Austauschstudierende sind einer Studie der Universität Leipzig zufolge sehr motiviert, die Sprache ihres Gastlandes zu erlernen, beklagen jedoch mangelnde Kontakte zu Einheimischen. Das geht aus einer Studie von Prof. Dr. Sabine Fiedler vom Institut für Anglistik der Universität Leipzig hervor.
Gemeinsam mit zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern hat sie in dem vierjährigen, EU-finanzierten Projekt “Mobilität und Inklusion in einem vielsprachigen Europa (MIME)” die sprachliche Kommunikation in Europa untersucht und jetzt Ergebnisse präsentiert.
Fiedler und ihr Kollege Dr. Cyril Brosch befragten von Herbst 2015 bis Mai 2018 mehr als 550 ausländische Studierende an der Universität Leipzig sowie Studierende aus ganz Deutschland, die über das Programm Erasmus+ an ausländische Hochschulen gegangen sind, zu ihrem Sprachverhalten. Daraus ging hervor, dass die große Mehrheit der Austauschstudierenden am Erlernen der Landessprache ihres Studienortes sehr interessiert ist. „In der Realität werden jedoch nicht alle Vorhaben realisiert. Das betrifft vor allem Länder mit sogenannten kleinen Sprachen, in denen Englisch die Unterrichtssprache ist. Der Aufenthalt von einem oder zwei Semestern ist natürlich auch relativ kurz, um eine neue Sprache zu lernen. Da sollte man bereits beginnen, nachdem man die Zusage für einen Platz im Erasmusprogramm bekommen hat“, rät die Sprachwissenschaftlerin.
Häufig gebe es im Gastland dann aber auch Probleme, einen geeigneten Kurs in der gewünschten Niveaustufe zu finden. Auch die Unterbringung mit anderen Austauschstudierenden erschwere die Anwendung der neu erlernten Sprache, sodass man sich lieber des Englischen bedient. Viele beklagten, dass sie zu wenig Kontakt zu den Studierenden und zur Bevölkerung des Gastlandes haben. Eine große Anzahl von Studierenden verbessere vor allem ihre Englischkenntnisse während des Auslandsaufenthaltes. Das Erlernen der Landessprache könne aber gefördert werden, beispielsweise durch das Tandem-Sprachlernprogramm der Universität Leipzig oder durch Online-Sprachtagebücher.
Das Forscherteam befragte auch dutzende Asylbewerber und andere Migranten zu ihren Sprachkenntnissen. Mehr als die Hälfte von ihnen war der Ansicht, dass man mit Englisch in Deutschland nicht sehr weit kommt und zog daraus eine zusätzliche Motivation zum Deutschlernen. „Sie betrachten es als normal, manche auch als Verpflichtung und eine Frage des Respekts, sich die Sprache anzueignen, wenn sie in einem neuen Land leben. Einige wollten auch die Sprache lernen, um Arbeit entsprechend ihrer Qualifikation finden zu können oder weil sie dadurch besser behandelt werden“, sagt Fiedler. Asylbewerber müssten meist ein halbes Jahr auf den Beginn eines offiziellen Sprachkurses warten. In dieser Zeit kommunizierten sie in Englisch, um so das alltägliche Leben zu meistern. Wenn sie dann Deutsch lernen, gehe der Gebrauch der Muttersprache und des Englischen zurück.
„Unsere Untersuchungen ergaben, dass Englisch den Erwerb der Landessprache durchaus fördern kann, vor allem wenn die zu erlernende zweite Sprache mit der schon gesprochenen verwandt ist, wie bei Deutsch und Englisch. Da ist die Kenntnis des Alphabets und der Schreibrichtung von Vorteil. Es gibt auch lexikalische Ähnlichkeiten“, berichtet Fiedler weiter. Dieser positive Aspekt sollte ihrer Ansicht nach in den Deutschkursen genutzt werden. Dazu sei es erforderlich, den Sprachstand genau zu kennen, um homogene Gruppen bilden zu können.
Gute Englischkenntnisse könnten sich jedoch auch negativ auf das Erlernen der Landessprache auswirken, weil es bequem ist, sich darauf zu verlassen und der Beginn des wirklichen Gebrauchs der Landessprache verzögert wird. Das werde von vielen Migranten erkannt und als ein Dilemma empfunden. Viele beklagten in den Befragungen, dass sie nicht genügend Gelegenheit zur Anwendung der deutschen Sprache haben.
Die Forscher der Universität Leipzig befassten sich auch mit dem Stellenwert des Englischen als Wissenschaftssprache. Diese sei zwar weiter im Aufwind, aber nicht unumstritten. „Es bringt den Muttersprachlern gewaltige Vorteile im Vergleich zu denen, die diese Sprache erlernen müssen. Es lassen sich nach unseren Beobachtungen auch Bemühungen erkennen, dass zum Beispiel Konferenzen mehrere Sprachen zulassen oder Vorträge in Englisch von anderssprachigen Folien oder Handouts begleitet werden. Internationalisierung von Hochschulen sollte nicht mit Anglisierung gleichgesetzt werden. Es muss Lehre und Forschung nach wie vor in der Landessprache geben“, betont Fiedler.
Über das Forschungsprojekt MIME
Das Forschungsprojekt zur Kommunikation in Europa mit dem Titel “Mobility and Inclusion in Multilingual Europe (MIME)” wurde von der EU mit fünf Millionen Euro gefördert. Der Anteil der Universität Leipzig betrug etwa 350 000 Euro. Es verband etwa 70 Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen aus 22 Universitäten und Forschungsinstitutionen in 16 Ländern. Ziel des Projekts war es, durch fundierte Forschung und interdisziplinäre Zusammenarbeit innovative Lösungen für Herausforderungen der Mehrsprachigkeit zu finden, die sich aus den widerstrebenden Zielen Mobilität und Inklusion ergeben – je mobiler man ist, desto schwerer fällt Integration und umgekehrt.
Die Forscher der Universität Leipzig befassten sich konkret mit der Lingua-Franca-Kommunikation, also mit dem Einsatz von Verkehrssprachen wie zum Beispiel dem internationalen Englisch, aber auch dem noch wenig untersuchten Esperanto. Ein wissenschaftlicher Sammelband mit den wichtigsten Ergebnissen des Projektes ist noch in Arbeit. Im Rahmen des MIME-Projekts entstand aber auch ein praktisches Handbuch, das sogenannte Vademecum, das in Form von 72 Fragen und Antworten Handlungsanregungen für diejenigen gibt, die in der Praxis mit Problemen der Mehrsprachigkeit zu tun haben.
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