische Situation, und Politiker wenden sich mit Botschaften an die Öffentlichkeit.
Daniela Pietrini, Professorin für italienische und französische Sprachwissenschaft an der MLU, beschäftigt sich mit den linguistischen Aspekten dieser Berichterstattung. “Als Sprachwissenschaftlerin kann ich keine Zeitungen lesen, ohne gleichzeitig auch auf die Ausdrucksweise aufmerksam zu werden”, sagt sie. Pietrini, die in Neapel geboren ist und deren Familie größtenteils in Italien lebt, hat begonnen, Zeitungsartikel zu analysieren, die sich mit dem Virus beschäftigen. “Diese kritische Reflexion bietet mir auch eine Möglichkeit, Abstand zu den Ereignissen zu halten”, sagt die Wissenschaftlerin.
Interessant sei, so Pietrini, welchen Weg der Begriff “Coronavirus” vom Fachterminus zur journalistischen Sprache bis hin zur Umgangssprache genommen habe. Weil Coronaviren seit SARS und MERS bekannt sind, war in der italienischen Presse zunächst von einem Coronavirus, mit zunehmender Verbreitung jedoch von dem Coronavirus die Rede. Zu Beginn der Epidemie finden sich auch diskriminierende Bezeichnungen, etwa “chinesisches Virus”, was mit der offiziellen Bezeichnung Sars-CoV-2 durch die WHO jedoch wieder verschwand.
Inzwischen berichten italienische Zeitungen nicht mehr von Covid-19, sondern nur noch von “Covid”. Es gibt “pazienti no Covid” – also Patienten, die an anderen Krankheiten leiden. Wenn von einer “Zeit a.C.” gesprochen wird, dann ist nicht etwa “vor Christus” gemeint, sondern “ante Coronavirus”, also die Zeit vor dem Ausbruch der Pandemie.
Auch Wortverschmelzungen finden sich: Aktuell höre und lese man Pietrini zufolge viel von “Coronabond”, einer Verbindung aus Coronavirus und Eurobond. In der Umgangssprache habe sich der “covidiota” etabliert, ein “Idiot, der sich nicht an die Maßnahmen hält und somit das Risiko der Ausbreitung des Virus erhöht”, so Pietrini.
Auch die Sprache der Politiker hat Daniela Pietrini analysiert. “Ich habe die ersten Ansprachen an die Nation jeweils von Giuseppe Conte, Emmanuel Macron und Angela Merkel miteinander verglichen”, sagt sie. Aufgefallen ist ihr dabei, dass vor allem Emmanuel Macron auf eine starke Kriegsmetaphorik setzt – das Wort “guerre”, Krieg, kommt in seiner Rede siebenmal vor. Angela Merkel verwendet “Krieg” nur einmal, der italienische Ministerpräsident hingegen gar nicht: Giuseppe Conte nutzt stattdessen maritime Metaphern und sagt beispielsweise “siamo sulla stessa barca” – “wir sitzen alle im selben Boot”.
Das Virus selbst spielt in den drei Reden eine unterschiedliche Rolle: Bei Macron und Merkel zählt es zu den am meisten verwendeten Substantiven, während Conte es nur zweimal erwähnt. Unterschiedliche Kommunikationsstrategien offenbart auch die Untersuchung der Stilmittel: “Die Rede von Merkel ist sehr sachlich, ihr Gebrauch von Wiederholungen und sonstigen Stilfiguren sehr ausgeglichen, Macron hingegen wirkt durch massive Wiederholungen sehr emphatisch, während Conte sich dazwischen positioniert und eine starke Empathie mit seinen Mitbürgern ausdrückt, indem er fast ausschließlich Wir-Botschaften verwendet”, erklärt Pietrini.
Ihre Erkenntnisse veröffentlicht Daniela Pietrini in einem wöchentlich erscheinenden Artikel auf der Internetseite des italienischen Enzyklopädie-Instituts Treccani. Aktuell untersucht sie die Kommunikation in den sozialen Netzwerken, speziell die Bildung von Slogans und Hashtags. “Ein anderer Aspekt, an dem ich gerade arbeite, sind die Anglizismen, die sich im Zusammenhang mit der Pandemie rasch verbreiten”, erzählt sie. “Ich denke hier beispielsweise an Lockdown, ein für das Italienische völlig neues Wort.”
Wenn die Pandemie überwunden ist, sollen die bis dahin erschienenen Beiträge – zusammen mit weiteren Texten, die mehr historischen Abstand zu den aktuellen Ereignissen haben – als größere Publikation veröffentlicht werden.
Zu den Texten von Daniela Pietrini bei Treccani: http://www.treccani.it/
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