Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden hat mit Urteil vom gestrigen Tag die Angeklagte Lina E. und drei weitere Angeklagte zu Freiheitsstrafen verurteilt. Daneben hat es mehreren Geschädigten Schmerzensgeld sowie Schadensersatz zugesprochen. Einen Teil der Vorwürfe hat der Senat als nicht erwiesen angesehen.
I. Die Angeklagte Lina E. wurde wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, mehrfacher gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Urkundenfälschung, Diebstahl und Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Im Übrigen wurde die Angeklagte von dem Vorwurf der Beteiligung an zwei weiteren gefährlichen Körperverletzungen freigesprochen.
Der Angeklagte Lennart A. wurde wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, mehrfacher gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Der Angeklagte Jannis R. wurde wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung und mehrfacher gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Von dem Vorwurf einer weiteren gefährlichen Körperverletzung wurde er freigesprochen.
Der Angeklagte Jonathan Philipp M. wurde wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, mehrfacher gefährlicher Körperverletzung und Beihilfe zu mehrfacher Körperverletzung sowie zur Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Auch er wurde von einem weiteren Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen.
1. Nach einer 97-tägigen Hauptverhandlung hat der Staatsschutzsenat aufgrund einer umfangreichen Beweisaufnahme folgende Feststellungen getroffen:
Geeint durch linksextremistische Überzeugungen und einen militanten Antifaschismus hatte sich spätestens Anfang des Jahres 2018 eine auf die Begehung entsprechender Straftaten gerichtete Personenvereinigung gebildet, in der die Angeklagte Lina E. und der flüchtige Johann G. eine herausgehobene Rolle einnahmen und der sich auch der Angeklagte Lennart A. anschloss.
Die Vereinigung hatte sich zum Ziel gesetzt, von ihr als Rechtsextremisten eingestufte Personen körperlich anzugreifen und erheblich zu verletzen, um die Angegriffenen wie auch andere Angehörige der „rechten Szene“ von der Fortsetzung ihres Handelns abzuhalten.
Dabei plante die Vereinigung entweder Angriffe auf bestimmte Personen in ihrem privaten Umfeld oder lauerte ihnen bei der Rückkehr von Veranstaltungen, insbesondere Demonstrationen der „rechten Szene“, auf. Zu diesem Zweck trainierte die Vereinigung die verschiedenen Szenarien, legte sich ein „Tatmitteldepot“ an und verwendete zur Kommunikation untereinander alte Mobiltelefone mit SIM-Karten nicht existenter Personen, die jeweils nur für eine Aktion eingesetzt wurden. Die Angriffe waren in der Regel detailliert und langfristig geplant. Dabei gingen die Täter arbeitsteilig und methodisch vor.
Die Angeklagten Jannis R. und Jonathan Philipp M. unterstützten die Vereinigung bei einzelnen Taten oder bei der Vorbereitung beabsichtigter Aktionen.
Bei seiner Bewertung der Taten hat der Staatsschutzsenat hervorgehoben, dass das staatliche Gewaltmonopol jede Form von Selbstjustiz ausschließe. Die Begehung von Straftaten lasse sich in einem Rechtsstaat nicht mit vermeintlichen politischen Zielsetzungen rechtfertigen.
2. Der Staatsschutzsenat konnte im Ergebnis der Beweisaufnahme folgende Tatbeteiligungen der Angeklagten feststellen:
a) Am 8. Januar 2019, kurz nach 11.00 Uhr, griff die Vereinigung im Leipziger Stadtteil Connewitz einen mit Kanal- und Rohrreinigungsarbeiten beschäftigten Arbeiter an, der eine Strickmütze eines in „rechten Kreisen“ beliebten Modelabels trug. Während die Angeklagte Lina E. einen Arbeitskollegen unter Vorhalt eines großen Reizstoffsprühgeräts davon abhielt, einzugreifen, schlugen mindestens vier Angreifer den Arbeiter so zusammen, dass dieser zeitweise das Bewusstsein verlor.
