An jenem Montag vor 30 Jahren, am 7. Mai 1989, fand in der damaligen DDR die Kommunalwahl statt. Zur Absicherung dieser „Schein-Wahl“ hatte die Stasi die Aktion „Symbol“ vorbereitet, doch Oppositionsgruppen hatten, so auch in Leipzig, eine Kontrolle der öffentlichen Stimmenauszählung organisiert. Dadurch konnte der regelmäßige Wahlbetrug der SED erstmals nachgewiesen werden.
Beteiligte an den Auszählungen sind bei der Veranstaltung am Dienstag, den 7. Mai 2019, im ehemaligen Stasi-Kinosaal in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ ebenso anwesend wie Personen, die von der Stasi daran gehindert worden sind. Der Eintritt ist frei.
Aus Anlass des 30. Jahrestages der Friedlichen Revolution lädt das Bürgerkomitee Leipzig e.V. zu einer neuen Gesprächsreihe mit Zeitzeugen ein. Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe „Heute vor 30 Jahren – Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ stehen herausragende Ereignisse des politischen Protestes in Leipzig, die zur Friedlichen Revolution, zum Sturz der SED-Diktatur und zu einem demokratischen Neuanfang führten.
Ebenso wie der Beginn der Weimarer Republik 1919 und die Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 in der Bundesrepublik ist die Friedliche Revolution von 1989 ein zentrales Datum der Demokratiegeschichte in Deutschland, dem wir uns wieder stärker bewusst werden sollten. Die mit ihr wiedererrungenen Werte – Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – sind heute für ein gemeinsames Zusammenleben in Europa grundlegend und unveräußerlich.
Rückblick: Am 15. Januar 2019 befasste sich der erste Teil der Gesprächsreihe mit der ersten ungenehmigten Demonstration für demokratische Grundrechte am 15. Januar 1989 in Leipzig. An dieser hatten sich nach der Verteilung von über 4.000 Flugblättern etwa 500 Bürger beteiligt; 53 von ihnen sind festgenommen worden.
Die nächste bedeutende Aktion war am 13. März 1989, als mehr als 500 DDR-Bürger, vorwiegend Ausreisewillige, nach einem Friedensgebet in der Nikolaikirche auf die Straße gingen und bei ihren Protesten lautstark riefen „Wir wollen raus! Wir wollen raus!“ Wegen der zur Messe anwesenden westlichen Journalisten griffen die Sicherheitskräfte nicht ein.
7. Mai 1989 – Kontrolle der gefälschten Kommunalwahl und Proteste
Beim dritten Teil der Gesprächsreihe rückt der 7. Mai 1989 in den Mittelpunkt: An jenem Tag fand die von der SED mit großem agitatorischem Aufwand vorbereitete Kommunalwahl statt. Den reibungslosen Ablauf dieser „Schein-Wahl“ versuchte die Staatssicherheit mit der Aktion „Symbol“ abzusichern.
Auf Flugblättern hatten Leipziger Bürgerrechtler alle Nichtwähler aufgerufen, ihre Wahlberechtigungsscheine demonstrativ in einer Urne auf dem Markt zu sammeln. Volkspolizei und Stasi verhafteten am Wahltag 76 Personen und verhörten sie bis in die Morgenstunden. Verschiedene Oppositionsgruppen organisierten, wie in vielen anderen Städten, auch in Leipzig eine Kontrolle der Stimmenauszählung.
Im Abgleich mit den veröffentlichten Ergebnissen gelang es erstmals, den von der SED organisierten Wahlbetrug nachzuweisen – in der Stadt Leipzig hatten „nur“ 90,16 Prozent statt der offiziell verkündeten 96,86 Prozent für den Wahlvorschlag der SED-dominierten „Nationalen Front“ gestimmt. Erstmals war es gelungen, der SED den Wahlbetrug nachzuweisen.
Dennoch liefen alle Einsprüche gegen das Wahlergebnis und Strafanzeigen ins Leere. Für viele bis dahin systemloyale Bürger war an diesem Tag die Illusion vom „Rechtsstaat DDR“ zusammengebrochen. Erst im Juni 1990 wurde der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister, Bernd Seidel, auf Grundlage der dokumentierten Auszählungsergebnisse wegen Wahlfälschung zu acht Monaten Freiheitsentzug auf Bewährung verurteilt.
Gesprächsteilnehmer setzten sich vor 30 Jahren für freie Wahlen ein
Bei der neuen Veranstaltungsreihe „Heute vor 30 Jahren: Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ werden die jeweiligen Ereignisse aus dem Jahr 1989 und deren Hintergründe zunächst in einem einführenden Vortrag beleuchtet. Auch das zeitgenössische Filmmaterial wird zu sehen sein. Im Anschluss kommen die Zeitzeugen Jürgen Tallig, Helmut Nitzsche, Christian Schulze und Frank Pörner unter der Moderation von Reinhard Bohse über das damalige Geschehen, aber auch über dessen Bedeutung für die heutige Gesellschaft miteinander und mit dem Publikum ins Gespräch.
Sie berichten unter anderem, wie sie sich bei der Stimmenauszählung und Kontrolle der Kommunalwahl beteiligt hatten, welche Stimmung in den Wahllokalen herrschte, aber auch wie sie teilweise von der Stasi an der Auszählung gehindert worden sind.
Veranstaltungsort: ehem. Stasi-Kinosaal der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“.
Eintritt frei.
Die nächsten Termine der Reihe sind der 4. Juni 2019 (Pleißepilgerweg) und 10. Juni 2019 (Straßenmusikfestival).
Leipziger Zeitung: Wo ein Wille ist … zwei Wahlen stehen vor der Tür
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