Patienten mit Polydipsie und Polyurie trinken viel und scheiden viel Flüssigkeit aus. Bis zu 20 Liter Flüssigkeit setzen sie am Tag um - und das beeinträchtigt sie akut im alltäglichen Leben. Wissenschaftler der Leipziger Universitätsmedizin haben nun zusammen mit Kollegen der Universitäten Basel und Würzburg ein neues Diagnoseverfahren entwickelt.
Das bestimmt erstmals zuverlässig auch die Ursache der Erkrankung und so kann die Therapie optimal auf den Patienten abgestimmt werden. Diese Ergebnisse haben die Forscher jetzt im Fachjournal New England Journal of Medicine veröffentlicht. Das neue Testverfahren wird in der Leipziger Universitätsmedizin sogar schon angewendet.
Die Nieren reinigen und filtern unser Blut. Pro Tag säubern sie rund 300 Mal die etwa sechs Liter Blut im Körper: Wichtige Substanzen wie Eiweiße oder Mineralien bleiben im Blut, Stoffwechselabfallprodukte hingegen filtert das Organ heraus und scheidet sie über den Urin aus. Aus circa 180 Litern, die täglich gefiltert werden, gelangen nur zwei bis drei Liter konzentriert in die Harnblase – der Rest bleibt dem Körper erhalten.
Möglich machen das verschiedene Hormone, unter anderem das Antidiuretische Hormon (Arginin Vasopressin Peptid, AVP), das im Hypothalamus im Zwischenhirn gebildet und von der Neurohypophyse ins Blut ausgeschüttet wird. Es sorgt in der Niere dafür, dass der Körper so wenig Wasser wie möglich verliert.
Dieses Zusammenspiel gerät bei zu hohen Trinkmengen jedoch aus dem Takt: Wer konstant Flüssigkeit im Übermaß konsumiert, beeinträchtigt die Harnbildungsfunktion der Nieren – sie können die Flüssigkeitsmengen nicht mehr zurückhalten.
Patienten im Alltag erheblich eingeschränkt
Genau das ist bei Patienten mit Polyurie, einer krankhaft erhöhten Urinausscheidung, und Polydipsie, einem krankhaft gesteigertem Durstempfinden, der Fall. Viele leiden auch an Diabetes insipidus, dem griechischen Begriff für „Wasserruhr“ und zu unterscheiden vom Diabetes mellitus, bei dem ein süßlicher Urin ausgeschieden wird. Diese Krankheit vereint beide Symptome.
„Die Patienten haben einen Flüssigkeitsumsatz von bis zu 20 Litern am Tag. Sie sind in ihrem Alltag sehr eingeschränkt, können das Haus ohne reichlich Wasservorrat kaum verlassen. Besonders gefährlich wird es nach einem Unfall, wenn den Ärzten die Diagnose nicht bekannt ist. Dann geraten die Betroffenen schnell in ein Flüssigkeitsdefizit und entwickeln neurologische Komplikationen, an denen sie auch versterben können. Diese Komplikationen erleben wir in Unkenntnis tatsächlich nicht so selten“, sagt Dr. Wiebke Fenske, Studienleiterin und Leiterin der Nachwuchsforschergruppe „Neuroendokrine Mechanismen“ des IFB AdipositasErkrankungen.
Drei Hauptursachen bedingen gestörten Flüssigkeitshaushalt
Polyurie und Polydipsie können verschiedene Ursachen haben: Häufig leiden Patienten an einem angeborenen oder erworbenen Hormonmangel, oder die Nieren sprechen auf das Hormon nur ungenügend an. Krankhaft gesteigertes Durstempfinden kann man sich auch antrainieren: Die häufigste Ursache sei tatsächlich das fehlerlernte Trinkverhalten, so Fenske.
Wobei dies auch psychische Ursachen haben oder medikamentös bedingt sein kann. Bei der Diagnose der Krankheit ist es wichtig, das primäre Krankheitsbild zu identifizieren: Trinkt der Patient viel, weil er zu viel Urin ausscheidet und so einem Flüssigkeitsdefizit vorbeugt? Oder trinkt er zu viel, weil sein Durstempfinden gestört ist? „Wenn wir die Betroffenen in Unkenntnis der eigentlichen Ursache falsch medikamentös behandeln, kann das für die Patienten schwerwiegende Komplikationen bedeuten“, sagt Dr. Wiebke Fenske.
Einfacher, sicherer, günstiger: Neues Testverfahren in zehnjähriger Forschungsarbeit entwickelt
Bislang haben Mediziner die Krankheit durch einen indirekten Durst-Versuch diagnostiziert. Der ist für die Patienten sehr quälend, da sie einen Tag lang gar nichts trinken dürfen. Der Test erlaubt zudem leider oftmals nur wenig Rückschlüsse auf die Ursache des gestörten Flüssigkeitshaushalts.
Das von Wiebke Fenske und Kollegen erarbeitete Diagnoseverfahren bietet erstmals genau das: Die Ergebnisse des Tests zeigen, ob das Hormon AVP vom Gehirn nicht mehr ausreichend gebildet wird, in der Niere nicht mehr angemessen wirkt oder ob eine Störung des Durstempfindens den Beschwerden zugrunde liegt. „Somit können wir die Patienten nun zielgerichtet therapieren und umgehen mögliche krankheitsbedingte Wechselwirkungen mit dem Testverfahren und Komplikationen durch Fehlbehandlung“, erklärt Fenske.
In zehnjähriger Forschungsarbeit haben die Forscher das Diagnoseverfahren entwickelt. In einer großen, internationalen Studie konnten sie nun zeigen, dass das neue Verfahren in bis zu 96,5 Prozent der Fälle die richtige Ursache erkennt und damit sehr viel zuverlässiger ist als der indirekte Durst-Versuch. Zudem ist das Verfahren kostengünstiger, schneller und wird von den Patienten besser akzeptiert.
Sie bekommen eine Infusion, gefolgt von einer Blutentnahme nach etwa einer Stunde. Die Ärzte bestimmen darin einen Biomarker, das Copeptin, der Aufschluss über die körpereigene Bildung und Funktionalität des Hormons AVP gibt. Das neue Testverfahren wird nun Diagnosestandard bei Patienten mit Polyurie-Polydipsie-Syndrom. In der Leipziger Universitätsmedizin wird es bereits angewendet.
Originalititel der Veröffentlichung in „New England Journal of Medicine“:
„A Copeptin-Based Approach in the Diagnosis of Diabetes Insipidus“, DOI: 10.1056/NEJMoa1803760.
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