Der Geschädigte erlitt durch die Misshandlungen Kopfplatzwunden, mehrfachfragmentierte Brüche des Jochbeins sowie weitere schwere Verletzungen. Knochenfragmente mussten mit einer Metallplatte fixiert werden. Von der grundsätzlich notwendigen Entfernung der Platte wurde abgesehen, weil der Geschädigte möglicherweise erblinden würde.
b) In der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 2019 gegen 0:18 Uhr überfiel die Vereinigung mit insgesamt elf Personen, unter anderem der Angeklagten Lina E., das Lokal „Bull´s Eye“ in Eisenach. Betreiber des Lokals war der überregional bekannte Rechtsextremist Leon R. In der Gaststätte befanden sich zum Zeitpunkt des Angriffs neben dem Gastwirt Leon R. vier weitere Gäste und ein bestellter Taxifahrer. Die Angreifer betraten die Gaststätte durch die unverschlossene Eingangstür und gingen durch den leeren vorderen Gastraum in Richtung des dahinterliegenden Tresenraums.
Einige der Angreifer betraten den Raum und begannen, teilweise unter dem Einsatz ihrer mitgeführten Teleskopschlagstöcke, auf die Anwesenden einzuschlagen, die sämtlich verletzt wurden. Nach kaum einer Minute gab die Angeklagte Lina E. als „Überblicksperson“ das Signal zum Rückzug und sprühte Reizgas in den Tresenraum. Es wurde bei dem Angriff zudem ein Sachschaden in Höhe von insgesamt etwa 2.000 Euro verursacht.
c) Am 13. Dezember 2019 entwendete die Angeklagte Lina E. in einem Baumarkt in Leipzig zwei Schlosserhämmer, die bei dem für diese Nacht geplanten erneuten Angriff auf Leon R. zum Einsatz kommen sollten. Einer Festnahme durch den Ladendetektiv versuchte die Angeklagte durch Wegstoßen und anschließende erfolglose Flucht zu entgehen.
d) In der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 2019 gegen 03:15 Uhr griff die Vereinigung, darunter die Angeklagten Lina E. und Lennart A., erneut den Betreiber der Gaststätte „Bull´s Eye“ in Eisenach auf dem Nachhauseweg an, nachdem er sein Lokal geschlossen und sich von drei Bekannten zu seiner Wohnung hatte fahren lassen. Dabei wurde er von einem „Scout“ beobachtet, der sich mit einem Fahrzeug in der Nähe der Gaststätte aufhielt. Dieses Fahrzeug hatte der Angeklagte Jonathan Philipp M. zur Verfügung gestellt. Als das Fahrzeug, mit dem Leon R. nach Hause gebracht wurde, anhielt und Leon R. ausgestiegen war, griffen ihn die Täter mit Schlagwerkzeugen, darunter ein Axtstiel, ein Hammer und Schlagstöcke, noch vor Erreichen seines Wohnhauses an.
Die Angeklagte Lina E. hatte die Position der „Überblicksperson“ inne und führte zur Ausübung dieser Rolle ein großes Reizstoffsprühgerät bei sich, mit dem sie den Geschädigten Leon R. angriff. Andere Angreifer versuchten, Leon R. zu schlagen, dem es jedoch durch Ausweichen, Sprühen mit seinem Pfefferspray und nachfolgend auch mittels eines gezogenen Teppichmessers gelang, die Angreifer so auf Abstand zu halten, dass er nicht von Schlägen getroffen wurde. Nachdem sich die Angeklagte Lina E. vergewissert hatte, dass Leon R. tatsächlich ein Messer bei sich führte, gab sie das Kommando zum Rückzug zu den Fahrzeugen.
