Als die Leipziger Ratsversammlung am 22. Januar 2020 mit knapper Stimmenmehrheit den Beschlussvorschlag des Stadtrates Thomas Kumbernuss (Die PARTEI) zur Umbenennung der Arndtstraße in Hannah-Arendt-Straße annahm, war der federführende Stadtrat wohl selbst ein wenig überrascht. Mit einer Mehrheit, die sich letztlich auf Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, aber auch auf Stimmen der SPD (darunter auch OBM Jung) stützte, konnte Kumbernuss, der sein Ratsmandat seit September 2019 ausübt, nicht unbedingt rechnen.

Mit Arendt gegen Arndt?

Der gegenwärtigen Kontroverse um Leipziger Straßennamen und deren Prüfung mangelt es an historischem Gespür und wissenschaftlicher Expertise

von Roman Yos

Als die Leipziger Ratsversammlung am 22. Januar 2020 mit knapper Stimmenmehrheit den Beschlussvorschlag des Stadtrates Thomas Kumbernuss (Die PARTEI) zur Umbenennung der Arndtstraße in Hannah-Arendt-Straße annahm, war der federführende Stadtrat wohl selbst ein wenig überrascht. Mit einer Mehrheit, die sich letztlich auf Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, aber auch auf Stimmen der SPD (darunter auch OBM Jung) stützte, konnte Kumbernuss, der sein Ratsmandat seit September 2019 ausübt, nicht unbedingt rechnen.

Schließlich richtete sich das Votum für eine Umbenennung nach entsprechender Vorberatung und Anhörung des Fachausschusses des Dezernats für Allgemeine Verwaltung ausdrücklich gegen die von dieser Seite her geäußerten Bedenken. Konkret beinhaltete die Stellungnahme der Verwaltung zwei alternative Vorschläge: zum einen sollte der Name der Philosophin Hannah Arendt in den sogenannten Namensvorrat für Straßenbenennungen aufgenommen werden, zum anderen schlug das betreffende Dezernat vor, eine Erläuterungstafel zur Person Ernst Moritz Arndts anzubringen.

Keine Frage – wäre die Ratsversammlung auf die Linie der Verwaltung eingeschwenkt, stünde heute mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Namensstreit ins Haus. Die Stellen der städtischen Verwaltung und die von der Umbenennung betroffenen Adressat/-innen wären wohl weitgehend unbehelligt geblieben. Aber um nicht falsch verstanden zu werden: Es ist bei weitem nicht so, dass die Verwaltungsalternative keinerlei Ansatzpunkt für weitergehende Erwägungen böte.

So hebt das Dezernatsschreiben etwa heraus, dass Ambivalenzen in der Lebensgeschichte vieler bedeutender Persönlichkeiten eher die Regel seien und dass Straßennamen „in ihrer Gesamtheit und Benennungsgeschichte“ ein „öffentliches Stadtgedächtnis“ bilden. Auch wird dort zu bedenken gegeben, dass wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse genauso zum heutigen Selbstverständnis bei der Vergabe von Straßennamen gehören wie die in zeitlicher Distanz entstandenen Abweichungen, die sich im Rückblick auf historische Persönlichkeiten herausgeschält haben.

Da aber das Verwaltungsschriftstück über die erwähnte Möglichkeit einer Erläuterungstafel hinaus mit keiner Silbe darauf eingeht, wie man den Prozess der Auskristallisation eines solchen öffentlichen Gedächtnisses unter die Leute bringt, wird der zukünftige Erklärungsdruck wohl einstweilen auf den Beschlussbefürworter*innen lasten, die die Debatte um Leipziger Straßennamen qua Beschluss überhaupt erst so richtig angefacht haben. Ob diese nun allerdings weiter auflodert und brauchbare Ergebnisse zeitigt oder einfach nur zwischen Parlament und LVZ-Leserbriefforum ausglimmt, hängt davon ab, ob der ausgelegte Diskussionsfaden mit guten Argumenten aufgenommen wird.

Der zuletzt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingereichte Antrag zur kritischen Begleitung der Straßenbenennung, der sowohl die Einrichtung einer wissenschaftlichen Kommission vorsieht als auch eine geeignete Einbeziehung der betroffenen Anwohner/-innen vorschlägt, wurde zwar in der LVZ (vom 27.02.) zu einem argumentfreien Potpourri entstellt, könnte aber in eben diesem Sinne einer Aufnahme des Diskussionsfadens verstanden werden.

Dass es generell ein schwieriges Unterfangen ist, Sinn und Zweck des Nachdenkens über die Vergabe von Straßennamen zu Ehren historischer Persönlichkeiten zu hinterfragen und allgemein zu rechtfertigende Kriterien für derartige Ehrbekundungen zu ermitteln, die die aktuellen Vorgaben sinnvoll ergänzen, ist eines der drängenden Probleme, das sich gewiss nicht weiterhin über die betroffenen Köpfe hinwegentscheidend auflösen lässt.

Ein anderes Problem in diesem Zusammenhang knüpft sich allerdings auch an die Frage, ob die bereits beschlossene Umwandlung von Arndt in Arendt tatsächlich als gelungener Startschuss für ein grundlegendes Nach-, Über- oder Umdenken angesehen werden darf. Denn gerade die wortkarge Begründung des sonst auf bissige Satire bedachten Stadtrats, die die jetzige Umbenennungsdiskussion ins Rollen gebracht hat, birgt ein gravierendes Versäumnis.

Im Kern geht es darum, dass es allem Anschein nach eine ernsthafte sowohl Arndt als auch Arendt betreffende Auseinandersetzung im Vorfeld der Stadtratsabstimmung gar nicht gegeben hat. Sicher, im Fall Ernst Moritz Arndt konnten sich die Antragsunterstützenden in Sicherheit wiegen, zumal die Universität Greifswald in einem gut 10-jährigen Prozess jede biographische und rechtliche Windung ausgeleuchtet hat, die jene 2018 erfolgte Namensablegung als nunmehr gerechtfertigten Schritt erscheinen lässt.

Allerdings, so muss man vergleichend hinzufügen, hat es dort im Gegensatz zum anstehenden Namenswechsel in der Leipziger Südvorstadt auch keinen prestigeträchtigen neuen Namensbezug gegeben. Es stünde der Stadt „gesitteter … den schändlichen Namen der Arndtstraße einem Joch gleich abzulegen und stattdessen die Straße nach einer Frau zu benennen, deren Wirken der Aufklärung gewidmet war, Hannah Arendt, jüdische deutsch-amerikanische Historikerin und Publizistin!“, heißt es in der Antragsbegründung von Kumbernuss. Aber in genau dieser plakativen Kurzformel der Begründung liegt das Problem, da sich bedauerlicherweise kein weiterführendes Wort über die Person Arendts, ihr Werk und ihre Wirkung findet.

Damit wird der Eindruck befördert, man dürfe davon ausgehen, dass all dies bereits bekannt und die betreffende Person über jeden Verdacht erhaben sei. Öffentlich ist dies aber kaum noch glaubhaft zu machen. Wie kann es sein, dass offenbar niemand aus dem Kreis der Befürworter*innen einer Umbenennung zur Kenntnis genommen hat, dass es seit längerem eine (immer noch anhaltende) wissenschaftliche Debatte über die Schattenseiten von Hannah Arendts Denken gibt? Ist es vorstellbar, dass niemand auf die Idee kam, sich im Vorfeld der Abstimmung mit ein paar Mausklicks ein ungefähres Bild vom aktuellen Forschungsstand zu machen?

Dabei kommt man beispielsweise seit längerem nicht mehr um die Feststellung herum, dass Arendt einem auf den abendländischen Bildungskanon mehr oder weniger festgelegten Eliteverständnis anhing, das sie zuweilen einen abschätzigen Blick auf diejenigen werfen ließ, die diese Tradition aufgrund ihrer eigenen kulturellen Vorprägungen nicht zu teilen vermochten. Da aber einige Äußerungen der Philosophin in diese Sparte fallen, wird ihr deshalb zu Recht eine eurozentristische und ethnozentrische Sichtweise vorgeworfen. Und auch um die ebenfalls bekannten Vorwürfe, Arendt habe etwa im Zusammenhang mit der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung rassistische Aussagen getätigt, kann man heute keinen Bogen mehr machen.

Aber um auch hier kein falsches Gleis auszulegen: Arendts Verdienste für die philosophisch-historische Betrachtung politischen Denkens bleiben unbenommen. Und es wird daher auch keineswegs leicht sein, sich ein ausgewogenes Bild ihres Wirkens zu verschaffen. Entscheidend aber ist, ob man sich im Zuge der gegenwärtigen Namensdebatte den erwünschten moralischen Mehrwert nur erschleicht, indem man die unliebsamen (mit etwas wissenschaftlichem Aufwand belegbaren) Fakten verschweigt oder ob man von dieser fragwürdigen Strategie noch einmal abrückt.

Dass man Fehlgriffe im Traditionsbezug nicht durch Verschweigen korrigiert, weil man damit hinter das Niveau der Stunde zurückfällt, wusste niemand besser als Hannah Arendt selbst: „[D]ie elementaren Probleme des Politischen treten in ihrer unmittelbaren und einfachen Dringlichkeit niemals so klar zutage, als wenn sie zum ersten Mal formuliert und wieder, wenn diese Formulierungen schließlich in aller Radikalität in Frage gestellt werden.“, heißt es in ihrem Essay über „Tradition und die Neuzeit“. Wenn man Arendt dahingehend beim Wort nehmen möchte und ihrem Gedenken in irgendeiner Weise gerecht werden will, tut man gut daran, sich auch mit den Missgriffen ihres Denkens auseinanderzusetzen. Wer im Jahr 2020 eine Straße nach ihr benennen will, muss sich daher mit dem Gedanken anfreunden, mit Arendt gegen Arendt denken zu müssen.

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Der Stadtrat tagte: Der Süden bekommt eine Hannah-Arendt-Straße + Video

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