Die international renommierte, türkische Rechts- und Politikwissenschaftlerin İştar Gözaydın Savaşır hat in diesem Semester die Leibniz-Professur der Universität Leipzig inne. Bis heute konnte sie diese aber formal nicht antreten: Denn die türkischen Behörden verwehren der Menschenrechtsaktivistin die Ausstellung eines Reisepasses.
Im Kontext der Verfolgung der Gülen-Bewegung war sie unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung inhaftiert, bis April 2017 saß sie in Untersuchungshaft – und wurde erst im März dieses Jahres nach mehreren Gerichtsverhandlungen freigesprochen. Nun ist geplant, dass die 59-Jährige ihre Antrittsvorlesung an der Universität Leipzig via Skype halten wird, wenn sie bis zum 15. Mai 2018 nicht ausreisen und eine ordentliche Antrittsvorlesung halten kann.
Am 15. Mai 2018 wird Prof Dr. İştar Gözaydın Savaşır in ihrem Vortrag zum Thema „The desire was there – A brief account of Turkey’s path to authoritarianism especially in 2010’s and its possible impact on international affairs“ sprechen.
Ihre Antrittsvorlesung wird nach jetzigem Stand um 18 Uhr in den Räumlichkeiten der Research Academy Leipzig in der Wächterstraße 30, 04107 Leipzig, per Skype übertragen. „Ich bin optimistisch und hoffe sehr, dass Frau Gözaydın Savaşır nach Leipzig kommen und ich sie an der Universität persönlich begrüßen kann“, sagt die Rektorin der Universität Leipzig, Prof. Dr. Beate Schücking.
Die akademischen Arbeiten von Gözaydın Savaşır bewegen sich an der Schnittstelle von Rechtswissenschaften und Soziologie. „Vor allem ihre Arbeiten zum institutionellen Verhältnis von Religion und Politik in der Türkei sowie zum staatlichen türkischen Präsidium für Religionsangelegenheiten, über das sie promoviert und ausgiebig publiziert hat, gelten als grundlegend“, erläutert die Direktorin des Leibniz-Programms, Prof. Dr. Monika Wohlrab-Sahr. Nicht zuletzt aufgrund dieses Schwerpunktes sei sie für die Leibnizprofessur ausgewählt worden, um die Arbeit der Kollegforschergruppe „Multiple Secularities: Beyond the West, Beyond Modernities“ zu unterstützen.
Durch zahlreiche Vorträge, Veröffentlichungen und wissenschaftliche Kooperationen ist Gözaydın Savaşır international bekannt und vernetzt. „Dabei mischt sie sich als Akademikerin und Juristin auch kritisch in politische Debatten in der Türkei ein und tritt insbesondere für Menschenrechtsfragen und Rechtsstaatlichkeit ein“, so Wohlrab-Sahr weiter. Die rechtliche und politische Gleichstellung von benachteiligten Bevölkerungsgruppierungen, nicht zuletzt der religiösen Minderheiten, sei ihr ein großes Anliegen.
Im Zuge ihres Einsatzes für den Dialog zwischen den rivalisierenden religiösen Lagern in der Türkei stand Gözaydın Savaşır auch in Kontakt mit der Gülen-Bewegung, die von der türkischen Regierung für den missglückten Staatsstreich von 2016 verantwortlich gemacht wird. Kurz nach dem versuchten Staatsstreich wurde ihre Stelle an der Gülen-nahen, privaten Gediz Universität, wo sie zuletzt dem Fachbereich Soziologie vorstand, gekündigt. Die Universität wurde kurz darauf, im Juli 2016, per Notstandsdekret geschlossen.
Zur Person: Prof. Dr. İştar Gözaydın Savaşır hat am International Law Institute der Georgetown University, der New York University School of Law (Master of Comparative Jurisprudence, 1987) und an der Universität Istanbul (Promotion 1992) Jura studiert. Ihre Dozentur (vergleichbar der Habilitation) erlangte sie 1997. Im Jahr 2006 wurde sie zur Ordentlichen Professorin ernannt. Sie lehrte unter anderem an der Mimar Sinan Universität in Istanbul, der Technischen Universität Istanbul, der Doğuş Universität (Istanbul) und der Gediz Universität (Izmir).
Sie fungierte dabei nicht nur als Hochschullehrerin, sondern auch als Fachbereichsvorsitzende und Dekanin. Die Wissenschaftlerin war darüber hinaus unter anderem Fulbright Stipendiatin und Fellow am Birkbeck College der Universität London.
Gözaydın Savaşır ist Mitbegründerin des türkischen Zweiges der Helsinki Citizens’ Assembly, einer zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsorganisation, die sich europaweit engagiert. Für ihre Rolle als Streiterin für Freiheitlichkeit, Demokratisierung und Menschenrechte in der Türkei wurde sie 2017 von der Universität Oslo mit einem Menschenrechtspreis ausgezeichnet.
Musikliebhabern in der Türkei ist sie darüber hinaus auch durch ihr Engagement beim Offenen Radio Istanbul (Açık Radyo) bekannt, wo sie seit 1995 ein wöchentlich ausgestrahltes Musikprogramm moderiert – seit mehreren Jahren mit einem Fokus auf der Musik von Johann Sebastian Bach.
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