Währenddessen hatten die drei Bekannten von Leon R. ihren Pkw verlassen und liefen ein Stück in Richtung des Geschehens, um Leon R. gegen den von ihnen bemerkten Angriff beizustehen. Dies wurde durch die Angreifer bemerkt, die sich daraufhin den Hilfeleistenden zuwandten, die nun ihrerseits flüchten. Nachdem es nicht gelang, den Pkw zu starten, erreichten ihn die Angreifer und begannen, auf das Fahrzeug und seine Insassen einzuschlagen sowie Reizstoff in das Fahrzeug zu sprühen. Dabei wurden die Insassen verletzt und das Fahrzeug zerstört. Die Angeklagten Lina E. und Lennart A. flüchteten mit einem Fahrzeug, an das zuvor in Leipzig entwendete Kennzeichen angebracht waren, konnten aber durch Polizeikräfte festgenommen werden.
e) In Ausführung eines von der Vereinigung geplanten Angriffs lauerten am 15. Februar 2020 mindestens acht Personen, darunter die Angeklagten Jannis R. und Jonathan Philipp M., am Bahnhof Wurzen Teilnehmern einer in Dresden stattgefundenen rechtsextremen Demonstration auf, die gegen 19:32 Uhr mit dem Zug aus Dresden anreisten. Die Angeklagte Lina E. befand sich ebenfalls seit Dresden in diesem Zug, um die Situation als „Scout“ bis zum Erreichen des Zugs in Wurzen zu überwachen. Nach dem Aussteigen lief eine sechsköpfige Gruppe, bei der eine Person „Reichsflagge“ mitführte, den Bahnsteig entlang, um den Bahnhof zu verlassen.
Währenddessen bewegte sich die Gruppe der vermummten Angreifer, die mit Schlagstöcken und mindestens einem großen Reizstoffsprühgerät ausgerüstet waren, auf der Rückseite des Bahnhofgebäudes auf den durch die Geschädigten angestrebten Ausgang zu. Dort stürmten die Angreifer vor und griffen die vollkommen überraschte Gruppe an. Während zwei der Angegriffenen unverletzt entkommen konnten, wurden vier Angegriffene teils erheblich verletzt.
f) Des Weiteren plante die Vereinigung einen Angriff auf den in Leipzig wohnhaften Brian E., der zur rechtsextremistischen Szene zählte und u.a. als Teilnehmer „rechter“ Kampfsportveranstaltungen, durch seine Beteiligung an dem als „Sturm auf Connewitz“ bezeichneten Angriff von Rechtsextremisten am 11. Januar 2016 sowie durch seine Ausbildung als Rechtsreferendar Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Zur Vorbereitung des Angriffs auf Brian E., der sich ab dem 2. Juni 2020 in der Prüfungsphase befand, erfolgten Ausspähmaßnahmen durch die Angeklagten Lina E. und Jannis R.
Der Angriff sollte am 8. Juni 2020 auch unter Beteiligung des Angeklagten Jonathan Philipp M., der hierfür extra am Vorabend aus Berlin angereist war, bei der Rückkehr des Brian E. von einer Klausur an seiner Wohnanschrift durchgeführt werden. Das Vorhaben wurde jedoch abgebrochen, als die polizeilichen Schutzmaßnahmen, die wegen Erkenntnissen aus Observationsmaßnahmen ergriffen worden waren, entdeckt wurden.
II. Soweit der Angeklagten Lina E. auch die Beteiligung an dem Überfall auf Enrico B. am 2. Oktober 2018 in Leipzig sowie die Beihilfe zu einem Überfall auf Cedric S. am 30. Oktober 2018 in Wurzen vorgeworfen worden sind, wurde sie aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Die Angeklagten Jannis R. und Jonathan M. wurden aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, soweit ihnen die Beteiligung an dem Überfall auf das »Bull´s Eye« am 19. Oktober 2019 zur Last gelegt worden ist. Zudem hat der Senat sie nach der Beweisaufnahme abweichend von der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss nicht als Mitglieder, sondern nur als Unterstützer der kriminellen Vereinigung angesehen.
III. Die Angeklagte Lina E. befand sich seit dem 5. November 2020 in Untersuchungshaft. Mit Blick auf die seither verstrichene Zeit und die nunmehr verhängte Freiheitsstrafe, auf die die Untersuchungshaft anzurechnen sein wird, wurde der Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Die übrigen Angeklagten befinden sich weiterhin auf freiem Fuß.
OLG Dresden, Urteil vom 31. Mai 2023 – 4 St 2/21
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