Dunkle Wolken ziehen auf über dem Sachsenland. Dräuend droht der Wahltag, Schicksalstag, genau 85 Jahre nach Beginn des Zweiten Deutschen Weltkrieges, ist am 1. September mal wieder eine Landtagswahl, wegen der mehr Menschen mit den Zähnen knirschen als Raver am Wochenende.

Auf der einen Seite ist die Vorfreude riesig, dass die Faschisten Sachsen in ein zweites Ungarn verwandeln. Die andere Seite des politischen Spektrums überlegt schon nervös, ob man die CDU wählen soll, um den Faschismus zu verhindern (Spoiler: Funktioniert nicht). Die Roten und die Grünen bangen, ob sie überhaupt wieder den Einzug in den Landtag schaffen, wenn das 5-Prozent-Rasiermesser sie wegsäbelt.

Über 200 Wahlrechtsänderungen hat der hungarleitende Gulaschganove Viktor Orbán durchgesetzt, seit er 2010 an die Macht kam. Das konnten er und seine Partei vor allem deshalb, weil sie mehrmals mit einer absoluten Mehrheit ins Parlament gekommen sind. Da wundert es wenig, dass die AfDler in Sachsen bereits von der Alleinregierung im Landtag träumen.

Solche realtitätsverweigernden und vor Selbstbewusstsein strotzenden Aussagen bin ich eigentlich nur von unserer PARTEI gewöhnt. Jedoch fragt uns niemand, ob wir das wirklich ernst meinen. Bei den erfolgsbesoffenen Blauen wäre ich mir da aber nicht so sicher.

Die AfDer trumpen darum wieder ganz groß auf: fein formulierte und ausgewogene Botschaften wie „Abschieben, abschieben, abschieben!“ und hochaktuelle, die Menschen zutiefst bewegende Missstände ansprechende Forderungen wie „Corona-Unrecht aufarbeiten“ (da hat das Plakate-Lektorat wohl die „Diktatur“ gestrichen …) sollen die kalten sächsischen Herzen erwärmen und zum Tausch Kreuz gegen Seele verleiten.

Der zutodegephotoshoppte Michael Kretschmer scheint unterdessen auf anderen Wegen kalte Herzen eintauschen zu wollen und macht auf den CDU-Plakaten den Holländer-Michi. Dank moderner „Schönheits“-Chirurgie verfügt er neuerdings über durchsetzungsstarke Jochbeine, oder vielleicht ist es auch doch Photoshop, wir wissen es nicht. Jedenfalls verlangt der Sachsenherrscher uns allen ab, „optimistisch“ zu sein, „weil es um Sachsen geht“. Meine These: Wer CDU wählt, um die AfD an der Mehrheit zu hindern, hat bereits jeden Optimismus längst hinter sich gelassen.

ePaper LZ 127. Cover: LZ

Währenddessen plakatiert die Union „Kriminelle hassen die CDU“ obwohl mit den „Kriminellen“ eigentlich nur „Alle“ gemeint sein können. Aber wenigstens ein paar Einheimische scheinen den Ministerpräsidenten ja noch zu mögen, sodass es am Ende womöglich auf eine echt bombastische Koalition hinauslaufen könnte: Die CDU steigt ins Bett mit den Wagenknechten.

Die Variante scheint für die CDU zumindest eine aussichtsreiche Option, wenn Grün, Rot und Rot es überhaupt nicht in den Landtag schaffen. Drum wurde der Friedrich „Fotzenfritz“ Merz zuletzt noch von den CDU-Ostverbänden zurückgepfiffen, als er eine BSW-Zusammenarbeit deutschlandweit komplett ausschließen wollte.

Heidewitzka, da kommt zusammen, was zusammengehört! Frieden finden ja grundsätzlich alle gut, auch wenn der Sachsenkönig wenig zur Außenpolitik beizutragen hat, da hätte man schon mal eine wohlgefällige Übereinkunft. Und dann kann die CDU Sachsen auch einfach tun, was sie immer tut: Den Juniorpartner an den Katzentisch setzen und dann auch noch die Butter vom Brot nehmen. Und wenn die Wagenknechtpartei sich richtig gut anstellt, gibt es auch bald schon wieder Neuwahlen.

Hat jetzt schon den Mund voller Zahnstaub,
Ihr MP in spe a.D.
Tom Rodig

„Rodig reflektiert: Die letzten freien Wahlen“ erschien erstmals im am 26.07.2024 fertiggestellten ePaper LZ 127 der LEIPZIGER ZEITUNG.

Sie wollen zukünftig einmal im Monat unser neues ePaper erhalten? Hier können Sie es buchen.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar