Von Bernd Gerken: Die Pleiße nimmt also auch – ganz natürlich – an naturkundlichem Wert zu! Das zeigt uns, was altbekannt ist: Wer „Natur im und am Wasser“ schützen will, darf einen guten Teil der Arbeit der Natur selbst überlassen. Der Beseitigung von Störstellen wird genau das zum Opfer fallen, was u.v.a. Steinfliegen, Köcherfliegen und Libellen als wesentliches Lebensraumelement brauchen. Zu dem, was als „Störstelle“ bezeichnet wird, gehört die bewegte, sich verlagernde Gewässersohle mit Untiefen und Kolken – Ausdruck der natürlichen Wasserbewegung und ihrer Befähigung Boden, Sand, Steine – und Lebewesen zu transportieren ... etc.
Diese natürliche Eigenschaft wird jedoch – mit einem bekannt abträglichen Beigeschmack – als „Störstelle“ bezeichnet. Doch sie ist ausdrücklich ein Wesensmerkmal eines sich natürlich selbst gestaltenden Fließgewässers. Unebenheiten der Gewässersohle bilden sich in Gewässern sogar dann wieder aus, wenn sie einmal naturfern bis naturfremd mit Regelprofil etc. ausgebaut worden sind. Solange die Sohle nicht befestigt wurde, wird jedes Fließgewässer seiner Natur nach sofort wieder mit der Herstellung der für es typischen natürlichen Ordnung beginnen.
In Form der Störstellenbeseitigung wird dadurch – unter Einsatz von kommunalem und staatlichem Geld – die Wiederbelebung der Natur unterbunden. Die Kosten der Planung und der Ausführung sind nachzulesen – sie sind beträchtlich. Diese Mittel fehlen der Realisierung der im Auwald Leipzig vielfältig möglichen Sanierungsmaßnahmen und dabei insbesondere des Wasserhaushalts.
Hinzu kommt, dass diese Maßnahmen in gewissen Abständen erneut durchgeführt werden müssen, denn der Fluss schafft ja seiner Natur nach „unbeirrt“ weiter. Wer also jetzt solche Maßnahmen gegen die Natur eines Fließgewässers ergreift, übernimmt auch eine Verpflichtung, dies in späteren Jahren immer wieder zu tun. Es ergibt sich ein periodisch wiederkehrender Aufwand.
Da diese Maßnahmen jedoch bereits jetzt gegen besseres auenökologisches Wissen, gute Gewässerzustände fördernde Maßnahmen vielerorts bereits Landschaft-sanierend umgesetzt werden sowie zukunftsweisende Ideen zu einer naturnahen der Lenkung des Abflusses einschließlich einer naturnahen Absicherung gegen gefährliche Hochwasser Form annehmen, wird absehbar der Versuch in 3-6 Jahren (?) erneut entstandene Störstellen zu beseitigen, erneut gegen fachlich begründete Ablehnung anzukämpfen haben. Diese Ablehnung wird bis dahin vermutlich an Deutlichkeit gewonnen haben.
Absehbar sind daher die jetzigen Mittel in den Sand gesetzt, es sei denn, die EU zieht ihre Zielsetzung zurück, europaweit ökologisch gute Gewässerzustände bis 2028 zu erreichen. Das ist jedoch nicht absehbar, denn es gibt mehr Gründe, die für eine Verschärfung dieser Zielsetzung sprechen, als von ihr Abstand zu nehmen.
Gründe, die für eine Verschärfung dieser Zielsetzung sprechen, liegen in der übergeordneten Bedeutung, die Fließgewässer und ihre Auen in der Landschaft und für Menschen erfüllen. Sie wirken regulierend auf das Regionalklima – was gerade für eine wachsende Stadt von herausragender Bedeutung ist – und sie sind wesentliche Partner bei der Bereithaltung guten Grundwassers. Diese letztere Funktion können sie jedoch nur übernehmen, wenn periodisch Überflutungen auftreten dürfen.
Dieser Aufgabe werden die Auwald-, Wiesen- und Ackerbereiche im Zuständigkeitsbereich Leipzigs derzeit kaum bis nicht gerecht. Das ist meines Erachtens weithin bekannt, und kann in Kürze ergänzend kommentiert werden.
Aktuell stellt sich die Frage, wer z. B. der EU die Eingriffe mit Zukunftsbindung („Störstellenbeseitigung“) verständlich erklären kann, da diese per Wasserrahmenrichtlinie bis 2028 einen ökologisch guten Zustand der Gewässer auf europäischer Ebene nicht nur anstrebt, sondern fordert? Altmodische Verfahren, wozu es gehört, naturnahe sukzedierende Gewässer schiffbar zu machen, hat man somit von oberster Stelle bereits vor Jahren eine Absage erteilt!
Die EU meint mit ihrer Gesetzgebung selbstverständlich auch die Leipziger Gewässer.
Die natürliche Vernetzung der Gewässer mit dem Auwald ist bekannt und sie ist wiederum für die EU und sächsische obere Naturschutzbehörden der Anlass gewesen, dem Leipziger Auensystem einen hohen Schutzstatus zu verleihen. Man könnte diesem ausgedehnten Gefüge durchaus das Prädikat „Welterbe“ verleihen – und Stadt und Bürger sollten nun dafür entschlossen eintreten.
Dass dem gesamtökologisch notwendigen und direkt auch für Siedlungen und Städte wichtigen Ziel der Gewässer- und Auwald-Revitalisierung sogar mit öffentlichen Mitteln seitens der Stadt entgegengewirkt wird, empfinde ich als unhaltbaren Zustand.
Gesprächen anlässlich einiger naturkundlicher Wanderungen im Juni, Juli und September 2014 und d. J. habe ich entnommen, dass seitens der Bevölkerung ausdrücklich eine umfassende Revitalisierung im Leipziger Auensystem gewünscht wird.
Das offensichtliche Interesse der Bürgerinnen und Bürger erscheint mir als bedeutendes Pfand, und durchaus auch als Auftrag und Legitimierung der Stadt und der am Wasser zuständigen Landesdienststellen, die Standortbedingungen im Auensystem und den Zustand der Gewässer und des Waldes hin zu einem naturnahen Zustand nach Kräften zu fördern.
Die Fortsetzung dieser Betrachtungen folgt.
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
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